Im DFB-Pokalfinale gegen den 1. FC Kaiserslautern erzielt der Schweizer mit Wurzeln im Kosovo das entscheidende Tor für Bayer 04 Leverkusen. Seine Bedeutung für die Werkself geht aber weit darüber hinaus.
Anzeige
"Ich kriege den Ball eigentlich perfekt vom Timing her. Ich wusste, wenn ich den mit einem Kontakt nehme und er aufs Tor kommt, dann ist er drin", freute sich Granit Xhaka, den goldenen Pokal im Arm, über sein Traumtor, das Bayer Leverkusen den Sieg im Endspiel um den DFB-Pokal bescherte.
Die Werkself, die in der Fußball-Bundesliga bereits souverän und ohne eine einzige Niederlage die Meisterschaft gewonnen hatte, musste für den zweiten Titel der Saison aber deutlich härter kämpfen als gedacht und als es nötig gewesen wäre.
Nach der frühen Führung durch Xhaka, einem Direktschuss aus etwa 25 Metern aus vollem Lauf (16. Minute), hatte Leverkusen den 1. FC Kaiserlautern eigentlich im Griff. Eine unnötige gelb-rote Karte kurz vor der Pause gegen Odilon Kossounou, der obwohl bereits gelbbelastet an der Mittellinie zu hart einstieg (44.), brachte den Zweitligisten zurück ins Spiel. Leverkusen musste sein Spiel anpassen und mehr in die Defensive investieren, doch am Ende gelang ein verdienter Sieg.
"Ich glaube, bis zur roten Karte hatten wir alles unter Kontrolle. Und danach war ein komplett anderes Leverkusen auf dem Platz: taktisch hervorragend, die Mentalität hervorragend", sagte Xhaka. "Ich glaube, außer einem Torschuss von Kaiserslautern haben wir in der zweiten Halbzeit nichts zugelassen. Ich glaube sogar, dass wir in der zweiten Halbzeit die besseren Chancen hatten."
Xhaka - die "rechte Hand" Xabi Alonsos
Für Xhaka war es im 50. Einsatz für Bayer zwar erst der vierte Treffer, dennoch ist sein Wert für die Leverkusener Ausnahmemannschaft nicht hoch genug zu bewerten. In der Zentrale im defensiven Mittelfeld läuft fast alles über ihn. In jedem Spiel, dass er von Anfang an bestreitet, hat der Schweizer bis zu 150 oder mehr Ballkontakte. Über 90 Prozent seiner Pässe kommen beim Mitspieler an.
Gäbe es außerdem eine Statistik, wie oft Xhaka während des Spiels den Kopf dreht, um sich zu versichern, wo der Gegner steht und wo die freien Mitspieler, würden die Zahlen wohl vierstellig.
Wenn Trainer Xabi Alonso das entscheidende Puzzleteil für Leverkusens Erfolg neben dem Platz ist, dann gilt Gleiches für Xhaka auf dem Spielfeld. Es sei "sehr schön", meinte Alonso daher auch nach dem Pokalfinale, dass sich ausgerechnet seine "rechte Hand" im Team mit dem Siegtor für eine außergewöhnliche Saison belohnt habe.
"Er hat meine Arbeit viel einfacher gemacht. Ich hatte eine starke Verbindung mit ihm", sagte Alonso. Ohne Xhaka, so der Trainer, wäre der Erfolg "nicht möglich" gewesen.
Anzeige
Frusterlebnis gegen Bergamo
Nur ganz selten funktionierte das Leverkusener Spiel mit "Motor" Xhaka nicht wie geplant, mit einer Ausnahme. Diese war ausgerechnet das Finale der Europa League gegen Atalanta Bergamo.
Die Italiener erstickten das Ballbesitz-Spiel der Leverkusener regelrecht, indem sie Xhaka ständig auf den Füßen standen und ihm keine Zeit ließen, den Ball anzunehmen und sicher weiterzuleiten.
