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Politik

Im Lager regiert die Angst vor dem IS

Judit Neurink ch
3. November 2018

Sie entkamen dem Terror des IS in ihrer Heimat. Doch in griechischen Flüchtlingslagern klagen Jesiden und andere Minderheiten über Gewalt von IS-Extremisten. Judith Neurink sprach in Malakasa mit Betroffenen.

Griechenland Malakasa Flüchtlingslager
In griechischen Flüchtlingslagern wie hier in Malakasa bei Athen verbreiten IS-Anhänger offenbar Angst und SchreckenBild: Getty Images/M. Bicanski

"Wenn die Afghanen herausbekommen, dass ich Jeside bin, werden Sie mich bei lebendigem Leib verbrennen. In ihren Augen sind wir keine Menschen." Kheiri Zabri, 37, wirft einen besorgten Blick nach draußen, als sich die Gardinen seines Wohnwagens im Wind bewegen. Seit Dezember lebt er mit seiner Frau Zairan und ihren drei jungen Töchtern in einem Lager in Malakasa, etwas außerhalb der griechischen Hauptstadt Athen.

Das kleine Lager ist überfüllt mit Flüchtlingen. Viele von ihnen stammen aus Afghanistan und Syrien. Neuankömmlinge leben in Zelten, während zusätzliche feste Unterkünfte gebaut werden.

Letzten Monat brach eines Nachts vor seinem Wohnwagen ein Kampf aus, an dem etwa hundert Syrer und Afghanen beteiligt waren. Dabei wurde ein 31-jähriger syrischer Flüchtling getötet, acht weitere wurden verletzt. Die griechische Polizei nahm Dutzende Betroffene fest.

Zabri berichtet der DW, dass während der Massenschlägerei vor seinem Wohnwagen weder die Polizei, die außerhalb des Lagers stationiert war, noch die Armee von der Basis nebenan eingegriffen habe. Er und seine Familie lebten nun in Angst, ebenso wie die drei anderen jesidischen Familien im Flüchtlingslager. Sie alle sind Mitglieder der religiösen Minderheit, die im Irak vom IS verfolgt wurde.

Angst vor IS-Extremisten im Lager Malakasa: der jesidische Flüchtling Kheiri Zabri und seine Frau Zairan - zu ihrer eigenen Sicherheit hat die DW ihre Gesichter verpixeltBild: DW/J. Neurink

Außer den Familien leben im Lager Malakasa große Gruppen einzelner Männer. "Sie spielen um 3 Uhr morgens Fußball. Wir können uns nicht einmal beschweren. Als unsere Nachbarn das getan haben, wurden sie angegriffen", sagt Zabri.

Die Peiniger reisen mit

Aber es geht um mehr als um tyrannische Flüchtlinge, die andere Menschen im Lager einschüchtern. Im Irak hatte Zabri keine Angst, als der IS am 3. August 2014 sein Dorf angriff. Es war eines von zwei jesidischen Dörfern, in denen die Männer sich den Islamisten entgegenstellten. Die Dorfbewohner kämpften, bis Ihnen die Munition ausging. Vierzig Männer starben, zwei von Ihnen Familienangehörige Zabris. Ein weiterer Cousin wurde in Mossul enthauptet.

Zabri flüchtete mit seiner Familie in die Kurdengebiete im Irak. Doch er verließ das Flüchtlingslager dort wieder. Er traute dem Bekenntnis der Kurden nicht mehr, die Jesiden zu schützen. Denn kurz bevor der IS 2014 in der Provinz Sindschar einmarschierte, zogen sich die kurdischen Truppen von dort zurück.

Und obwohl sieben Familienmitglieder 2015 bei der Überfahrt über die Ägäis von der Türkei nach Griechenland ums Leben kamen, überwand Zabri im vergangenen Jahr seine Angst und bestieg mit Frau und Kindern das Boot eines Schleppers. "Wir dachten, es ist besser zu sterben, als anderswo nicht in Sicherheit leben zu können. "

Dass sie ihre Peiniger nicht hinter sich lassen konnten, ahnte er nicht.

Der jesidische Flüchtling Hussein Khidher und seine Frau Ilhan: Die IS-Leute sind hier, weil sie Kriminelle sind, nach denen ihre Regierungen suchen Bild: DW/J. Neurink

"Viele Leute hier gehörten zum IS, vor dem wir geflohen sind", erklärt auch der 29-jährige Hussein Khidher. Im Lager Malakasa heißt es, der Angreifer, der im vergangenen Monat den syrischen Mitflüchtling tötete, sei vom IS.

