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Fukushima: Greenpeace kritisiert japanische Regierung

Esther Felden21. Juli 2015

Wenn es nach Japans Regierung geht, dann sollen schon bald Tausende Menschen in die Region um Fukushima zurückkehren. Gut vier Jahre nach der Atomkatastrophe sei das Gebiet wieder sicher. Umweltexperten schlagen Alarm.

Tepco-Mitarbeiter mit Schutzanzug und gerät zur Messung von Radioaktivität auf dem Gelände des Unglücksreaktors von Fikushima (Foto: Tomohiro Ohsumi/AFP/Getty Images)
Bild: TOMOHIRO OHSUMI/AFP/Getty Images

Meterhoch aufgetürmte schwarze Plastiksäcke, gefüllt mit verstrahlter Erde: Fernsehbilder aus Fukushima. Sie zeigen, wie die japanische Regierung mehr als vier Jahre nach der Atomkatastrophe die Region um den Unglücksmeiler dekontaminiert. Ziel ist, dass die ehemaligen Bewohner zurück in ihre alten Häuser ziehen. Zehntausende Arbeiter waren deshalb in den vergangenen Jahren im Einsatz, um das Gebiet wieder bewohnbar zu machen.

Doch das ist ihnen nicht gelungen, meint Greenpeace. Experten der Umweltorganisation haben in den vergangenen Wochen eigene Messungen im Distrikt Iitate, etwa 30 Kilometer entfernt von Fukushima, durchgeführt. Das Ergebnis: Die Strahlenbelastung dort ist nach wie vor so hoch, dass eine Rückkehr der Bewohner unverantwortlich wäre. "Die Regierung verurteilt Tausende Menschen zu einem Leben auf gefährlich verstrahltem Gebiet", sagt Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital. Das sieht auch der freie Atomexperte Mycle Schneider so, er ist Träger des Alternativen Nobelpreises und arbeitet als unabhängiger Berater für Regierungen und internationale Organisationen auf der ganzen Welt. "Das Gesundheitsrisiko für die Menschen wäre enorm erhöht", so Schneider im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Indirekter Zwang zur Rückkehr?

Zwar müssen die Menschen nicht an ihren alten Wohnort zurückkehren. Viele werden aber gar nicht anders können, meint Smital. Er spricht in diesem Zusammenhang von "nuklearer Erpressung". Denn die Abe-Regierung hatte erst kürzlich beschlossen, die Kompensationszahlungen für die Opfer des Atomunfalls bis 2018 auslaufen zu lassen. Vor allem weniger wohlhabende Bürger könnten dadurch regelrecht gezwungen werden, in ihre verstrahlte Heimat zurückzukehren – ob sie wollen oder nicht.

Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital hat in den vergangenen Wochen persönlich Messungen in dem Gebiet um Fukushima durchgeführtBild: Axel Kirchhof/Greenpeace

Und längst nicht jeder will. Kommentare von Bürgern in den sozialen Netzwerken zeugen von Angst. Sie sei "sehr besorgt über die andauernde Katastrophe von Fukushima", schreibt beispielsweise Userin "microcarpa" auf Twitter. Und Rentnerin "Yoko Chase" meint: "Die Regierung sollte darauf hören, was die Evakuierten selbst zu sagen haben – bevor sie sie zwingt, nach Fukushima zurückzukehren." Einige machen ihrer Wut mit starken Vorwürfen Luft. "kemi510" wirft der japanischen Regierung beispielsweise vor, Menschenversuche mit Radioaktivität durchzuführen. Und "syntax" fragt: "Die Menschen, die an Krebs leiden werden immer zahlreicher. Sollte man nicht eine Krankheitsübersicht wie bei den Kindern von Tschernobyl erstellen?"

Im April 2014 durfte diese Frau aus der Präfektur Fukushima zum ersten Mal seit der Katastrophe ihr ehemaliges Zuhause betreten – schon in diesem Jahr sollen die ersten Opfer der Katastrophe dauerhaft in ihre evakuierten Häuser in der Region zurückkehrenBild: Reuters

Beunruhigende Zahlen

Tatsächlich werden auf offiziell bereits als gesäubert geltenden Flächen neben Häusern und Straßen Werte festgestellt, die einer jährlichen Dosis von mehr als 10 Mikrosievert entsprechen. "Das ist das Zehnfache des international zulässigen Grenzwertes, so Atomexperte Smital. "Fünf Jahre nach der Tschernobyl-Katastrophe galt für die 30-Kilometer-Zone die Hälfte des Werts, den wir jetzt in Iitate gemessen haben – und in die Sperrzone dürfen die Menschen noch immer nicht zurück."

In Japan soll es dagegen deutlich schneller gehen – ein wirtschaftlich kalkulierter Schritt, der die Risiken für die Bevölkerung ignoriert und stattdessen nur den Atomkraftbetreibern nützt, ist Smital überzeugt. So sollen bereits Anfang September die mehr als 7000 ehemaligen Bewohner der Stadt Naraha in der Präfektur Fukushima dauerhaft in ihre Häuser zurückkehren. Im März 2015 hatte die japanische Regierung die Dekontamination für abgeschlossen und Naraha für sicher erklärt. Jüngsten Umfragen zufolge will die große Mehrheit der Menschen aus Angst nicht wieder in ihre alten Häuser zurückkehren. Weiterer Grund: "Es gibt keine Geschäfte und keine Ärzte dort. Ich weiß nicht, was ich tun soll", wird eine alte Frau in der Lokalpresse zitiert.

Auf ewig unbewohnbar?

Dass sämtliche Versuche der Regierung, die Region schnell wieder bewohnbar zu machen, zum Scheitern verurteilt waren, stand nach Ansicht beider Experten eigentlich von Anfang an fest. "Die Hügel und Wälder in der Region können nicht einmal ansatzweise dekontaminiert werden", sagt Atomexperte Mycle Schneider. Und selbst bereits dekontaminierte Stellen werden ständig wieder neu verseucht. Denn: "Durch jeden Regen wird in den Bergen Radioaktivität ausgewaschen und wieder ins Flachland geleitet." Ein Teufelskreis, meint Schneider.

Schilddrüsenuntersuchung bei einem kleinen Mädchen: Die gesundheitlichen Folgen die Atomkatastrophe sind noch nicht absehbarBild: Reuters

2012 und 2013 war er selbst in der Region unterwegs, konnte sich mit eigenen Augen ein Bild von den Bemühungen der Regierung machen. Vieles von dem, was er dabei sah, sei "hilflos und ineffizient" gewesen, kritisiert Schneider. So sei beispielsweise ein Parkplatz mit einem Hochdruckreiniger gesäubert worden – ohne das Wasser später zu entsorgen. "Dadurch wurde die Verseuchung nur von einem Ort an den nächsten gespült." Eine Sisyphusarbeit nennt auch Heinz Smital das, was die japanische Regierung in Iitate tut. "Die Arbeit wird auch in Hunderten von Jahren nicht abgeschlossen sein. Die Wahrheit ist: Diese Gegend lässt sich nicht dekontaminieren."

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