1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Grenzkontrollen: Umstrittene Folgekosten

Andreas Becker7. März 2016

Wie groß ist der wirtschaftliche Schaden durch Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Union? Darüber wird heftig gestritten, die Schätzungen gehen weit auseinander.

Symbolbild EU Schengen-Raum Ende Schengener Abkommen
Bild: picture-alliance/dpa/R. Fellens

Die rund 400 Millionen Bürger der 26 europäischen Länder, die den Schengen-Raum bilden, konnten bisher die Grenzen überschreiten, ohne dort kontrolliert zu werden. Doch wegen der Flüchtlingskrise haben zahlreiche Länder wieder Grenzkontrollen eingeführt, Deutschland im November, vorerst bis Mitte Mai.

Dass diese Kontrollen auch einen wirtschaftlichen Schaden verursachen, ist unumstritten. Staus an den Grenzen führen zu Verspätungen beim Warenverkehr, Firmen müssen größere Lagerbestände halten, Pendler brauchen mehr Zeit für die Fahrt zur Arbeit, und Touristen werden abgeschreckt, weil sie Tagestouren in ein anderes Land vielleicht nicht mehr lohnen.

Große Spanne

Die Schätzungen über die Höhe des Schadens gehen jedoch weit auseinander: mal ist von zehn Milliarden Euro die Rede, mal von 235 Milliarden.

Die EU-Kommission warnte am Freitag (04.03.) vor dem Sondergipfel vor "bedeutenden wirtschaftlichen Kosten" in Höhe von fünf bis 18 Milliarden Euro jährlich. Berücksichtigt wurden dabei der Güterhandel, der Pendlerverkehr und der Tourismus.

Der DIHK, die Dachorganisation der 80 deutschen Industrie- und Handelskammern, hatte die Belastungen durch Staus, Wartezeiten, zusätzliche Bürokratie und steigende Lagerkosten Anfang des Jahres noch deutlich höher eingeschätzt. Die Kosten allein für die deutsche Wirtschaft könnten sich demnach "schnell auf zehn Milliarden Euro pro Jahr summieren."

Milliardenschaden

Noch teurer wird es laut einer Studie, die die Bertelsmann Stiftung Ende Februar vorlegte. Zwischen 77 und 235 Milliarden Euro betrage der Schaden allein für die deutsche Wirtschaft innerhalb der nächsten zehn Jahre, also bis zu 23,5 Milliarden Euro pro Jahr. Und das, obwohl die Studie nur den Handel berücksichtigt.

Für die gesamte EU (ohne Luxemburg, Malta, Zypern und Kroatien) rechnen die Autoren mit Einbußen beim Bruttoinlandsprodukt in Höhe von bis zu 143 Milliarden pro Jahr. Dabei gehen sie von der Annahme aus, dass sich die Importpreise innerhalb des gesamten Schengen-Raums durch die Kontrollen um bis zu drei Prozent verteuern.

Auch eine Studie von France Stratégie, einer dem französischen Premierminister unterstellten Institution, geht von rund drei Prozent höheren Importpreisen aus. Langfristig würde der Handel zwischen den Ländern des Schengen-Raums um mehr als zehn Prozent zurückgehen. Die Wirtschaftsleistung der EU wäre um 0,8 Prozent geringer, das entspricht 110 Milliarden Euro.

Selbst die Finanzströme innerhalb der EU könnten beeinträchtigt werden, schreiben die Franzosen, allerdings seien die Effekte "schwer einzuschätzen".

Nehmen wir mal an...

Jede statistische Vorhersage hängt ganz wesentlich von den ihr zugrundeliegenden Annahmen ab. Das macht die verschiedenen Untersuchungen schwer vergleichbar. Ein Beispiel aus der Studie für die Bertelsmann Stiftung: Die Statistiker gehen davon aus, "dass Kontrollen an sämtlichen EU-Binnengrenzen stattfinden", auch wenn derzeit vor allem über Kontrollen entlang der Balkanroute diskutiert wird.

Anschließend lassen die Statistiker verschiedene Szenarien, etwa um drei Prozent höhere Importpreise, durch ihre Software laufen, um die wirtschaftlichen Folgen zu simulieren. Auch dabei wird wieder auf ökonomische Modelle zurückgegriffen, die nur unter bestimmten theoretischen Voraussetzungen stimmig sind.

Die Bertelsmann-Studie enthält nur sieben Literaturverweise, von denen fünf auf wirtschaftliche Untersuchungen verweisen. Die älteste ist aus dem Jahr 1988, drei weitere aus den 1990er-Jahren - einer Zeit also, in der die EU deutlich kleiner war und der Euro noch nicht existierte.

Nur eine Studie ist aus 2016 - und erstellt von eben jenem Pariser Institut France Stratégie, das in seiner eigenen Schätzung zu völlig anderen Zahlen kommt.

Risiko

Das Fazit: Nichts Genaues weiß man nicht. Wohl auch deshalb endet die Untersuchung von France Stratégie mit der allgemeinen Warnung, Grenzkontrollen seien "ein Risiko für die Zukunft des europäischen Projekts".

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte es noch deutlicher formuliert: "Wer Schengen killt, wird im Endeffekt den Binnenmarkt zu Grabe tragen."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema