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Grexit? Oder ein neues Hilfsprogramm?

Barbara Wesel, Brüssel13. Juli 2015

Noch immer wird beim Euro-Krisengipfel in Brüssel um Griechenlands Zukunft gerungen. Es geht um 86 Milliarden Euro im Gegenzug für Reformen, die Athen weit mehr abfordern als bisher. Aus Brüssel: Barbara Wesel

Euro-Krisengipfel in Brüssel (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo/G. V. Wijngaert

Gegen Mitternacht waren die Gespräche festgefahren - wenn stimmte, was an Informationsschnipseln die Journalisten aus dem Sitzungssaal der Staats- und Regierungschefs erreichte. Zwei Mal waren die Beratungen der 19 da schon unterbrochen worden, um in kleiner Runde - unter anderem bei Treffen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatschef François Hollande und dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras - einzelne Punkte voranzubringen. Aber greifbaren Fortschritt gab es zu der Zeit noch nicht, außer dass alle Staats- und Regierungschefs sich lebhaft an der Diskussion über die Vorlage der Eurogruppe beteiligten: Je mehr Wortmeldungen, desto länger die Gespräche.

Die Reformliste ist umfassend

Basis der Verhandlungen ist die "Liste der Grausamkeiten", die am Sonntagnachmittag von den Finanzministern der Eurogruppe zusammengestellt und an die Staats- und Regierungschefs zur endlichen Entscheidung weitergereicht worden war. Die internationalen Reaktionen waren teilweise heftig, nachts machte der Hashtag #thisisacoup ("Das ist ein Putsch") den Twitter-Trend. Vor allem in der angelsächsischen Presse wie etwa dem Guardian war von einer "Demütigung der Griechen" die Rede, US-Kommentator Paul Krugman schreibt, das sei "mehr als Rache, das ist die totale Zerstörung der nationalen Souveränität".

Bis zum Mittwoch soll das Parlament in Athen alle Strukturreformen beschließen und teilweise anschieben, die schon immer gefordert und nie umgesetzt wurden: Die Mehrwertsteuer vereinheitlichen, das Pensionssystem reformieren, die Banken restrukturieren, die Stromnetze privatisieren, ein Zivilverfahrensrecht einführen, eine Ausgabenbremse installieren, die berüchtigte Troika der Geldgeber wieder in Athen zulassen, die Unabhängigkeit des Statistikamtes garantieren und - die originellste der Forderungen - die griechische Verwaltung entpolitisieren.

Zusammengeschrieben haben die Finanzminister da den kompletten Katalog der seit dem Beginn der Hilfsprogramme 2010 von den Gläubigern verlangten Reformen, von denen bis heute durch wechselnde Regierungen nur ein Bruchteil abgearbeitet wurde. Die Bedingungen sind weit härter als die Vorschläge von Ende Juni, weil die wirtschaftlichen Bedingungen sich seitdem dramatisch verschlechtert hätten, so hieß es in der Eurogruppe.

Zoff um den Treuhand-Fonds

Gestritten wurde in der Nacht dann noch um weitere Punkte: Die Gläubiger wollen griechische Vermögenswerte im Wert von rund 50 Milliarden Euro in einem Treuhandfonds parken, als Sicherheit für das neue Hilfsprogramm, das etwa 86 Milliarden umfassen soll. Luxemburg wurde als Standort dafür vorgeschlagen - Alexis Tsipras soll dagegen heftigen Widerstand geleistet haben. Der Vorschlag werde vor allem von Deutschland unterstützt und soll zwischendurch die Gespräche blockiert haben, so jedenfalls eine Lesart, die in der Nacht kursierte.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) wandte wohl ein, griechische Vermögenswerte würden nie und nimmer eine solche Summe erreichen und seien höchstens mit sieben Milliarden zu veranschlagen. Die Interpretationen dessen, was in den Verhandlungen passiert, werden von den diversen Sprechern und Diplomaten bestimmt, die gelegentlich bei den Journalisten ihre Runde machen.

Griechenland braucht schnell Geld

Griechische Quellen erklärten, für Tsipras sei das Versprechen der Schulden-Restrukturierung besonders wichtig. Er wolle außerdem den IWF nicht als Teilhaber des neuen Programmes, lehne die Treuhandfonds-Lösung rundheraus ab und wolle vor allem neue ELA-Notfallkredite von der Europäischen Zentralbank (EZB). Und das so schnell wie möglich, weil die griechischen Banken wohl kaum noch Geld haben. Die EZB wiederum macht ihre Unterstützung davon abhängig, dass Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm beginnen. Vorher aber muss das Parlament in Athen das Paket billigen und eine Reihe erster Reformgesetze beschließen. Ist das überhaupt innerhalb von zwei Tagen möglich? Oder muss es vorher eine Regierungsumbildung geben, ohne den linken Flügel von Syriza?

5-Jahres-Grexit findet kaum Freunde

Aus dem Gipfelbeschluss rausgeflogen sein soll dagegen bereits nachts der deutsche Versuchsballon mit einem "Grexit auf Zeit . Das käme für die griechische Seite absolut nicht infrage, hieß es. Frankreich hat hier die Rolle als Hauptbrückenbauer für die Griechen übernommen. Wie tief tatsächlich in dieser Frage der Riss zwischen Paris und Berlin ist, lässt sich noch nicht abschätzen. Die Niederländer wiederum stehen auf der Seite der nördlichen Hardliner und wollen unter anderem eine Revision von Maßnahmen, mit der Syriza Reformen der Vorgängerregierung wieder rückgängig gemacht habe. Gekämpft wird hier auch jedes um Detail, und zwar von beiden Seiten. Dabei bleibt allerdings vorerst offen, wie man Vertrauen und Verlässlichkeit im Verhältnis zu Athen wieder herstellen will. Das sind die Voraussetzungen, die die Bundeskanzlerin am Anfang als wichtigste Währung bezeichnet hatte.

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