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Politik

Heiliges Land von unten: "Tunnel"

7. Februar 2021

Im Comic "Tunnel" lässt die israelische Zeichnerin Rutu Modan ihre Figuren nach der jüdischen Bundeslade graben. Die satirische Suche führt in die Tiefen des Nahen Ostens - und endet in der Gegenwart.

Graphic Novel „Tunnel“ von Rutu Modan
Klare Bilder: "Tunnel" von Rutu ModanBild: 2020 by RUTU MODAN, © der deutschen Ausgabe Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2021

Es gibt Legenden, die zwar uralt sind, aber dennoch viele Menschen in einer modernen Gesellschaft in Atem halten. Eine solche Legende ist die der Bundeslade, eine vergoldete Truhe mit zwei Steintafeln, auf denen die Zehn Gebote festgehalten sind, die Gott dem Alten Testament zufolge Mose überreichte. Die Geschichte ist der vielleicht wichtigste Bestandteil des Judentums: Sie symbolisiert den Bund Gottes mit dem Volk Israel.

Der Bund besteht nach Auffassung gläubiger Juden weiter, und zwar unabhängig von dem Umstand, dass die Bundeslade verschwunden ist, seit die Babylonier Jerusalem und seine Tempelanlagen in den Jahren 587/586 v. Chr. eroberten und plünderten. Hat es sie wirklich gegeben? Falls ja, dann müsste sie sich nach allgemeiner Auffassung im Untergrund des Heiligen Landes befinden, irgendwo auf - oder eben unter - dem Territorium Israels, Jordaniens oder des Westjordanlands.

Porträt der israelischen Gesellschaft

Die Suche nach der Bundeslade ist das große Abenteuer, zu dem die Figuren in der neuesten Graphic Novel der israelischen Zeichnerin und Autorin Rutu Modan aufbrechen. "Tunnel" heißt sie, da sich, wer nach der Bundeslade forscht, zunächst einmal tief in die Erde graben muss. "Tunnel" bezieht sich zugleich auf die schwierige israelisch-palästinensische Nachbarschaft, insbesondere die zum Gazastreifen, von wo aus sich palästinensische Schmuggler oder politische Extremisten unterhalb der Sperranlagen auf israelisches oder ägyptisches Gebiet vorgraben.

Bild: Carlsen/Rutu Modan

"Ich habe die Suche nach der Bundeslade auch darum als Thema gewählt, weil es so ungeheuer komplex ist", sagt Rutu Modan im DW-Interview. "Es hat sehr viel Aspekte: archäologische, kulturelle, wirtschaftliche und natürlich politische." Alle diese Aspekte verwebt die 1966 geborene und mehrfach preisgekrönte Zeichnerin auf ebenso raffinierte wie satirische Weise.

So ist es eine heikle Gemengelage, in die Nili Broshi vorstößt, die Heldin des Buches. Als Kind hat sie in den 1980er Jahren bereits mit ihrem begnadeten, aber glücklosen (und nun dementen) Vater nach der Bundeslade gegraben - vergeblich, wie so viele andere Archäologen vor oder nach ihr. An ihrer Seite nun ihr Sohn, genannt "Doktor", ein Junge von etwa zehn Jahren. Er kennt das Forschungsgebiet der Mutter, doch seine Passion ist eine ganz andere: das Handy. Möglichst sein eigenes, wenn das aber nicht zur Hand ist, das von Nili oder deren Kollegen. "Noch 10 Prozent", "noch 30 Prozent", vermeldet er mit unentwegtem Blick auf das Mobiltelefon seine Empfangsstärke. Dies interessiert außer ihm selbst allerdings niemanden, die Archäologen sind mit der Arbeit beschäftigt.

Ehrgeizige, Eiferer, Extremisten

Eben das ist ein Thema dieses Romans in Bildern: die Vielfalt der Interessen und der daraus entstehenden Rivalitäten. Die Gruppe rund um Nili Broshi ist ein auf die archäologische Szene konzentriertes Spiegelbild der israelischen Gesellschaft.

