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Griechenland: Die Wiederkehr der ehemaligen Regierungschefs

21. Oktober 2025

Zwei Ex-Premiers mischen die Athener Politik auf: der Linke Tsipras wagt einen Neustart und der Konservative Samaras macht Stimmung gegen eine Annäherung an die Türkei. Der Druck auf die Regierung Mitsotakis wächst.

Alexis Tsipras steht an einem Mikrofon beim 5. Thessaloniki Metropolitan Summit am 5.09.2025
Alexis Tsipras will mit einer neuen Partei zurück in die PolitikBild: Ayhan Mehmet/Anadolu/picture alliance

Ein ungeschriebenes Gesetz der Athener Politik lautet: Als ehemaliger Regierungschef soll man lieber die große Bühne vermeiden und sich mit Kommentaren oder Belehrungen zurückhalten. So war es jedenfalls bisher. Seit der Wiederherstellung der Demokratie in Griechenland im Jahr 1974 hat sich fast jeder Ex-Premier daran gehalten.

Für den ehemaligen Linkspremier Alexis Tsipras, der Griechenland von 2015 bis 2019 auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise regierte, ist Schweigen jedoch keine Option. In den letzten Jahren war es zwar still um ihn geworden. Doch nun arbeitet das einstige Idol der griechischen Linken an einem Comeback.

Nach vielen Gerüchten bestätigte Tsipras schließlich selbst, dass er eine neue Partei gründen will: Anfang Oktober verkündete er seinen Rückzug aus der linken Oppositionspartei SYRIZA, deren Vorsitzender er bis Juni 2023 war, und gab sein Parlamentsmandat auf. Daraufhin erklärte der Ex-Premier im Interview mit der linksgerichteten Efimerida ton Syntakton, er wolle "eine Neuordnung der progressiven Opposition, die heute ihrer Rolle in der Gesellschaft nicht gerecht werden kann". Eine Neuordnung unter seinem Kommando, versteht sich. 

Ein Politiker, der "direkt" mit dem Volk spricht

Der Abgang von Tsipras sei ein Todesurteil für SYRIZA, sagt Politikwissenschaftler Levteris Koussoulis im Gespräch mit der DW. Denn: "Aktuell erreicht SYRIZA in Umfragen knapp vier Prozent und käme nur mit Mühe und Not ins Parlament, sollten heute Wahlen stattfinden." 

Jetzt will Tsipras direkt "mit den Bürgern sprechen". Wie damals, im Sommer 2015, als er und sein Finanzminister Yanis Varoufakis ein Referendum gegen die Sparpolitik ansetzten, den Aufstand gegen die internationalen Gläubiger probten - am Ende jedoch kläglich scheiterten.

Für die europäische Politik war Alexis Tsipras zunächst ein Albtraum Bild: Spiegel

"Tsipras hat damals das Richtige getan, aber er war völlig auf sich allein gestellt", sagte Martin Schirdewan, Fraktionsvorsitzender der Linken im EU-Parlament, der DW im vergangenen Sommer. Die in Athen seit 2019 regierenden Konservativen sehen das natürlich anders. "Ich kämpfe dafür, dass Griechenland nicht wieder zur Lachnummer Europas wird - wie damals, als Sie das Land regierten", donnerte neulich der konservative Premier Kyriakos Mitsotakis in Richtung Linksopposition bei einem Schlagabtausch im Parlament. 

"In der Athener Politik gibt es derzeit ein großes Vakuum", klagt der Politikwissenschaftler Koussoulis. Vor allem die Opposition sei geschwächt und zersplittert wie selten zuvor. Davon profitiere nicht nur der konservative Regierungschef Mitsotakis, sondern auch der Linkspolitiker Tsipras, dessen neue Partei laut Umfragen bis zu 20 Prozent der Wähler ansprechen könnte.

Gratulation zum Wahlsieg von Erhürman

Mit Spannung werden nun die Erinnerungen über das Herzstück der Regierungszeit Tsipras erwartet. Seine Autobiographie erscheint im November. Der Verleger Kostas Dardanos schürte im Wirtschaftsportal Naftemporiki.gr die Spannung: "Über die Schuldenkrise haben bereits alle möglichen Leute geredet und ihr Urteil abgegeben. Nun ist es Zeit, dass auch Alexis Tsipras, der Protagonist jener Zeit, seine Version der Geschichte wiedergibt." Auch über die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hat er angeblich einiges zu erzählen.

Zudem will der Linkspolitiker ab sofort zu wichtigen Themen Stellung nehmen. Etwa zur Präsidentenwahl im Norden Zyperns am vergangenen Sonntag (19.10.2025): Tsipras wünschte dem Wahlsieger Tufan Erhürman "viel Kraft" und spricht von "Erwartungen für eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche" auf der geteilten Insel.

Populäre Stimme rechts der Konservativen  

Eine griechisch-türkische Annäherung mit dem Segen von Tsipras? Derartiges ruft sofort einen anderen Ex auf den Plan: Antonis Samaras, Galionsfigur der Konservativen und Regierungschef von 2012 bis 2015.

Antonis Samaras im Juni 2023 - damals noch im Wahlkampf für die Nea DimokratiaBild: Giorgos Arapekos/NurPhoto/picture alliance

Seit Jahren kritisiert der ehemalige Premier die "Außenpolitik der Beschwichtigung" und die angeblichen "Zugeständnisse" Athens an alle Nachbarländer. Zur Weißglut brachte ihn das "Prespa-Abkommen", mit dem Tsipras und sein nordmazedonischer Kollege Zoran Zaev 2018 den Namensstreit um das Nachbarland beendeten. Eine mögliche Annäherung Griechenlands an die Türkei ist Samaras erst recht ein Dorn im Auge.

Ende 2024 hat Premier Mitsotakis die Notbremse gezogen und den notorischen Kritiker aus der konservativen Partei Nea Dimokratia (ND) ausgeschlossen. Seitdem hat Samaras seine fundamentale Kritik an der Politik des konservativen Rivalen verstärkt. "Griechenland ist marginalisiert und international abwesend, als hätten wir unsere eigene Außenpolitik aufgegeben", sagte er der Athener Zeitung Ta Nea im vergangenen Mai. 

Laut Medienberichten in Athen ist die Gründung einer "patriotischen" Partei unter seiner Führung nur eine Frage der Zeit. "In der Tat spricht vieles dafür, dass Samaras eine eigene Partei gründet", befindet auch Politikwissenschaftler Koussoulis. Dadurch würde zusätzlicher Druck von rechts auf die regierenden Konservativen entstehen. Wichtige außenpolitische Entscheidungen würden erschwert, aber vermutlich nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen, glaubt der Athener Analyst.

Ein System der Vetternwirtschaft

Bleibt noch eine Frage zu klären: In der Regel genießen Politiker a.D. ihre Freizeit oder ihre Rente - oder sie suchen sich einen lukrativen Job in der Privatwirtschaft. Warum sind derzeit ausgerechnet in Griechenland zwei Ex-Premiers darauf erpicht, in die aktive Politik zurückzukehren?

"Gäbe es eine echte innerparteiliche Demokratie hierzulande, dann würden wir bestimmt auch neue Gesichter in hohen Parteiämtern sehen", meint Politikbeobachter Koussoulis. In einem System der Vetternwirtschaft sei dies jedoch nicht so einfach. Die Folge: "Immer wieder kehrt das alte Personal mit angeblich neuen Ideen auf die große Bühne zurück."