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PolitikEuropa

Griechenland: Abschreckung statt Asyl

Florian Schmitz Thessaloniki
5. Februar 2022

Regelmäßig mahnt die EU die griechische Regierung, mehr Möglichkeiten zur Integration von Migranten zu schaffen. Doch Athen macht es Flüchtlingen immer schwerer. Hilfsorganisationen dagegen helfen bei Eingliederung.

Ein dunkelhaariger junger Mann mit Mund- und Nasenschutzmaske arbeitet an einer weißen Nähmaschine
Hassan aus Pakistan ist anerkannter Flüchtling in Griechenland und arbeitet als SchneiderBild: Florian Schmitz/DW

Jobs für Geflüchtete in Griechenland

02:16

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Mit ruhiger Hand führt Hassan die beiden Stoffbahnen unter der Nadel seiner elektrischen Nähmaschine hindurch. Für ihn ist das Routine. Trotz seiner gerade mal 18 Jahre verfügt Hassan bereits über reichlich Berufserfahrung. In seinem Herkunftsland Pakistan fing er mit 13 in einer Kleiderfabrik an, um das Überleben seiner Familie zu sichern. Die ersten drei Jahre unbezahlt, erklärt er, denn die gelten in Pakistan als Ausbildung.

Ab dem 16. Lebensjahr arbeitete Hassan in verschiedenen Textilfabriken bis zu 16 Stunden täglich an sechs Tagen der Woche für umgerechnet etwa 50 Euro im Monat. Zur schlechten wirtschaftlichen Lage kam, dass seine Familie zur diskriminierten bengalischen Minderheit in Pakistan gehört: "Ich hatte dort keine Rechte," erklärt Hassan, "ich musste weg, ich war in Lebensgefahr."

Blick in eine Textilfabrik in PakistanBild: Getty Images/AFP/A. Hassan

Im November 2018 kam Hassan als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling nach Griechenland. Die ersten drei Monate lebte er als Obdachloser auf den Straßen Athens, später kam er bei Migranten unter, die er in der Zwischenzeit kennengelernt hatte. Dann griff die Polizei ihn auf, er wurde von einem Lager ins nächste gebracht - Papiere aber gab man ihm nicht. Über einen Bekannten erfuhr er von einer griechischen Hilfsorganisation für Minderjährige, die ihm dabei half, sich zu registrieren.

Zudem organisierte ihm eine Sozialarbeiterin einen Platz in einem EU-finanzierten Wohnprogramm in Thessaloniki und stellte den Kontakt zur deutsch-griechischen Hilfsorganisation Naomi her. Dort arbeitet er seit einem halben Jahr gemeinsam mit sechs weiteren anerkannten Flüchtlingen in einer Textilwerkstatt und stellt nachhaltige Mode her. Bei Naomi gelten geregelte Arbeitszeiten und der Lohn ist fair. Hassan ist dankbar: "Der griechische Staat hat mir Rechte und Papiere gegeben. Und ich habe diese Arbeit. Das macht mich sehr glücklich und hat so viele meiner Probleme gelöst."

Integration als Ausnahme

Dorothee Vakalis ist die Leiterin von Naomi. In den 1970er Jahren kam sie als evangelische Pfarrerin aus Norddeutschland nach Thessaloniki. Inzwischen ist die über 70-Jährige eigentlich pensioniert - doch angesichts der schwierigen Situation, in der Menschen auf der Flucht wie Hassan in Griechenland leben, konnte sie nicht untätig bleiben. "Bei Naomi kriegen Menschen die Möglichkeit, ihr Leben in Griechenland zu planen, ihre Kinder in die Schule zu schicken und selbst ein Teil der Gesellschaft zu werden," erklärt Vakalis.

