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Politik

Flüchtlinge zweiter Klasse?

Diego Cupolo, z.Zt. in Idomeni / nm24. November 2015

Während Syrer, Iraker und Afghanen über den Balkan reisen, schauen ihnen Asylsuchende aus anderen Ländern hinterher. Viele demonstrieren nun gegen die neue Grenzpolitik. Diego Cupolo berichtet aus Idomeni.

Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze bei Idomeni Copyright Diego Cupolo/DW
Proteste von iranischen Flüchtlingen im Camp von IdomeniBild: DW/D. Cupolo

Mohamed Abdul-Kadir sitzt am Freitagabend an einem kleinen Lagefeuer. Seine Kinder schlafen neben ihm auf Pappkartons. Es sieht ungemütlich aus. Seit drei Tagen harrt er bereits im Flüchtlingslager Idomeni in Griechenland aus - nur knapp 25 Meter von der mazedonischen Grenze entfernt. Während er hier wartet, ziehen Syrer, Iraker und Afghanen an ihm vorbei in Richtung Deutschland, Schweden oder Österreich. Abdul-Kadir kommt aus Somalia. Die Behörden lassen ihn deshalb die Grenze nicht passieren.

Die Balkanländer Mazedonien, Serbien und Kroatien hatten am vergangenen Donnerstag damit begonnen, nur noch Flüchtlinge aus bestimmten Konfliktgebieten einreisen zu lassen. Die Grenze passieren durften seither nur noch Syrer, Afghanen und Iraker. Somalia ist als sogenannte "konfliktfreie-Zone" eingestuft worden.

Abdul Kadir leidet unter heftigen Rückenschmerzen. "Mir gehörte ein Restaurant und ich wollte nicht mit den Milizen von Al-Shabaab zusammenarbeiten", sagt er. "Also haben sie mich mit ihren Gewehrkolben geschlagen. Am nächsten Tag habe ich zu meiner Familie gesagt, dass wir Somalia verlassen müssen."

"Wenn es bei uns sicher wäre, würden wir sicher nicht hierher kommen", erzählt ein Flüchtling aus PakistanBild: DW/D. Cupolo

Abdul-Kadir ist mit einer Gruppe von 45 Landsleuten unterwegs. Die nun gesperrte Grenze hat sie vor eine völlig neue Situation gestellt. Nicht nur, dass es für sie nicht weitergeht, sie fühlen sich auch gegenüber anderen Flüchtlingen diskriminiert. Beispielsweise hat man sie nicht in die beheizten Zelte gelassen.

Langfristige Vorbereitungen

"Somalia ist seit 25 Jahren im Bürgerkrieg", ärgert sich Abdirashid Ali Malin, ein somalischer Journalist, der in Frankfurt wohnt und im Camp Hilfe leistet. "Aber das interessiert keinen. Menschenrechte sind eben nicht für alle da. Wir sollten alle die Möglichkeit auf ein besseres und sichereres Leben haben. Niemand darf zu uns sagen: 'Ihr seid keine Syrer, also habt ihr keine Menschenrechte.'"

Laut dem Camp-Manager des UNHCR, Luca Guanziroli, reisen jeden Tag zwischen 4000 und 6000 Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan nach Mazedonien. Nach den neuen Regeln kommen andere Nationen aber nicht mehr über die Grenze. Informationen bekommen sie kaum. Viele warten deshalb erstmal in Idomeni ab.

Seit vergangener Woche sei die Kapazität des Lagers um 1000 Plätze erhöht worden. Nun könnten bis zu 2500 Menschen dort unterkommen, erzählt Guanziroli. Dennoch schlafen viele Menschen vor dem Lager auf Pappkartons. Ständig fahren Busse mit neuen Flüchtlingen vor. "Das ist kein Camp, das ist ein Transitcenter", sagt der Camp-Manager. "Das war niemals dafür gedacht, so viele Leute unterzubringen und wir schauen uns aktuell auch nach einem Ort um, wo diese Menschen längerfristig versorgt werden können", so Guanziroli.