"Sie nennen uns Kafir, Ungläubige," sagt seine Frau Ilhan. In der winzigen Küche bereitet sie ein einfaches Mittagessen aus Fleisch und Reis zu. Sie erzählt von einer Syrerin aus dem Lager, die sie gewarnt habe. Die Frau war aus der noch immer vom IS kontrollierten Stadt Deir El-Zour geflohen. "Sie hat mich gewarnt, in der Öffentlichkeit nicht schlecht über den IS zu sprechen, weil es hier so viele von ihnen gibt. "

Islamisten schüren Angst

Ihr Mann erinnert sich an Gespräche in der Warteschlange vor der Essenausgabe im Lager Moria auf Lesbos. Dort  verbrachten sie die ersten zwei Monate nach ihrer Landung in Griechenland. Während des Ramadan hatten radikale Muslime in Moria versucht, Nicht-Fastende zu bestrafen. Das veranlasste viele Kurden und Jesiden dazu, das Camp zu verlassen. Einige von ihnen landeten dann in Malakasa.

Der 29-jährige Khidher spricht Arabisch und Farsi. Er hörte, wie Araber und Afghanen andere als Ungläubige bezeichneten. "Sie nannten sogar Griechenland und andere europäische Länder die Heimat der Ungläubigen. Was wollen sie also hier? Sie sind hier, weil ihre Regierungen nach Ihnen suchen, weil sie Kriminelle sind."

Ayad Khidher Khano, 27, kam vor einem Jahr ins Lager Malakasa. Er war "Küchenchef" im Lagerbereich für Familien auf Lesbos. "Die Situation dort ist die gleiche wie in Sindschar", sagt er der DW. "Der IS, den wir im Irak hatten, ist jetzt hier. Ich kann Ihnen jemanden zeigen, der in Falludscha Bomben gelegt hat." Falludscha war die erste Stadt, die der IS 2014 im Irak besetzt hatte.

Er musste miterleben, wie der IS in Sindschar 27 Mitglieder seiner Großfamilie tötete. Die Erinnerung an das Blutbad im August 2014 ist noch immer frisch. "Sie benutzten Messer, um Munition zu sparen."

Jesidischer Flüchtling Ayad Khano: Der IS, den wir im Irak hatten ist jetzt hierBild: DW/J. Neurink

Der Gebetsruf des Muezzin tönt von einem Zelt, das als Moschee genutzt wird, lautstark über das Lager. "Ich bin stolz, Jeside zu sein. Aber nicht hier. Hier sage ich, ich bin kurdisch," bekennt Khano. Die anderen Familien tun das gleiche. Nur wenn sie mit Dolmetschern sprechen, denen sie vertrauen, verraten sie ihre wirkliche Identität.

Doch sein syrischer Nachbar aus Deir El-Zour erkannte ihn an dem rot-weißen Faden um sein Handgelenk, ein jesidischer Brauch. "Er erzählte mir, dass unsere jesidischen Frauen in Syrien unter ihrer Kontrolle sind, dass sein Bruder eine Jesidin als Sklavin hält."

Mehr als 6000 jesidische Männer wurden vom IS getötet. Mehr als 6000 jesidische Frauen und Kinder entführt und versklavt oder vom IS zum Kämpfen gezwungen. Nur die Hälfte von Ihnen konnte bisher entkommen. Die meisten jesidischen Familien im Lager Malakasa vermissen noch immer Angehörige.

Behörden ignorieren Bedrohung

Khano sagt, er habe sich wegen der Drohungen und der Angst um seine Familie an Hilfsorganisationen und das griechische Ministerium für Migration gewandt. "Aber niemand kümmert sich um uns. Sie sagen: 'Wir können nichts für euch tun'."

Lager Moria auf Lesbos: Hier sollen radikale Muslime versucht haben, während des Ramadan Nicht-Fastende zu bestrafenBild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Laut Carolina Nikolaidou, Sprecherin der internationalen Organisation für Migration in Athen, entscheiden die griechischen Behörden darüber, welcher Flüchtling wohin geht. Aber Sie vermutet, dass jesidische Familien, die sich als Kurden ausgaben, für eine gewisse Verwirrung gesorgt haben könnten.

Um die Situation im Lager Malakasa zu beruhigen, plane das Ministerium, Flüchtlinge einiger Nationalitäten zu verlegen. Aber noch sei nicht klar, ob das auch die Jesiden betreffen wird.

Griechische Behörden untersuchten den Vorwurf, dass an dem Aufstand im Lager Malakasa islamistische Radikale mit Verbindungen zum IS beteiligt waren. Es seien aber keine konkreten Beweise gefunden worden, berichteten griechische Medien.

Auf Lesbos teilte die griechische Polizei der Website eKathimerini.com mit, dem Onlineableger der Athener Zeitung Kathimerini: "498 ausländische Staatsangehörige sind seit Anfang des Jahres wegen verschiedener Verbrechen verhaftet worden, aber keiner hatte glaubwürdige Verbindungen zum islamistischen Terrorismus."

Angesichts der Bedrohungen durch den IS hatten jesidische Aktivisten versucht, Angehörige ihrer Volksgruppen aus den Lagern herauszubringen. Europaparlamentarier halfen, die Verlegung von 700 Jesiden nach Portugal zu arrangieren.

Doch die Vereinbarung scheiterte, weil griechische und EU-Behörden sich weigerten, bestimmten Flüchtlingsgruppen eine Sonderbehandlung zu gewähren.

Terror im Flüchtlingscamp

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