Dorothee Vakalis leitet die deutsch-griechische Hilfsorganisation NaomiBild: privat

Solche Projekte seien in Griechenland leider die Ausnahme. Die wenigen, die es gebe, seien privat organisiert. Vakalis ist schockiert über die Lage der Flüchtlinge in ihrer Wahlheimat. Staatliche Programme gebe es faktisch nicht. "Ich habe das englische Wort 'deterrence', also ‘Abschreckung', erst in den vergangenen Jahren gelernt", erklärt die Flüchtlingshelferin der DW. "Mir wird immer klarer, dass die gesamte Politik in Griechenland die Abwehr von Flüchtlingen zum Ziel hat."

Pushbacks und Förderung der Weiterwanderung

In der Tat ist das Land, das gerne mit seiner Gastfreundschaft um Touristen wirbt, für Menschen auf der Flucht alles andere als ein sicherer Ort. Eine kürzlich veröffentlichte Recherche des Hamburger Nachrichtenmagazins Der Spiegel und der investigativen Forschungsinitiative Forensic Architecture (FA) zeigt, dass griechische Behörden bei Pushbacks an der Grenze des EU-Landes zur Türkei äußerst brutal vorgehen. Migrierende werden in geheimen Gefängnissen ohne Nahrung oder Zugang zu Toiletten festgehalten und geschlagen. Das Ziel: Den Menschen gar nicht erst die Möglichkeit geben, einen Asylantrag zu stellen. Dies aber ist laut griechischem und internationalem Recht illegal.

Ein Polizist auf einem Wachturm des Flüchtlingscamps auf der griechischen Insel Kos im November 2021 Bild: Aris Messinis/AFP

Für Menschen, die es trotzdem schaffen, einen Asylantrag zu stellen, ist die Situation häufig kaum besser: Ende Oktober 2021 prangerten 27 Menschenrechtsorganisationen in einem offenen Brief an, dass gut 60 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner der von EU-Geldern finanzierten Flüchtlingscamps in Griechenland keinen Zugang zu finanzieller oder materieller Hilfe mehr hätten. Dazu gehörten sowohl Antragsteller, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, als auch anerkannte Flüchtlinge.

Die haben laut einem Gesetz vom März 2020 in Griechenland kein Anrecht auf Unterstützung - müssen aber gleichzeitig die Wohnmöglichkeiten für Asylbewerber verlassen. Deshalb reisen viele weiter nach Westeuropa und stellen dort einen zweiten Asylantrag - was eigentlich unzulässig ist. Aufgrund der katastrophalen Zustände in Griechenland aber verboten 2021 mehrere deutsche Gerichte Rückführungen in das südosteuropäische Land.

Zugang zum Asylverfahren erschwert

Die in Thessaloniki ansässige Hilfsorganisation Mobile Info Team (MIT) kritisiert Athens Flüchtlingspolitik harsch. Eine im November 2021 eingeführte Regelung verunmögliche es vielen Migranten endgültig, überhaupt Asyl zu beantragen. Bisher mussten Asylbewerber zunächst als ersten Schritt der Antragsstellung über den Internetdienst Skype mit der Asylbehörde kommunizieren. Es hätte bis zu 14 Monate gedauert, dort überhaupt einen Termin mit einem Sachbearbeiter zu bekommen - und somit Anrecht auf Hilfsleistungen zu erhalten.

MIT-Mitarbeiterin Corinne Linnecar kritisiert den immer härteren Umgang Athens mit Menschen auf der FluchtBild: privat

Am 22. November 2021 hat das griechische Migrationsministerium das Skype-System abgeschafft - ohne die Hilfsorganisationen im Land über diese Änderungen zu informieren. Seitdem könnten sich Asylbewerber auf dem Festland faktisch nur noch im Aufnahme- und Identifikationszentrum Fylakio an der türkischen Grenze registrieren. MIT-Mitarbeiterin Corinne Linnecar kritisiert, dass dieser Ort für einen Großteil der Betroffenen nur schwer oder gar nicht zu erreichen sei - und vermutet, dass es der Regierung in Athen auch gar nicht um Erreichbarkeit gehe: "Das neue System zwingt Menschen in Einrichtungen, in denen sie keinen Kontakt zur griechischen Bevölkerung haben - und somit auch keine Möglichkeit, sich in die griechische Gesellschaft zu integrieren," sagt Linnecar der DW.

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