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Politik

Erinnern an NS-Verbrechen in Griechenland

28. Dezember 2021

Eine virtuelle Ausstellung vereint Kunst und Geschichte, um ein neues Licht auf die Zeit der deutschen Besatzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg und ihre Folgen zu werfen.

Zweiter Weltkrieg - Angriff NS-Deutschland auf Griechenland
April 1941: Deutsche Kampfflugzeuge über der Akropolis in AthenBild: dpa/picture alliance

Gespaltene Erinnerungen

03:32

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Überall in Griechenland finden sich Spuren, die an die deutschen Besatzung 1941-1944 erinnern. Schätzungsweise eine halbe Million Menschen kamen um, die große jüdische Gemeinde der nordgriechischen Metropole Thessaloniki, einer Stadt, die lange den Beinamen "Jerusalem des Balkans" trug, wurde beinahe komplett ausgelöscht. Die Schneise der Zerstörung, die Hitlers Wehrmacht hinterließ, mündete in den blutigen Bürgerkrieg 1946-1949, der das Land bis heute ideologisch spaltet.

In Deutschland weiß man wenig über die Qualen Griechenlands im Zweiten Weltkrieg. Zur gemeinsamen Annäherung an das Thema fand bereits 2016 die Ausstellung "Gespaltene Erinnerungen 1940-1950: Zwischen Geschichte und Erfahrung" in Thessaloniki statt. Organisiert hatten sie das dortige Goethe-Institut, das Museum für Moderne Kunst (MoMUS), das Jüdische Museum der Stadt und das NS-Dokumentationszentrum Köln.

Vor Corona: Blick in die Ausstellung "Gespaltene Erinnerungen" in Thessaloniki 2016Bild: Stefanos Tsakiris

2021 sollte diese Ausstellung nach Köln kommen - doch dann kam Corona dem Vorhaben in die Quere, so dass man auf eine Online-Version auswich. Zwar musste das Material dazu im Vergleich zur physischen Ausstellung ein gutes Stück abgespeckt werden. Trotzdem spannt die virtuelle Ausgabe ein dichtes Netz aus Alltagsgegenständen, historischen Dokumenten, Texten, Biografien und Kunstwerken, die für diesen Anlass extra digitalisiert wurden.

Besucher können sich durch 21 Ausstellungsräume klicken - vom Griechisch-Italienischen Krieg 1940-41 über den Widerstand gegen und die Befreiung von den deutschen Besatzern, die Geschichte der jüdischen Gemeinde Griechenlands bis zu der des Bürgerkriegs. Die klug kuratierte Flut von Informationen macht deutlich, wie brutal die deutsche Besatzung war. Durch ein Kaleidoskop von Momentaufnahmen des dunkelsten Kapitels deutsch-griechischer Geschichte soll den Besuchenden die Möglichkeit gegeben werden, nicht einfach zu beobachten, sondern sich dem Gefühl der Zeit anzunähern.

Neue Wege des Gedenkens

Von ihrem Büro im Museum für Moderne Kunst am Hafen von Thessaloniki kann die Kunsthistorikerin Thouli Misirloglou auf den Freiheitsplatz schauen. Dort trieben die deutschen Besatzer im Juli 1942 rund 9000 jüdische Männer zusammen, um sie zu quälen und zu demütigen. Durch das Fenster kann man schemenhaft das Holocaust-Mahnmal erkennen. Es erinnert an die Auslöschung der jüdischen Gemeinde der Stadt. 96 Prozent ihrer 50.000 Mitglieder wurden in Hitlers Todeslagern ermordet.

Die Kunsthistorikerin Thouli Misirloglou ist eine der Kuratorinnen der AusstellungBild: Florian Schmitz/DW

Misirloglou leitet die Abteilung "Experimentelle Kunst" des Museums und hat gemeinsam mit ihrem Kollegen Danny Zacharopoulos die Ausstellung kuratiert. Kein einfaches Unterfangen bei einem so schwierigen Thema. In vielen ihrer Landsleute kocht die Wut über das geringe Interesse Nachkriegsdeutschlands an Griechenland. Doch auch Griechenland tut sich schwer mit der Aufarbeitung seiner Geschichte. Der eigene Nationalismus lässt wenig Raum für die jüdischen Opfer der deutschen Besatzung.