Wer ist ein Flüchtling

Ein Großteil der Menschen kommt aus dem Iran und Pakistan. Andere haben den Weg aus Bangladesch, Burkina Faso, Ägypten, Marokko und Nepal auf sich genommen. Jede Gruppe hat ihre Gründe für die Flucht. Sei es wegen eines autoritären Regimes oder weil die Regierungen einfach nichts gegen die Folgen von Naturkatastrophen oder die wirtschaftliche Misere des Landes unternehmen. Jeden Tag macht eine andere Gruppe mit Demonstrationen im Lager auf ihre Notsituation aufmerksam.

Asylsuchende aus Bangladesh protestieren gegen religiösen Extremismus in ihrem LandBild: DW/D. Cupolo

"Die Menschen, die unser Land führen, sind nicht einmal in der Lage, ein Dorf zu managen", klagt Mohsen Adine, ein 27-jähriger Innenarchitekt aus dem Iran. An der linken Hand und am Kopf hat er einen Verband. Er habe sich so geärgert und sei deshalb am Samstagabend während eines Protestzuges auf die Polizei losgegangen. Die hätten ihn dann mit Gummiknüppeln verprügelt. "Ich kann mir meine Landsleute einfach nicht so anschauen und nichts unternehmen", sagt er. "Frauen und Kinder müssen in der Kälte schlafen, während andere Flüchtlinge einfach an uns vorbeiziehen. Auch im Iran gibt es einen Krieg - es ist aber eben nur ein stiller Krieg."

Zehra, eine Iranerin, will ihren wahren Namen nicht nennen, erzählt aber, dass man sie aus ihrem Informatikkurs geworfen hätte, nachdem sie zum Christentum konvertierte. Vor einem Jahr floh sie in die Türkei, arbeitete dort ohne Aufenthaltserlaubnis. Im November ging sie dann zurück, nachdem ihr Vater einen Herzinfarkt hatte. Als die Behörden davon erfuhren, kamen sie vorbei und griffen sie an. "Schau in mein Gesicht", sagt sie und zeigt auf ihre violetten Flecken an ihren Schläfen und Wangen. "Die haben mich geschlagen bis ich zusammengebrochen bin. Als ich die Augen aufmachte, war ich schon auf der Polizeistation. Meine Familie hat dann bezahlt, um mich rauszuholen."

Die Suche geht weiter

Vier Sprachen beherrsche sie und sie würde gerne ihren Abschluss machen, aber in Teheran sei das unmöglich gewesen. Sie will mit ihrer Schwester Asyl beantragen. Deren Anwaltskanzlei wurde geschlossen, nachdem die Behörden erfuhren, dass sie Frauen bei Scheidungen berät. "Iran ist ein gutes Land, aber nicht für Frauen", sagt Zehra. "In meinem nächsten Leben bin ich hoffentlich keine Frau mehr."

Auch gefälschte Pässe sind im Umlauf. Viele denken darüber nach, temporäre irakische Ausweise für umgerechnet 50 Euro zu kaufen, um weiterzukommen. Andere verlieren die Nerven. So wie ein junger iranischer Mann, der sich bei einem Protest am Sonntag die Schlagadern mit einer Rasierklinge aufschlitzen wollte. Ein mazedonischer Polizist verhinderte Schlimmeres.

Absolute Verzweiflung: Nach vier Tagen schnitt sich dieser Mann aus Protest in die PulsadernBild: DW/D. Cupolo

Während Tausende sogenannter Wirtschaftsflüchtlinge auf ihr Schicksal in Idomeni warten, sind viele schon dabei, neue Wege nach Deutschland zu suchen. Am Sonntagabend stieg auch die Hälfte der somalischen Gruppe in einen Bus nach Thessaloniki. Auf die Frage, wohin sie gingen, antworteten sie nur: "An einen anderen Ort."

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