Bayers Nummer 34 unterliefen so viele Fehlpässe wie sonst nie, der Sieg ging verdient mit 3:0 an Bergamo. Es war die einzige Niederlage der Werkself in 53 Pflichtspielen.
Enge Familienbande mit kosovo-albanischen Wurzeln
Geboren und aufgewachsen ist Xhaka in der Schweiz. Seine Eltern stammen aber aus dem Kosovo. Auch sein älterer Bruder Taulant Xhaka ist Fußballprofi. Er lief allerdings für die albanische Nationalmannschaft auf. Granit Xhaka wurde 2010 beim FC Basel Profi und wechselte 2012 zu Borussia Mönchengladbach in die Bundesliga.
Hier lernte er auch sein Frau Leonita kennen, die er 2017 heiratete. Da spielte Xhaka bereits für den FC Arsenal in der englischen Premier League, wo er von 2016 bis 2023 im Mittelfeld das Spiel diktierte. Leonita Xhaka hat ebenfalls eine Verbindung zum Kosovo. Sie ist in Albanien geboren und im Kosovo aufgewachsen. Später zog sie mit ihrer Familie nach Deutschland.
Große Ziele mit Bayer Leverkusen
Im Sommer 2023 sicherte sich Leverkusen die Dienste des Nationalspielers, der auch bei der EURO 2024 dabei sein wird und dort mit der Schweizer "Nati" im dritten Gruppenspiel auf das DFB-Team treffen wird.
Angeblich sollte Leonita Xhaka treibende Kraft hinter dem Wechsel gewesen sein, weil sie nach sieben Jahren in London zurück ins Rheinland wollte. Ihr Mann stellte das später gegenüber dem Magazin "The Athletic" allerdings richtig. "Um ehrlich zu sein, war sie dagegen", erklärte Xhanka. "Nicht dagegen, dass wir nach Leverkusen gehen, sondern dagegen, dass wir London verlassen. Wenn man einmal in London gelebt hat, will man dort bleiben - vor allem mit der Familie."
Umso glücklicher kann sich Bayer Leverkusen schätzen, dass Xhaka dennoch zurück in die Bundesliga wechselte. Sein Vertrag in Leverkusen läuft noch bis 2028. Und er hat noch große Ziele, auch wenn seine Ansage auf der nächtlichen Pokalfeier möglicherweise der Euphorie und dem einen oder anderen Sieger-Getränk geschuldet sein mag: "Meisterschaft, Pokal - wir wollen die Titel verteidigen", sagte er. "Und lass' uns mal auch in der Champions League angreifen."
Bayer Leverkusen - vom ewigen Zweiten zum deutschen Meister
Bayer Leverkusen sichert sich zum ersten Mal die deutsche Meisterschaft. Lange galt die Werkself als Team, das im entscheidenden Moment versagt. Die Klubgeschichte ist voller bitterer Niederlagen und verpasster Titel.
Bild: Anke Waelischmiller/Sven Simon/picture alliance
Bundesliga-Start beim FC Bayern
Der Klub entsteht 1904 als Sportverein für Arbeiter der "Farbenfabrik vormals Friedrich Bayer Co. Leverkusen", aus der später die heutige Bayer AG wird. Das Fußballteam spielt lange in unteren Klassen. 1979 gelingt als Meister der 2. Bundesliga Nord der Aufstieg in die Bundesliga. Das erste Spiel im Oberhaus bestreitet Leverkusen im August 1979 im Münchener Olympiastadion gegen die Bayern (Foto).
Bild: Ludwig Hamberger/dpa/picture alliance
Top-Spieler aus Südkorea
Erster echter Star der Leverkusener Bundesliga-Mannschaft ist der Südkoreaner Cha Bum-kun. Der Stürmer wechselt 1983 von Eintracht Frankfurt zur Werkself und bleibt sechs Jahre lang bei Bayer 04, bis er seine Karriere 1989 in Leverkusen beendet. Cha ist Publikumsliebling und auch beim ersten Titelgewinn für Bayer 04 dabei.
