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Politik

Flüchtlingskrise: Griechenland bleibt allein

8. Dezember 2016

EU-Staaten sollen Migranten, die über Griechenland kommen, bald wieder zurückschicken dürfen. Dabei ist das Land schon jetzt überfordert, weil die zugesagte Umverteilung in die EU ausbleibt. Bernd Riegert aus Brüssel.

Griechenland Hotspot Flüchtlingscamp Internierung
Flüchltingslager Moria auf Lesbos: Warten auf die AbschiebungBild: picture-alliance/dpa/O. Panagiotou

"Ich bin nicht gerade der glücklichste Mensch auf Erden", sagte der EU-Kommissar, Dimitris Avramopoulos, in Brüssel, als er die neuste Bilanz zur Flüchtlings- und Migrationspolitik der Europäischen Union vorlegte. Die EU-Mitgliedsstaaten nehmen nach wie vor viel zu wenige Asylbewerber aus den "Frontstaaten" Griechenland und Italien auf, wo die meisten Migranten und Flüchtlinge ankommen.

Die Umverteilung, zu der die Mitgliedsstaaten theoretisch verpflichtet sind, stockt. Bis Oktober 2016 wollten die EU-Staaten insgesamt 160.000 Menschen umverteilen. So hatten sie es mit großer Mehrheit auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im September 2015 beschlossen. Passiert ist seither fast nichts. 8000 Asylsuchende wurden in einem Jahr umgesiedelt, also gerade einmal fünf Prozent der angestrebten Zahl.

"Die Flüchtlingskrise ist aber nicht vorbei", sagte Dimitris Avramopoulos. "Sie hat heute nur eine andere Gestalt als vor einem Jahr." Damals kamen die Menschen über die Balkanroute bis nach Mitteleuropa. Heute sammeln sie sich hauptsächlich in Griechenland und in Italien. In Italien sind fast genauso viele Migranten per Boot angekommen wie im letzten Jahr. In Griechenland warten 70.000 Menschen in unzureichenden Lagern auf ihre Asylverfahren, ihre Umsiedlung oder Abschiebung. Die Zustände in den griechischen Lagern entsprechen teilweise nicht europäischen Standards, wie die DW am Mitwoch berichtete. Die EU-Kommission und Griechenland haben Projekte angeschoben, um die Zeltlager wenigstens winterfest zu machen und die Flüchtlinge und Migranten mit warmer Kleidung zu versorgen.

Avramopoulos: Ich bin nicht glücklichBild: picture alliance/AP Photo/D. Vojinovic)

Kein Zwang gegen säumige Staaten

Die EU-Kommission will die Geschwindigkeit der Umverteilung aus Griechenland und Italien in andere EU-Staaten kräftig steigern. Jeden Monat sollen aus Griechenland 2000 und aus Italien 1000 Menschen in die übrigen Mitgliedsstaaten geschickt werden. Der EU-Migrationskommissar hatte das schon öfter angekündigt. Doch auch diesmal will er es bei Appellen belassen. "Wir sind noch nicht soweit, dass wir Sanktionen oder Druckmittel anwenden wollen", sagte Avramopoulos. Theoretisch könnte die Kommission Vertragsverletzungsverfahren gegen Staaten wie Polen, Ungarn, Dänemark, die Slowakei und Tschechien einleiten, die keine Flüchtlinge aufgenommen haben. Aber auch die allermeisten anderen Staaten haben die ihnen zugewiesenen Quoten nicht erfüllt. Lieber reden die Staats- und Regierungschefs Ungarns oder Polens von "flexibler" Solidarität. "Es passiert rein gar nichts", bestätigen EU-Diplomaten. Griechenland und Italien würden mit dem Problem alleine gelassen.

Von März an Abschiebungen nach Griechenland

Der Druck auf Griechenland wird sich von März an für das Land sogar noch erhöhen. Ab dem 15. März 2017 sollen Migranten oder Asylbewerber, die über Griechenland und die Balkanroute nach Österreich, Slowenien, Ungarn oder Bulgarien gelangen von dort wieder nach Griechenland zurückgeschoben werden, so wie das der Dublin-III-Verordnung zu Asylverfahren entspricht. Das war bislang ausgesetzt worden, weil die Zustände in Griechenland nicht europäischen Standards und Rechtsnormen entsprachen. Das sieht die EU-Kommission jetzt anders. Griechenland müsse mehr tun, um seine Asylverfahren zu beschleunigen. Die Landesgrenzen zu Albanien und Mazedonien müssten mit Hilfe der neuen EU-Grenzschutztruppe besser gesichert werden. Dann könne die Dublin-III-Regel zur Rückführung von Migranten auch wieder angewendet werden, meinte EU-Kommissar Avramopoulos. Dieses Verfahren, das besonders Deutschland, Österreich und Ungarn verlangt hatten, soll von März an aber nur auf volljährige Neuankömmlinge angewendet werden und nicht auf Migranten oder Flüchtlinge, die bereits heute in der EU angekommen sind.

Türkei erfüllt den Deal, Griechenland nicht

Die Türkei hält sich, trotz aller anders lautenden Drohungen aus Ankara und der Spannungen zwischen der Türkei und der EU, an den sogenannten Flüchtlingsdeal aus dem März diesen Jahres. Es kommen jeden Tag nur noch rund 80 Migranten über die Ägäis aus der Türkei auf die griechischen Inseln. Griechenland schafft es aber nicht, diese Menschen wie im Abkommen mit der Türkei vorgesehen auch wieder zurückzuschicken. Das Asylsystem auf den griechischen Inseln arbeitet so langsam, dass bis heute nur 95 syrische Flüchtlinge von Griechenland in die Türkei abgeschoben wurden. Die EU-Kommission drängt Griechenland, die Verfahren zu beschleunigen. Geld und Personal sei von der EU dafür ausreichend gestellt worden. "Die Türkei setzt alles um, aber Griechenland erfüllt die EU-Seite des Abkommens nicht", urteilen EU-Diplomaten in Brüssel.

Die Türkei erhält die zugesagten EU-Finanzhilfen für die Versorgung von Flüchtlingen im eigenen Land. Die Beitrittsverhandlungen wurden aber nicht wie zugesagt intensiviert. Die Türkei wartet weiter auf Visa-freien Reiseverkehr für ihre Bürger. Die EU-Kommission sieht die Voraussetzungen für die Visa-Liberalisierung noch immer nicht erfüllt. Unter anderem müssten die Anti-Terror-Gesetze entschärft werden. Nach dem niedergeschlagenen Militärputsch und der anschließenden Verhaftungswelle in der Türkei sehen EU-Diplomaten im Moment auch die politischen Bedingungen für eine Visafreiheit nicht gegeben. Das Europäische Parlament hatte kürzlich sogar empfohlen, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vorläufig auszusetzen.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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