58. Filmfestival DOK Leipzig
26. Oktober 2015Vieles kommt in diesen Tagen in Leipzig zusammen. In der ostdeutschen Stadt wurde vor gut einem Vierteljahrhundert mit einer friedlichen Revolution das Ende der DDR eingeläutet. Das renommierte Dokumentarfilmfestival hat diese Ereignisse in den letzten Jahren vielfach widergespiegelt. Auch in diesem Jahr, in dem der Eröffnungsfilm "Alles andere zeigt die Zeit" den Lebenslauf ehemaliger Leipziger Bürger verfolgt, steht die deutsche Wiedervereinigung im Fokus.
Brennpunkt Flüchtlingsthematik
Doch auch ganz aktuelle Ereignisse wie der nicht enden wollende Flüchtlingsstrom im Herzen Europas finden sich im diesjährigen Programm. Neue Filme wie "The Longest Run" oder "Lampedusa im Winter" beschäftigen sich mit der Flüchtlingsthematik. Und selbst die Retrospektive der 58. Ausgabe des Festivals "DOK Leipzig" (26.10.-1.11.2015), die unter dem Motto "Grenzen ziehen … Europa seit 1990" steht, verbindet Geschichte mit Aktualität.
So ist das Festival ein gutes Beispiel für eine kulturelle Veranstaltung, bei der Zeitgeschichte für die Besucher verständlich und nachvollziehbar aufbereitet wird. Zwar haben der Zerfall vieler Staaten im Nahen und Mittleren Osten und der daraus folgende Flüchtlingsstrom sowie der Zusammenbruch der DDR nicht unbedingt etwas miteinander zu tun. Doch die Konsequenzen aus beiden Ereignissen und die daraus resultierenden Probleme kann man derzeit verfolgen. Das zeigen einige Filme eindrucksvoll.
Deutschland als Land der Hoffnung
Mit dem Ende des Kalten Krieges wurde die Landkarte Osteuropas neu gezeichnet. Die aktuellen Schlagzeilen aus Ländern wie Ungarn, Kroatien, Serbien und Slowenien angesichts der vielen Flüchtlinge sind täglich Bestandteil der Nachrichten.
Die allermeisten Menschen aus Syrien und dem Irak, aus Afghanistan, aber auch aus vielen Ländern des ehemaligen Ostblocks zieht es nach Deutschland. In ein Land, das es nach der Wiedervereinigung vor 25 Jahren geschafft hat, in einer globalisierten Welt zum wirtschaftlichen Motor Europas zu werden. So hängt alles miteinander zusammen. Die Filme in Leipzig spiegeln das wider.
Andreas Voigt: Chronist und Langzeitbeobachter
Der Dokumentarfilm "Alles andere zeigt die Zeit" von Regisseur Andreas Voigt, der das Festival am Montag eröffnet, ist der sechste Teil eines Zyklus. Voigt begann seine Reihe mit Leipzig-Filmen bereits drei Jahre vor dem Fall der Mauer. Seitdem hat er sich immer wieder auf die Fersen seiner Protagonisten geheftet, hat die einzelnen Lebensstationen verschiedener Menschen dokumentiert. In seinem neuen Film "Alles andere zeigt die Zeit" geht es in erster Linie um Isabel und Sven. Beide sind längst aus der ehemaligen Heimat weggezogen, wohnen inzwischen im Westen Deutschlands.
Bedrückend vor allem das Schicksal von Sven, der früher bei der NVA (Nationale Volksarmee der DDR) diente, später in der Bundeswehr war, seine politischen Orientierungen häufig wechselte - und heute als vorbestrafter Arbeitsloser in Nordrhein-Westfalen lebt.
Deutsch-deutsche Erzählungen
Ein deutsches Schicksal, von Voigt sensibel nachgezeichnet - und ein Beispiel dafür, dass eine Figur wie Sven auch stellvertretend für viele stehen kann: "Der Film ist gerade kein Leipzig-Film", sagt Programmleiterin Dr. Grit Lemke. "Wir haben den Film für die Festivaleröffnung ausgewählt, weil er mit enormer emotionaler Wucht beschreibt, wie Menschen den unglaublichen Wandel der letzten 25 Jahre erleben." Auch wenn die Protagonisten aus Leipzig stammten, die Handlung spielt größtenteils in Westdeutschland, so Lemke.
Dokumentarfilme wie der von Andreas Voigt zeigen im besten Fall, wie historischen Zeitläufte und persönliche Lebensgeschichten miteinander verzahnt sind. Davon handeln auch andere Beiträge, die in Leipzig in den kommenden Tagen Premiere feiern. Im Internationalen Wettbewerb werden - aktueller könnte es nicht sein -, zwei Beiträge zur europäischen Flüchtlingskrise gezeigt.
Flüchtlinge: zwischen Hoffnung und Perspektivlosigkeit
In "Lampedusa in Winter" folgt der Österreicher Jakob Brossmann den Inselbewohnern und den auf Lampedusa Gestrandeten. Der Name der Insel ist längst zum Synonym für Asylpolitik geworden, wo Menschen in der Krise versuchen, Humanität zu bewahren. "The Longest Run" (unser Bild oben) von Marianna Economou aus Griechenland führt in ein Gefängnis ihres Landes, in dem zwei an der Grenze aufgegriffene junge Flüchtlinge einer trostlosen Zukunft entgegen blicken.
42.000 Besucher strömten im vergangenen Jahr in die Festivalkinos der Stadt. Eröffnet wurde "DOK Leipzig" 2014 von dem später mit dem Oscar ausgezeichneten Film "Citizenfour" über den Whistleblower Edward Snowden. In diesem Jahr stehen die Themen "Deutsche Geschichte" und "Flüchtlinge" im Mittelpunkt vieler Beiträge. Und zumindest von letzterem lässt sich mit Sicherheit sagen, dass es weiterhin aktuell bleiben wird. Und vielleicht trifft man dann den ein oder anderen Leipzig-Film bei den Oscars 2016 wieder.