Bild: Fritz Rust/picture alliance
Starkes Comeback gegen Espanyol Barcelona
Die Werkself gewinnt 1988 gegen Espanyol Barcelona den UEFA-Pokal. Das Finale wird damals noch mit Hin- und Rückspiel ausgetragen. In Barcelona geht Bayer mit 0:3 unter, und auch zu Hause sieht es lange nicht gut aus. Doch in der starken zweiten Halbzeit schießt Leverkusen drei Tore und schafft den Ausgleich. Es geht ins Elfmeterschießen, das Bayer mit 3:2 für sich entscheidet. Leverkusen feiert.
Bild: Eissner/Kicker/IMAGO
Favoritensieg im Berliner Olympiastadion
Fünf Jahre nach dem Erfolg im UEFA-Cup folgt der zweite - und für lange Zeit letzte - Titel für die Leverkusener. Im DFB-Pokalfinale 1993 setzen sich Siegtorschütze Ulf Kirsten (r.) und Co. knapp mit 1:0 gegen die Amateurmannschaft von Hertha BSC durch, die es sensationell bis ins Endspiel geschafft hat. Für die Werkself ist der Sieg in Berlin der Beginn einer langen Durststrecke.
Bild: Liedel/Kicker/IMAGO
Die Macher von "Vizekusen"
Dabei ist Leverkusen Ende der 90er Jahre ein echtes Spitzenteam. Manager Reiner Calmund (r.) verpflichtet damals Trainer Christoph Daum (l.), unter dem Bayer 04 dreimal Zweiter der Bundesliga wird (1997, 1999, 2000). Die spottende Konkurrenz erfindet den Namen "Vizekusen", den sich die Leverkusener später sogar als Marke patentieren lassen. Dramatisch bestätigt wird er in Daums letzter Saison.
Bild: Roland Scheidemann/dpa/picture-alliance
Tiefschlag in Unterhaching
Vor dem letzten Bundesliga-Spieltag der Saison 1999/2000 hat Leverkusen drei Punkte Vorsprung auf den FC Bayern und braucht nur noch einen Punkt bei Aufsteiger Unterhaching, um den Titel klarzumachen. "Uns hält keiner mehr auf", tönt Daum vor dem Spiel, doch ein Eigentor von Michael Ballack (l.) leitet eine 0:2-Niederlage ein. Die Bayern gewinnen und werden Meister, Leverkusen wieder nur "Vize".
Bild: Bernd Weissbrod/dpa/picture alliance
Jede Menge Stars, keine Titel
Der Kader der Werkself ist damals gespickt mit Top-Spielern wie Ballack, Lucio und Ze Roberto (v.r.n.l.). Auch andere brasilianische Nationalspieler wie Paulo Sergio oder Emerson starten ihre internationale Laufbahn bei Bayer 04. Sie alle gewinnen in ihren Karrieren etliche Meisterschaften und Pokale - allerdings erst, nachdem sie Leverkusen verlassen haben.
Bild: Ulmer/IMAGO
Dreimal nur Zweiter
Im Sommer 2002 treibt die Werkself ihr "Vizekusen"-Syndrom auf die Spitze: Erst gibt das Team unter Trainer Klaus Toppmöller (3.v.l.) in der Bundesliga die Meisterschaft an den letzten Spieltagen aus der Hand und wird nur Zweiter. Dann verlieren die Leverkusener auch im Pokalfinale gegen Schalke 04. Das größte Spiel der Vereinsgeschichte, die dritte Titelchance, steht aber noch bevor...