Durch die Augen von Künstlern

Für Misirloglou liegt das Spannungsfeld vor allem im Untertitel der Ausstellung: "Zwischen Geschichte und Erfahrung". Dabei ginge es um Erfahrung im Sinne einer persönlichen und ästhetischen Annäherung über die Kunst und die Schicksale von Künstlern während der Zeit der Besatzung und des Bürgerkriegs. "Die Worte dieser Menschen waren lange Zeit in Schweigen gehüllt", erklärt Misirloglou. Griechenlands eigener ideologischer Kampf zwischen Linken und Rechten, der im Bürgerkrieg gipfelte, bestimmt bis heute den öffentlichen und politischen Diskurs. Stimmen, die nicht in diese Agenda passen, werden bis heute meist ignoriert.

Giannis Tsarouchis Bild "Die Festnahme dreier Kommunisten" von 1944Bild: Stiftung Giannis Tsarouchis, Archiv-Nr. 796

Misirloglou erhofft sich durch die wissenschaftlich-ästhetische Annäherung an das Thema einen Prozess, der herrschende ideologisch-politische Sichtweisen durchbricht und konstruktive Auseinandersetzungen ermöglicht: Tatsächlich geht es in der Ausstellung nicht um kollektive Trauer, sondern um individuelles Erleben; nicht um Statistiken, Opfer oder Helden, sondern um Stimmen von Zeitzeugen, die bisher außer Acht gelassen wurden. Ihre Sichtweise soll das bisherige Wissen erweitern und das kollektive Trauma am Beispiel Einzelner verdeutlichen.

Wenig Fokus auf Judentum

Kaum zehn Minuten entfernt vom Hafen von Thessaloniki befindet sich das Jüdische Museum der Stadt. Dort geht es nicht um die Vernichtung der Juden in Griechenland, sondern um deren Geschichte und darum, wie sie seit über 2000 Jahren das Leben mitprägten. Museumsdirektor Evangelos Chekimoglou hat der virtuellen Ausstellung Exponate zur Verfügung gestellt. Mit dem Titel aber kann er wenig anfangen: "Für uns gibt es keine gespaltenen Erinnerungen. Es ist einfach ein Fakt, dass 45.000 Juden der Stadt in Auschwitz ermordet wurden."

Illustration aus der Zeitung 'Ethnos': Deutsche Soldaten deportieren griechische JudenBild: privat

Chekimoglou fällt es schwer, sich mit der Ausstellung zu identifizieren: "Das jüdische Museum hat nur einen Teil beigetragen, der eigenständig ist. Mit dem Rest haben wir nichts zu tun." Er wirkt enttäuscht darüber, dass der Geschichte des griechischen Judentums nicht mehr Aufmerksamkeit zuteilwird. Nach der Vernichtung der Juden von Thessaloniki hätte man sich in Griechenland jahrzehntelang nicht mit dem Thema beschäftigt, erklärt er. Erst seit kurzem würde die Erinnerung an sie an die Oberfläche drängen.

Deutsche Wissenslücken

Die Historikerin Annemone Christians-Bernsee vom NS-Dokumentationszentrum in Köln erfährt immer wieder, dass dieser Prozess über 70 Jahre nach Kriegsende auch außerhalb Griechenlands noch lange nicht beendet ist: "Ich habe mich intensiv mit der Geschichte des Drittes Reichs und der Verfolgung der Europäischen Jüdinnen und Juden beschäftigt", sagt sie der DW, "aber die Dimension und der schreckliche Beiname Thessalonikis als 'Stadt der Vernichtung' war mir vorher persönlich nicht bekannt."

Nikos Engonopoulos, Souvenir of the Occupation oder Rendez-vouz allemand, Öl auf LeinwandBild: Privatsammlung

Die Verbrechen von SS und Wehrmacht in Griechenland seien ein Nischenthema der deutschen Geschichtswissenschaft und spielten im Bewusstsein der Deutschen keine Rolle: "Das Thema hat die deutsche NS-Forschung erst in den Jahren 2000-2010 erreicht hat", so Christians-Bernsee zur DW. Die Ausstellung "Gespaltene Erinnerungen" sei einer der ersten Versuche, sich dem Komplex anzunähern.

Neu seien dabei der Fokus auf Thessaloniki und die Darstellung des Griechischen Bürgerkriegs als Konsequenz der nazideutschen Besatzung durch die Kombination von Kunst, Biografien und geschichtlichen Daten: "Es geht darum, wie Zeitgenossen diese Verbrechen, die Verfolgung und auch die Zeit nach dem Abzug der deutschen Wehrmacht und dem dann folgenden Bürgerkrieg erlebt haben", so Christians-Bernsee.

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