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Grenzkontrollen durch Polen: "Gefühl der Asymmetrie"

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
2. Juli 2025

Die Opposition in Polen setzt die proeuropäische Regierung wegen der deutschen Migrationspolitik unter Druck. Mit Kontrollen an der Grenze zur Bundesrepublik will Premier Donald Tusk Härte zeigen und Gegner besänftigen.

Donald Tusk steht an einem Rednerpult und schaut ernst
Donald Tusk - seit Ende 2023 wieder der Regierungschef der Republik PolenBild: Dursun Aydemir/Anadolu/picture alliance

Der polnische Regierungschef Donald Tusk war alles andere als erfreut, als er am Dienstag mit ernster Miene die Einführung von Grenzkontrollen verkündete. "Wir haben die Entscheidung getroffen, die temporären Kontrollen an der Grenze zu Deutschland und Litauen wiedereinzuführen", erklärte Tusk in Warschau. Vom kommenden Montag (07.07.2025) an soll der polnische Grenzschutz, verstärkt durch Polizei und Soldaten, den Personen- und Autoverkehr an der Oder und Neiße kontrollieren.   

Tusk: "Die polnische Geduld ist erschöpft"

"Ich habe bereits im März die deutsche Seite gewarnt, habe darüber auch mehrmals mit dem neuen Bundeskanzler gesprochen", sagte Tusk während einer live übertragenen Regierungssitzung. Die polnische Geduld sei erschöpft, einseitige Maßnahmen der deutschen Seite hätten zu Spannungen geführt und ein "Gefühl der Asymmetrie" auf der polnischen Seite hervorgerufen, begründete er seine Entscheidung.

Bundespolizisten kontrollieren einreisende Autos an der deutsch-polnischen GrenzeBild: John Macdougall/AFP/Getty Images

Tusk reibt sich vor allem an der neuen deutschen Praxis der Zurückweisungen. Das Ziel der Grenzkontrollen sei es, "unbegründete Rückführungen der Migranten aus Deutschland wirksam zu stoppen".   

Für das Vorgehen des liberalkonservativen Regierungschefs, das die Reisefreiheit, eine der wichtigsten Errungenschaften der europäischen Integration, einschränkt, waren vor allem innenpolitischen Gründe ausschlaggebend.

Migrationspolitik dominiert die Debatte in Polen

Die Bedrohung durch illegale Migration und die Situation an der polnischen Westgrenze waren ein wichtiges Thema im Wahlkampf um das Präsidentenamt. Sowohl der rechtskonservative siegreiche Kandidat Karol Nawrocki als auch der rechtsnationalistische Mitbewerber Slawomir Mentzen von der Rechtsaußenpartei Konfederacja warnten vor "kulturfremden" Migranten, die sie mit Gewalttätern gleichsetzen, und forderten die Schließung der Grenze zu Deutschland.  

Die Stadt Guben in Brandenburg - gelegen am Grenzfluß NeißeBild: IMAGO/Jürgen Ritter

In den vergangenen Wochen wurde die deutsch-polnische Grenze wegen der verschärften Migrationspolitik der neuen Bundesregierung zum politischen Brennpunkt. Der nationalistische Aktivist Robert Bakiewicz gründete eine "Bürgerwehr" zur Verteidigung der Grenze. Die selbsternannte Truppe aus Freiwilligen patrouilliert die Grenzregion und jagt Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe auffallen.  

Selbsternannter Grenzschützer jagt Migranten an der Grenze

Bakiewicz wird von den Politikern der rechtskonservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die selbst in der Grenzregion Propaganda gegen die Migranten betreiben, finanziell unterstützt. Der Gründer der Bürgerwehr und seine Leute schrecken nicht davor zurück, die Grenzschutzbeamten wegen ihrer Zusammenarbeit mit der deutschen Seite öffentlich zu kritisieren und zu beleidigen. Als "schändlich und skandalös" kritisierte Tusk solche Vorfälle. Die rechten Medien schlagen Alarm, dass angeblich jeden Tag Tausende Migranten aus Deutschland nach Polen überstellt würden.

Karol Nawrocki, der Kandidat des rechtsnationalistischen Lagers, wurde im Juni zum künftigen Präsidenten Polens gewähltBild: AFP via Getty Images

Der gewählte Präsident Nawrocki, der sein Amt am 06.08.2025 antritt, nahm den selbsternannten Grenzschützer vor Kritik in Schutz. "Ich bedanke mich bei den Verteidigern der Grenze mit Herrn Bakiewicz an der Spitze. Sie erfüllen die Aufgaben des Staates, die die aktuelle Regierung nicht in den Griff bekommt", sagte Nawrocki dem Fernsehsender Polsat.

Test für Tusk

Auch der Anführer des rechtskonservativen Lagers, PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, mischte sich in die Debatte ein. Er schrieb auf X: "Die Deutschen überstellen regelmäßig illegale Migranten auf unsere Seite. Der Staat hat abgedankt. Chaos und Straflosigkeit wachsen Tag für Tag."

Die PiS macht keinen Hehl daraus, dass sie die Migrationspolitik in den Vordergrund der politischen Debatte stellen will. Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2015 hatte dieses Thema wesentlich zum Sieg der Rechtskonservativen beigetragen - und auch später profitierten Kaczynski und seine Partei davon.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski hofft auf ein Comeback seiner Partei bei der Wahl in zwei JahrenBild: Piotr Polak/PAP/picture alliance/dpa

Die Situation an der Grenze wird von Kommentatoren in Polen als ein Test für Regierungschef Tusk bewertet. "Wenn die Regierung die Kontrolle über die Grenze nicht zurückgewinnt und den Polen kein Gefühl der Sicherheit gibt, wird die Unsicherheit zur politischen Munition der Opposition werden", warnt der Kommentator der Zeitung Rzeczpospolita, Jacek Niznikiewicz. Auf den Straßen könnte es zur Selbstjustiz kommen, die Bürgerwehr könnte zum polnischen Ku-Klux-Klan mutieren.

Experten skeptisch - Grenzkontrollen unbegründet

Sein Redaktionskollege Michal Kolanko prophezeit, dass die Themen Migration und Grenze den Wahlkampf vor der Parlamentswahl 2027 dominieren werden. "Der Wahlkampf hat bereits begonnen", schreibt Kolanko und fügt hinzu: "Die [deutsch-polnische] Grenze ist heute zur politischen Front geworden."

Auch Politik-Experten kritisieren Tusks Entscheidung über die Grenzkontrollen. "Die Zahlen sind geringfügig. Die Regierung nennt keine rationalen Argumente für die Grenzkontrollen. Die Kontrollen sind unbegründet", sagt auch Rechtswissenschaftler Witold Klaus von der Polnischen Akademie der Wissenschaften PAN. "Tusk bestimmt nicht die Themen, sondern folgt Stimmungen, die von den Rechten forciert werden", erklärt Adam Traczyk vom überparteilichen Thinktank More in Common Polska, der sich die Erforschung der polnischen Gesellschaft zum Ziel gesetzt hat.

Der Regierungschef aber ließ sich im Verhältnis zu Deutschland immerhin eine Hintertür offen: Wenn Deutschland die Grenzkontrollen, die im September auslaufen, nicht verlängere, werde Polen darauf "symmetrisch" reagieren, sagte Tusk bei der Verkündung seiner Entscheidung.    

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.