Alles, nur keine Archäologie: "Doktor", der Sohn von NiliBild: Carlsen/Rutu Modan

Unter den Helfern gibt es orthodoxe und ultraorthodoxen Juden, die ganz nach dem konfessionellen Ritus leben, es gibt ihren durchaus auf weltliche Belange schielenden Anführer, den Antikenhändler Abuloff, dessen Passion keine Grenzen kennt. Wenn die Situation es erlaubt, kauft er sogar die antike Raubware, die die Dschihadisten des "Islamischen Staates" (IS) auf dem Schwarzmarkt anbieten.

Stets präsent ist auch der mehr als ehrgeizige Archäologie-Professor Motke, ein ehemaliger Kollege von Nilis Vater, der diesen nun auszustechen und sich als Entdecker der - so denkt er - in Kürze ausgegrabenen Bundeslade in Stellung zu bringen versucht. Dazu Nilis etwas naiver Bruder, der sich Motke um der eigenen akademischen Karriere willen andient, ohne dessen grenzenlosen Eifer richtig einzuschätzen. Sowie, auf der anderen Seite der bald untergrabenen Grenzmauer, eine Reihe von Palästinensern: Ein paar Schmuggler, zwei junge, dem IS verfallene, aber - noch - harmlose Teenager, einige am nur am Rande auftretende Helfer.

"Kein politisch korrektes Buch"

"Ich wollte kein politisch korrektes Buch schreiben", sagt Rutu Modan. "Ich wollte aber auch niemanden verletzen." So schwebt die Politik über allem, ohne sich allerdings direkt zu zeigen, sieht man etwa von den israelischen Grenzsoldaten ab. Stattdessen konzentriert sich Modan auf die zivilen Konflikte, die Hoffnungen und Erwartungen, die die Gesellschaft durchziehen - in diesem Buch vor allem die israelische. Die palästinensischen Figuren entfaltet Modan zwar auch - sie und die Israelis begegnen sich ja tief unter der Grenzmauer, nahe dem, was sie als den Fundort der Bundeslade betrachten. In den Tiefen der Erde verfolgen die Palästinenser hauptsächlich ökonomische Interessen - den Schmuggel eben. 

Herrin der Comic-Unterwelt: Rutu ModanBild: Guillem Lopez/Photoshot/picture alliance

"Beide Seiten haben ihre eigene Geschichte, aber die der Israelis hat sich zumindest mit Blick auf den Westen als die mächtigere erwiesen. Die Palästinenser haben ihre eigene, sind aber auch in den jüdischen Mythos verwickelt, wo sie allerdings eine viel schwächere Position einnehmen", so Modan. Ihnen bleibe nur, "sich in dem Mythos irgendwie zurechtzufinden", umreißt sie die schwierige Position der Palästinenser in den Autonomiegebieten.

Vorbild "Tim und Struppi"

Die Spannungen greift Modan auf elegante, spielerische Weise auf. Das Buch funktioniert durchaus auch als Abenteuergeschichte - ein Abenteuer in der Neuzeit. Als Vorbilder nennt Modan den belgischen Zeichner Hergé, den Schöpfer von "Tim und Struppi", sowie den US-amerikanischen Cartoonisten Art Spiegelman, der mit seiner Graphic Novel "Maus" weltberühmt wurde. Die Geschichte erzählt das Leben des polnischen Juden Wladek Spiegelman, der den Holocaust überlebte.

Modan selbst erzählt ihren Stoff auf oft augenzwinkernde Weise in zahlreichen kleinen Szenen und mit häufigen Perspektivwechseln. Der sogenannte Ligne-claire-Stil, die klare Linie, arbeitet mit breiten Umrundungen der Figuren wie auch der Sprechblasen, wodurch das Buch eine gewissermaßen klassische Bildsprache erhält.

Die Suche nach der Bundeslade endet in der Tat mit einem Fund. Der führt nochmals in einen Konflikt im Nahen Osten, wenngleich einen anderen. Die Legende, so kann man das so kluge wie unterhaltsame Buch deuten, endet letztlich immer in der Gegenwart. Aus ihr gibt es selbst beim besten Willen kein Entkommen.

Rutu Modan: "Tunnel - eine israelische Satire", Carlsen Verlag 2020, 280 Seiten, 28 Euro.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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