Bild: Contrast/IMAGO
1:2 gegen Reals "Galacticos"
Doch auch das Champions-League-Finale 2002 in Glasgow gegen Real Madrid kann Bayer nicht gewinnen. Zinedine Zidane (r.) erzielt per Volleyschuss den Siegtreffer. Leverkusen schlägt sich achtbar, wird aber wieder nur Zweiter. Kurz darauf werden fünf deutsche Nationalspieler aus Leverkusen bei der WM zudem auch noch Vize-Weltmeister. Bundestrainer ist mit Rudi Völler, na klar, ein Leverkusener.
Bild: Sven Simon/picture-alliance
Verdiente Niederlage gegen Werder
Es dauert sieben Jahre, bis die Werkself erneut eine Titelchance bekommt. Im DFB-Pokalfinale 2009 zieht Bayer Leverkusen gegen Werder Bremen allerdings verdient den Kürzeren. Das Ergebnis von 1:0 für die Bremer klingt knapper, als das Spiel sich darstellt. Siegtorschütze ist Mesut Özil. Für Leverkusen steht damals auch der heutige Sportdirektor Simon Rolfes (3.v.l.) auf dem Platz.
Bild: Sven Simon/picture-alliance
Startrekord - aber wieder nur Zweiter
2011 schafft es die Werkself unter Trainer Jupp Heynckes (r.) wieder nur auf Rang zwei. Heynckes und sein Team stellen dabei mit 24 ungeschlagenen Spielen sogar einen Bundesliga-Startrekord auf. Tabellenführer ist Bayer 04 aber nie, und Meister wird am Ende Borussia Dortmund. Heynckes und sein Co-Trainer Peter Hermann (l.) werden vom FC Bayern verpflichtet, mit dem sie 2013 das Triple gewinnen.
Bild: augenklick/firo Sportphoto/picture-alliance
Keine Lust mehr auf "Vizekusen"
Den Namen "Vizekusen" kann bei Bayer mittlerweile niemand mehr hören. "Ich weiß nicht, mit welcher Marketingabteilung das damals ausgedacht wurde", schimpft Rudi Völler im Jahr 2013. "Das habe ich schon immer für Schwachsinn gehalten." Völler ist seit 1994 mit kurzen Unterbrechungen durchgehend im Verein tätig: als Spieler, Sportdirektor und Sport-Geschaftsführer. Einen Titel holt er nie.
Bild: picture-alliance/dpa/R. Wittek
Keine Chance gegen Bayern
Von A bis Z trostlos verläuft das Pokalfinale 2020 für die Werkself. Wegen der Corona-Pandemie sind im Berliner Olympiastadion keine Zuschauer anwesend. Vor allem aufgrund einer schwachen ersten Halbzeit ist Leverkusen gegen den FC Bayern chancenlos und verliert das Endspiel mit 2:4. Das Warten auf den ersten Titel nach 1993 geht weiter.
Bild: Jürgen Fromme/firo Sportphoto/picture alliance
Neue Mentalität unter Xabi Alonso
In der sportlichen Krise gelingt Sportdirektor Simon Rolfes (l.) und den anderen Bayer-Verantwortlichen im Oktober 2022 ein echter Glücksgriff: Nach der Trennung von Trainer Gerardo Seoane übernimmt Xabi Alonso (r.) die Mannschaft. Er führt sie von Rang 17 auf Platz sechs sowie ins Halbfinale der Europa League. Vor allem aber entwickelt er eine echte Siegermentalität bei den Spielern.
Bild: Thomas Banneyer/dpa/picture alliance
Überlegen zur ersten Meisterschaft
In der aktuellen Saison lassen Alonso und die Werkself nichts anbrennen. Ungeschlagen marschieren sie durch die Liga, gewinnen viele Spiele in letzter Sekunde und werden verdient Meister. Was ist jetzt mit dem alten Spitznamen? "Xabikusen", "Galakusen", vielleicht "Doublekusen"? Nach der Meisterschaft gewinnt Bayer auch den DFB-Pokal. Nur in der Europa League zieht man im Finale den Kürzeren..
Bild: Anke Waelischmiller/Sven Simon/picture alliance