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Griechenland diskutiert über Migration und Integration

Kaki Bali (aus Athen)
23. Juni 2025

Die griechische Regierung will keine Asylbewerber und Flüchtlinge aus Deutschland zurücknehmen. Dabei braucht das Land eigentlich dringend Arbeitskräfte aus dem Ausland und die Integration von Zuwanderern.

Drei Männer in blauen Jacken bzw. einem blauen T-Shirt mit der Aufschrift Frontex auf dem Rücken stehen vor dem Eingang eines Flüchtlingslagers auf der Insel Kos. Auf dem blauen Schild über dem breiten Eingang steht auf Griechisch und Englisch: "Closed Controlled Access Center of Kos". Daneben wehen eine griechische und eine EU-Fahne im Wind
Das Flüchtlingslager auf der griechischen Insel KosBild: Aris Messinis/AFP/Getty Images

Der Held dieses Sommers in Griechenland heißt Goga Levian. Der 41-jährige Mann aus Albanien sprang am 10. Juni in den Fluss Arachthos, um zwei ertrinkende Kinder zu retten. Aus acht Meter Tiefe zog er die kleinen Jungen aus dem Wasser. Für seine Heldentat soll er die griechische Staatsbürgerschaft erhalten.

Die Frage ist aber, warum er sie nicht schon längst hat. Denn "Leo", wie man ihn im kleinen Ort Neoxori Artas nennt, wo er lebt, arbeitet seit 24 Jahren in Griechenland. Er hat hier geheiratet, seine Kinder, zehn und sechs Jahre alt, sind hier geboren und besuchen die Schule im Dorf.

Trotzdem muss Leo alle drei Jahre seine  Aufenthaltsgenehmigung verlängern, beim Migrationsamt in der Schlange stehen, viel Zeit, Geld und Nerven verschwenden. Genauso wie hunderttausende Migrantinnen und Migranten, die seit Jahrzehnten in Griechenland leben und arbeiten.

Dabei waren die Großeltern vieler Griechen selbst Flüchtlinge - und die Eltern von vielen waren Gastarbeiter in Westeuropa. Doch trotz dieser Erfahrungen mit Migration und Exil ist Integrationspolitik im Land ein unbekanntes Wort. Die Regierungen der letzten 30 Jahre haben es nicht einmal geschafft, den Aufenthaltsstatus von Zuwanderern dauerhaft zu regeln.

Restriktive Einwanderungspolitik

Die konservative Regierung von Kyriakos Mitsotakis präsentiert sich gegenüber Flüchtlingen und Zuwanderern streng und unnachgiebig - so wie es im Moment europaweit en vogue ist.

Der frühere Migrationsminister Dimitris Keridis, der nur ein Jahr im Amt war, hatte 2023 kleine Versuche unternommen, das Migrationsrecht zu verbessern. So bekamen nicht legal eingereiste Menschen, die in Griechenland lebten und nachweislich drei Jahre lang gearbeitet haben, die Möglichkeit einer dreijährigen Aufenthaltserlaubnis. Doch diese Maßnahme wurde vom jetzigen Migrationsminister Makis Voridis, der eine schillernde rechtsextreme Vergangenheit hat, im Jahr 2025 wieder rückgängig gemacht. 

Der griechische Migrationsminister Makis Voridis will die Gesetze verschärfenBild: Giannis Panagopoulos/ANE/picture alliance

Voridis präsentiert sich als Kämpfer gegen illegale Migration und für die Verteidigung der Grenzen. Den Plänen der Bundesregierung, aus Drittländern wie Griechenland eingereiste Zuwanderer zurückzuschicken und Neuankömmlingen die Einreise zu verweigern, stoßen bei ihm auf Ablehnung. Dabei dürfte es um höchstens 30-40.000 meist junge Männer gehen, die Griechenland gut gebrauchen könnte. 

Vorbild Spanien

Griechische Unternehmer, besonders im Tourismus, Bau- und Agrarbereich, suchen verzweifelt nach Arbeitskräften. Derzeit arbeiten viele anerkannte Flüchtlinge, darunter auch die geretteten Menschen aus dem Schiffbruch vor Pylos im Jahr 2023, auf den Baustellen von Elliniko. Hierbei handelt es sich um ein großes Bauprojekt auf dem Gelände des alten Flughafens von Athen, für das immer neue Arbeiter gesucht werden. 

Darum warnt auch der oberste Bankie Griechenlands vor falschen Entscheidungen in der Migrationspolitik. Giannis Stournaras, Chef der griechischen Zentralbank, ist davon überzeugt, dass Einwanderung für Griechenland existentiell ist. "In einer Zeit, in der eine alternde Bevölkerung und die Unfähigkeit, wichtige Arbeitsplätze zu besetzen, die wirtschaftliche Stabilität und den sozialen Zusammenhalt bedrohen, können Migranten diese Lücken schließen und sowohl traditionelle Sektoren als auch aufstrebende Industrien stärken", schrieb er am 6. Juni in der Zeitung Ta Nea.

