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Politik

Griechenland: Die Stunde der Unternehmer?

9. September 2018

Mit Steuersenkungen will Ministerpräsident Alexis Tsipras nach den Sparmaßnahmen punkten. Unternehmer begrüßen das und hoffen auf bessere Wettbewerbsfähigkeit. Mit höheren Löhnen hoffen sie, Fachkräfte im Land zu halten.

Thessaloniki Eröffnung International Trade Fair
Bild: DW/F. Schmitz

Mehr Optimismus in Griechenland

02:40

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Rot-weiß-blaue Fähnchen wehen über Thessalonikis zentraler Egnatia-Straße. Es ist der erste Tag der 83. Internationalen Handelsmesse in Griechenlands zweitgrößter Stadt. Schwerpunktland in diesem Jahr: die Vereinigten Staaten. Nach fast einem Jahrzehnt Wirtschaftskrise ist es die erste Messe nach Auslaufen des internationalen Rettungsprogramms. Von einer "neuen Ära" schwärmte Ministerpräsident Alexis Tsipras im Beisein von US-Handelsminister Wilbur Ross, der auf Stippvisite kam. Dieser sprach von vielen Möglichkeiten der Zusammenarbeit - und lobte Griechenland für die vorbildliche Rolle als NATO-Mitglied.

Der hohe Besuch aus den USA, die vielen lobenden Worte aus Brüssel, Paris und Berlin: An den griechischen Messeständen sieht man das skeptisch: "Ich glaube nicht, dass sich etwas ändert. Das haben wir auch schon in den letzten Jahren gehört und es ist heute sogar schlechter", klagt die Mitarbeiterin eines Lebensmittelhändlers. Die Gehälter seien schlecht, das Leben teuer. Sie habe keine Hoffnung auf Besserung.

Realpolitiker im Wahlkampfmodus

Mit entsprechend gemischten Gefühlen erwartete man Tsipras' Rede am Samstag. Traditionell stellt der griechische Ministerpräsident am Eröffnungsabend der Messe das Wirtschaftsprogramm für das kommende Jahr vor. Für den amtierenden Regierungschef, der sich 2019 zur Wahl stellen muss, ein Drahtseilakt: "Heute, drei Jahre nach der schwierigen Einigung mit den Geldgeberländern, kann ich zum ersten Mal mit Sicherheit sagen: Wir haben die richtige Entscheidung getroffen." Gemeint ist damit auch das Referendum, mit dem er die Griechen 2015 über das dritte Kreditprogramm abstimmen ließ. Mehr als 60 Prozent stimmten dagegen. Dann einigte sich Tsipras doch mit der Troika - gegen den Willen der Wähler.

Demos gegen Arbeitslosigkeit, Gewalt gegen die Anerkennung "Mazedoniens"Bild: Reuters/A. Avramidis

Seitdem hat er bei den europäischen Partnern den Ruf eines verlässlichen Realpolitikers. Bei den Griechen aber hat er an Popularität stark eingebüßt. Und so jubiliert Tsipras "Unser Land steht jetzt wieder auf eigenen Beinen", während im Zentrum der Stadt Polizeistaffeln Demonstranten mit Tränengas in Schach halten. Nationalisten protestierten gewaltsam gegen den Kompromiss im Namensstreit mit dem nördlichen Nachbarn Mazedonien. Gewerkschaften demonstrierten gegen Arbeitslosigkeit und Sparpolitik.

Eine gute Gelegenheit?

Tsipras verspricht dagegen Investitionen in die aufstrebende Digitalwirtschaft und in klassische Sektoren wie Tourismus und Landwirtschaft. Er stellt höhere Löhne in Aussicht. Der Aufschwung solle sich nach den harten Jahren nun bei jedem bemerkbar machen. Und: Keine weitere Rentenkürzung sowie die Halbierung der verhassten Immobiliensteuer ENFIA.

Die erste Handelsmesse in Thessaloniki nach dem Ende der RettungsprogrammeBild: DW/F. Schmitz

Fraglich, ob Tsipras mit diesen Worten bei Wählern wie Nikos Giuris punkten kann. Giuris ist Inhaber einer Design- und Kommunikationsagentur in Thessaloniki, die Geschäfte laufen gut. Doch die hohen Steuern lassen kaum etwas von den Gewinnen übrig. Tsipras' Friedensangebot: Senkung der Unternehmenssteuer von derzeit 29 auf 25 Prozent. Senkung der Mehrwertsteuer von 24 auf 22 Prozent. Und auch die teuren Renten- und Versicherungsbeiträge für Selbständige sollen nach unten korrigiert werden. "Wir werden sehen, was in den nächsten Monaten passiert", sagt Giuiris zögerlich. Versprechungen kennt man in Griechenalnd. Entsprechende Taten eher nicht.

Auch für Pavlos Terkenlis waren die Jahre der Krise hart. Er ist Inhaber einer der bekanntesten Bäckereien des Landes, ein Familienbetrieb mit mehr als 450 Beschäftigten. "Wir hatten vor allem mit der geringen Kaufkraft zu kämpfen. Außerdem war das Bankensystem zusammengebrochen. Man wusste nie, was der nächste Tag bringen würde", beschreibt Terkenlis die Situation.

"Wir haben in den harten Jahren investiert", sagt Unternehmer Pavlos TerkenlisBild: DW

Im Gegensatz zu Giuris hat Terkenlis seit Jahrzehnten eine feste Kundschaft im Rücken. Ein wichtiger Vorteil. Doch dass das Traditionsunternehmen die Krise überlebt hat, liegt für Terkenlis vor allem an einem: "Wir haben in den harten Jahren Geld in unsere Geschäfte investiert und unser Modell entwickelt, statt zu sparen." Das Ende des Kreditprogramms sieht er als "eine gute Gelegenheit". Die Griechen hätten während der letzten Jahre viel gelernt, auch in puncto Realismus. Jetzt sei Athen an der Reihe, die fiskalische Philosophie überdenken: "Ja. Wir müssen Steuersünder bestrafen. Doch wir müssen auch Menschen belohnen, die sich korrekt verhalten." Ehrlichkeit, sagt Terkenlis, müsse sich endlich bezahlt machen.

Das neue Interesse am Balkan

Neben Steuergeschenken aber steht noch ein weiterer Punkt auf Tsipras' Agenda. Seit Jahren arbeitet er an einer besseren Beziehung zu den nördlichen Nachbarn, um die Wirtschaft in der Region anzukurbeln: "Thessaloniki könnte durch die strategische Lage das wirtschaftliche Zentrum des Balkans werden", frohlockte der Ministerpräsident. Der Hafen von Piräus ist in chinesischem Besitz. Mit einem endgültigen Anschluss des Balkans an den Westen würde man, zum Ärger Russlands, die Landweglücke zwischen China und Zentraleuropa schließen. Doch entsteht so automatisch Wachstum?

Handel allein bringt keinen Wohlstand, weiß Athanasios Savvakis, Präsident des Industrieverbandes Nordgriechenlands: "Der Balkan ist für Nordgriechenland ein natürlicher Markt. Unsere Unternehmen sind bereits jetzt mit allen Ländern dort vernetzt, auch mit FYROM (Anm. d. Red.: Former Yugoslavian Republic of Macedonia)." Um davon endlich zu profitieren, pocht auch Savvakis auf Steuersenkungen und höhere Löhne. "Wir haben viel Potenzial. Aber Fachkräfte wandern aus und kommen nicht wieder, weil sie im Ausland einfach mehr verdienen."