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Griechenland: Keine Aufklärung im Abhörskandal

Kaki Bali (aus Athen)
8. August 2024

Mitten in den Sommerferien hat die griechische Staatsanwaltschaft den Abhörskandal beerdigt, der das Land seit zwei Jahre bewegt. Die Menschen sind verunsichert: Kann die Justiz im Land ihrer Aufgabe gerecht werden?

Der Syntagma-Platz im Athener Stadtzentrum mit dem Parlament im Hintergrund. Auf dem Dach des Parlaments weht die griechische Fahne. Auf dem Platz laufen Menschen.
Das griechische Parlament in AthenBild: Sofia Kleftaki/DW

Immer wieder, wenn eine Tragödie oder ein Skandal Griechenland erschüttert, versprechen die Regierenden, dass "die Justiz den Fall klären wird". Das hatte auch Premierminister Kyriakos Mitsotakis zugesagt, als 2022 bekannt wurde, dass mehrere Politiker, Journalisten und Geschäftsleute sowohl vom griechischen Nachrichtendienst EYP legal als auch mithilfe der illegalen Software Predator beschattet wurden. Mindestens 27 Personen wurden laut Recherchen der Journalisten von "Inside Story" seit 2020 fast gleichzeitig legal und illegal abgehört. Unter ihnen waren der Chef der Oppositionspartei PASOK, Nikos Androulakis, der damalige Umwelt- und heutige Finanzminister, Kostis Chatzidakis, und der Chef des Generalstabs der Armee, Konstantinos Floros. Außerdem waren eine hochrangige Ermittlerin der Polizei, die den Mord an dem Journalisten Giorgos Karaivaz aufklären sollte, und mehrere Journalisten unter den Opfern der Überwachung.  

Finanzminister Kostis Chatzidakis wurde bespitzeltBild: Giorgos Kontarinis/Eurokinissi/ANE Edition/IMAGO IMAGES

Nun, mitten in den Sommerferien, während Athen ausgestorben und das ganze Land im Urlaub ist, hat die griechische Justiz "den Fall geklärt" - und alle Beteiligten von jeglichem Fehlverhalten freigesprochen. Am 30.07.2024 gab die Staatsanwältin des griechischen Obersten Gerichtshofs (Areios Pagos), Georgia Adelini, bekannt, ihre Untersuchung habe "keine Beweise" dafür ergeben, dass Politiker oder staatliche Dienste am Kauf oder der Nutzung der israelischen Spionage-Software Predator beteiligt gewesen seien. Die Staatsanwaltschaft hat damit einen juristischen Schlussstrich unter den Abhörskandal gezogen, der auch als "griechisches Watergate" bekannt wurde.

Die Griechen werden nie die Wahrheit erfahren

Es sei purer Zufall gewesen, dass Politiker, Beamte und Journalisten gleichzeitig sowohl legal durch den Geheimdienst EYP als auch illegal durch die auf Smartphones installierte Software Predator ausspioniert worden seien, meint die Staatsanwältin. Die Praktiken des Geheimdienstes seien in jeder Hinsicht legal. Der Geheimdienst dürfte alle möglichen Personen "auf Grund der nationalen Sicherheit" beschatten und abhören, ohne je dafür Rechenschaft ablegen zu müssen. Es reiche, wenn ein Staatsanwalt dem Antrag zur Überwachung genehmige. Allein im Jahr 2021 wurden mehr als 22.000 Anträge bewilligt. 

Die Schließung der Akten bedeutet, dass die griechische Öffentlichkeit nie erfahren wird, warum der Chef der sozialdemokratischen PASOK oder der Generalstabschef vom Geheimdienst abgehört wurden. War das "ein Fehler", wie Premier Mitsotakis 2022 eingeräumt hatte? Oder waren sie tatsächlich eine Gefahr für die nationale Sicherheit? 

Offene Fragen bleiben

Auffällig ist auch die Zurückhaltung der Behörden, die illegalen Lauschangriffe durch die Software Predator zu untersuchen. Das steht in krassem Widerspruch zur sonstigen Praxis in Griechenland, wo jeder, der versehentlich ein Foto einer Kaserne macht, wegen Spionage strafrechtlich verfolgt wird. Viele Fragen bleiben nach der Schließung der Akten nun unbeantwortet: Geht es bei dem Skandal nur um die Verletzung des Kommunikationsgeheimnisses, wie es in einer Erklärung des Obersten Gerichtshofs hieß? Und wer hat die Abhörmaßnahmen eigentlich veranlasst? Fremde Kräfte oder jemand aus dem Büro des Premierministers? 

Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hat den Geheimdienst unter seine unmittelbare Kontrolle gebrachtBild: Tayfun Salci/ZUMA Press/picture alliance

Durch eine umstrittene Reform, die im Juli 2019 kurz nach der Regierungsübernahme durch die konservative Partei Nea Dimokratia (ND) verabschiedet wurde, wurde der EYP dem Regierungschef direkt unterstellt.

Letzte Hoffnung Europa

Nikos Androulakis will die Hoffnung nicht aufgeben. Der Oppositionspolitiker will endlich Aufklärung. Darum legte er erneut Berufung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Ein paar Tage nach der Ankündigung der Staatsanwältin des Obersten Gerichtshofs sprach der PASOK-Chef im Parlament über die "Verseuchung" der griechischen Justiz. Androulakis beschuldigte den Premierminister persönlich, zuerst die Geheimdienste und nun auch die Justiz infiziert zu haben und sprach von einem doppelten Skandal, einem "Überwachungsskandal und einem Vertuschungsskandal".

Der Chef der oppositionellen PASOK, Nikos Androulakis, bei einer Rede im Jahr 2023Bild: Stefanos Rapanis/ANE/Eurokinissi/picture alliance

Alle Oppositionsparteien - mit Ausnahme derjenigen, die rechts von der regierenden ND stehen - protestierten gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft und forderten, dass die Chefanklägerin Adelini vor dem zuständigen Parlamentsausschuss Rede und Antwort stehen müsse. Doch die Regierung wies dies mit ihrer parlamentarischen Mehrheit zurück. 

Kein Vertrauen in die Justiz

Kein Wunder also, dass das Vertrauen der Griechen und Griechinnen in die Justiz zusehends schwindet. Laut einer Umfrage für das Institut Eteron anlässlich des 50. Jahrestages der Wiederherstellung der Demokratie in Griechenland vertrauen nur 29,4 Prozent der Justiz des Landes. Nachdem der Oberste Gerichtshof die Abhöraffäre ad acta gelegt hat, sind keine Verbesserungen zu erwarten. Im Gegenteil. Die Hellenische Union für Menschenrechte, der einzige Watchdog für die Qualität der Rechtsprechung im Land - stellte fest, "dass die Haltung der Staatsanwaltschaft ernste Fragen hinsichtlich der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Justiz insbesondere bei politisch sensiblen Themen" aufwerfe. 

Eine heikle Freisprechung 

Tief besorgt äußerte sich auch der Vorstand des Journalistenverbands ESIEA. Die Staatsanwaltschaft habe bei ihren Ermittlungen anscheinend nicht die Erkenntnisse der journalistischen Recherchen genutzt. Nach mehr als zwei Jahren bleibe die Schlüsselfrage für die Pressefreiheit im Lande daher unbeantwortet: Wie wird sichergestellt, dass Journalisten nicht länger Ziel von illegaler Überwachung sind? Wie wird sichergestellt, dass Journalisten ihren Job in Sicherheit ausüben können?

Der Investigativ-Journalist Giorgos Karaivaz wurde 2021 in Athen ermordetBild: Angelos Tzortzinis/AFP via Getty Images

Dass diese Fragen bisher nicht zufriedenstellend beantwortet werden konnten, zeigt auch der Fall Giorgos Karaivaz. Der investigative Journalist, der auf Organisierte Kriminalität spezialisiert war, wurde am 9.04.2021 auf offener Straße ermordet. Zwei Jahre danach wurden seine mutmaßlichen Auftragsmörder festgenommen. Doch am 31.07.2024 wurden sie von einem Schwurgericht in Athen mehrheitlich für nicht schuldig befunden und freigelassen. Von dem Drahtzieher des Mordes an Karaivaz gibt es immer noch keine Spur. Die für die Mordermittlung zuständige Polizeibeamtin war ebenfalls ein Opfer der Bespitzelung durch EYP und Predator. 

Der Journalistenverband ist sehr besorgt, weil "das Gefühl der Straflosigkeit für die Morde an Journalisten wächst", und fordert vehement Gerechtigkeit für Giorgos Karaivaz.