Der Chef der Griechischen Zentralbank, Giannis StournarasBild: Wassilis Aswestopoulos/imago images

Stournaras schwärmt von dem Beispiel Spaniens, das eine der schnellsten BIP-Wachstumsraten in der Europäischen Union aufweist. In Spanien beabsichtigt die Regierung, die Legalisierung von bis zu 900.000 Migranten in den nächsten drei Jahren zu erleichtern und "erkennt damit ihre Rolle bei der Erhaltung und Förderung des sozialen und wirtschaftlichen Wohlstands an", so der Zentralbank-Gouverneur. 

"Die Menschen wollen nach Deutschland”

Griechenlands Problem ist also nicht zu viel, sondern zu wenig Einwanderung. Trotzdem wird nichts unternommen, um Flüchtlinge, die Asyl bekommen haben, und Arbeitsmigranten und -migrantinnen, die bereits im Land leben, in Griechenland zu behalten und zu integrieren. Im Gegenteil, man ist froh, wenn die Menschen weiter nach West- und Nordeuropa ziehen.

Lefteris Papagiannakis, Chef des griechischen Flüchtlingsrats (Greek Council for Refugees, GCR) und Vize-Bürgermeister der Stadt Athen für Einwanderungsfragen, sagte im Gespräch mit der DW: "Das Argument der Regierung lautet: 'Was können wir tun? Die Menschen wollen nach Deutschland gehen, das ihnen mehr gibt.' Und sie gehen legal mit Reisedokumenten." Das allerdings hält er für inakzeptabel: "Dieses Argument ist albern. Man sollte die griechischen Behörden fragen: 'Haben Sie den Menschen einen Anreiz gegeben, in Griechenland zu bleiben?' Die Antwort lautet: Nein."

Viele Flüchtlinge kommen mit seeuntüchtigen Schiffen nach Griechenland, wie hier vor der Küste des PeloponnesBild: Griechische Küstenwache/Eurokinissi/ANE/picture alliance

Sogar das Programm HELIOS für Wohnungs- und Integrationshilfe für anerkannte Flüchtlinge, das von der EU-Kommission finanziert wird, läuft laut Papagiannakis, im Moment nicht. 

Der Chef des Flüchtlingsrats ist empört über die Einstellung des griechischen Migrationsministers zur Integration von Migranten und Flüchtlingen. "Voridis spricht nie von Integration, er hat das Wort nur ein einziges Mal im Parlament ausgesprochen, und zwar um zu sagen, dass die Integration gescheitert ist. Damit bezieht er sich jedoch offenbar auf andere Länder, denn in Griechenland haben wir schließlich keine Integrationsprogramme”, fügt er hinzu.  

Immer weniger Einwanderung nach Griechenland

Dabei wäre Zuwanderung für Griechenland dringend nötig. Denn im Moment fehlen auf dem Arbeitsmarkt mehr als 200.000 Arbeitskräfte. Die Zahl der Migranten in Griechenland ist in den letzten zehn Jahren jedoch drastisch gefallen. So ist beispielsweise die am besten in die griechische Gesellschaft integrierte Gruppe, die der albanischen Einwanderer, von 700.000 auf 350.000 zurückgegangen.

Ein Grund ist die träge Bürokratie, die das Leben der Migranten und Migrantinnen zur Hölle macht. Im Moment warten 300.000 Anträge legaler Migranten auf Erteilung oder Verlängerung abgelaufener Aufenthaltsgenehmigungen auf Bearbeitung.

Voridis' Vorschläge für ein neues und restriktiveres Einwanderungsgesetz wird diese Situation noch verschlimmern. Er plant, das bestehende Gesetz aufzuheben, das 2014 von derRegierung Antonis Samaras (2012-2015) verabschiedet wurde und die Legalisierung illegaler Einwanderer ermöglichte, sofern sie sich seit sieben Jahren in Griechenland aufhalten.

Die illegale Einwanderung will der Minister kriminalisieren und die Strafen dafür auf bis zu fünf Jahre Gefängnis erhöhen. Eine solche Maßnahme ist auf den ersten Blick jedoch völlig undurchführbar. Laut Voridis hat die Polizei im vergangenen Jahr 74.000 illegale Einwanderer festgenommen, die dann jedoch wieder freigelassen wurden, weil ihr illegaler Aufenthalt keine Straftat war.

In welche Gefängnisse sollten sie nun gebracht werden, wenn sich die Gesetzeslage ändert und sie sich allein durch ihre Anwesenheit in Griechenland strafbar machen? Die griechischen Gefängnisse haben eine Kapazität von 12.000 Insassen und sind schon überfüllt.