Griechenland: Der Niedergang der Linken setzt sich fort
11. November 2024Der vorläufig letzte Akt des Dramas der untergehenden griechischen Linkspartei Syriza spielte sich in einem Nachtclub in Athen ab. Dort fand am Freitag (8.11.2024) ein außerordentlicher Parteitag statt, um den Weg für die Wahl des neuen Parteivorsitzenden zu ebnen.
Die Neuwahl war nötig geworden, nachdem Parteichef Stefanos Kasselakis Anfang September (7.09.2024) nach nur einem Jahr im Amt abgesetzt worden war. Doch der Ex-Reeder und Ex-Banker ließ sich nicht so einfach abservieren und wollte erneut antreten. Seine Anhänger versuchten, die Delegierten unter Druck zu setzen, damit sie seine erneute Kandidatur akzeptierten.
Es kam zu chaotischen Szenen, als Hunderte von sogenannten "Kasselistas" versuchten, den Tagungsort zu stürmen. Es gab Handgemenge, Schubsereien, verbale Angriffe und Buhrufe. Schließlich wurden Polizei und Feuerwehr gerufen, um für Sicherheit zu sorgen.
Die Mehrheit der Delegierten lehnten den Antrag der Kasselistas ab und entschied, dass Kasselakis bei den für den 24. November 2024 angesetzten Wahlen nicht erneut für den Parteivorsitz kandidieren kann. Der Ex-Syrizachef hatte in seiner kurzen Amtszeit den Unmut vieler Parteimitglieder auf sich gezogen, weil er nie bereit war, in den bestehenden Gremien zu arbeiten und seine politischen Vorschläge dort zur Diskussion zu stellen. Statt dessen wollte er sich unmittelbar an das Volk wenden, über Tiktok, Facebook oder durch die direkte Ansprache auf der Straße.
Inmitten der Unruhen auf dem Parteitag wurden dagegen vier andere Kandidaten formell bestätigt: die Parlamentsabgeordneten Sokratis Famellos und Pavlos Polakis, der Europaabgeordnete Nikolas Farantouris und der Schauspieler Apostolos Gletsos. Doch nach Einschätzung von Beobachtern wird keiner von ihnen in der Lage sein, die ehemals starke "Koalition der radikalen Linken" wieder zu vereinen und wieder in das politische Rampenlicht zurückzuführen.
Der "Diener" einer neuen Partei
Der abgesetzte Parteivorsitzende Kasselakis kündigte daraufhin am Samstag (9.11.2024) die Gründung einer neuen Partei an. Vor einer jubelnden Menge erklärte er, dass Syriza ihr demokratisches Kapitel abgeschlossen habe und eine neue Kraft entstehen müsse. "Heute ist ein Freudentag, denn es entsteht eine Bewegung der Demokratie, der freien Bürger und des Fortschritts", sagte er und wünschte den Verbleibenden in Syriza "viel Glück".
Kasselakis Auftritt wurde begleitet von der Sängerin Sophia Vossou, die ihr Lied "Es wird wie Frühling sein" vortrug. Als Frühling präsentierte dann auch der Politiker die Gründung seiner neuen Partei, die eine offene Partei sein werde, progressiv und unabhängig. "Wir schaffen eine Bewegung aus der Gesellschaft für die Gesellschaft", erklärte er. Seine Anhänger sollten auch über den Namen der neuen Partei entscheiden. "Die Partei wird euer sein, und ich werde euer Diener sein", so Kasselakis.
Populistische Parolen
Die neue Partei soll nach Worten ihres Gründers "populär und nicht elitär" sein. Sie soll auch rechte Bürger ansprechen, die "vielleicht nicht mit dem Interventionismus bei den Staatsausgaben einverstanden sind, oder mit unserer Haltung zu vielen sozialen Fragen, aber die wollen, dass dieses Land rechtsstaatlich ist, Reformen durchführt und soziale Gerechtigkeit durchsetzt".
Kasselakis Ideen für die neue Partei sind nicht besonders neu: ein bisschen wirtschaftsfreundlich, ein bisschen nationalistisch, ein bisschen "gegen Brüssel" und keine Spur von links. Doch ob er es damit schafft, eine breite Wählerschaft anzusprechen, muss sich erst erweisen. Sehr wahrscheinlich ist es aber nicht, denn es gibt genügend populistische Parteien in Griechenland, der Wettbewerb wird entsprechend hart sein.
Vier Mandate weniger
Mit Kasselakis verließen vier der 35 Abgeordneten die Syriza-Fraktion. Damit verfügt die Oppositionspartei noch über 31 Mandate im 300-Sitze-Parlament Griechenlands, soviel wie die sozialdemokratische Pasok-Partei. Es wird jedoch erwartet, dass weitere Abgeordnete die Fraktion verlassen werden und Pasok damit die neue stärkste Oppositionsfraktion wird.
Bei der letzten Parlamentswahl im Juni 2023 hatte die Pasok nur 11,84 Prozent der Stimmen enthalten und es sah nicht so aus, als ob sie zu ihrer alten Kraft als jahrelange Regierungs- oder starke Oppositionspartei zurückfinden könnte. Inzwischen hat sich Pasok etwas erholt und Syriza sich selbst demontiert.
Der unsichtbare Alexis Tsipras
Syriza hatte die Wahl im Juni 2023 dramatisch verloren und war von 31 auf 17 Prozent gefallen. Ihr Vorsitzender Alexis Tsipras war zurückgetreten, sein Nachfolger, der Reeder und Bankier Kasselakis mit Wohnsitz in den USA aus dem Nichts an die Spitze der Partei gewählt worden. Seitdem ist die Partei in giftige Machtkämpfe verwickelt. Im November 2023 verließen Hunderte von Mitgliedern Syriza, darunter elf Parlamentsabgeordnete, und gründeten die Partei Neue Linke, die es jedoch nicht schaffte, bei den Europawahlen 2024 über die Drei-Prozent-Hürde zu springen. Auch für Syriza waren die Europawahlen ein Desaster, sie fiel auf unter 15 Prozent.
Diese Niederlage, kombiniert mit Kasselakis Narzissmus und seinen Ansichten über Wirtschaft, NATO und Israel, die als weit entfernt von denen der Linkspartei angesehen werden, hatte die neue Krise und die nächste Spaltung quasi vorprogrammiert. Nun ist diese Spaltung da und die Situation der ehemals größten Partei der Europäischen Linken scheint irreparabel zu sein.
Und was tut Alexis Tsipras? Der ehemalige Parteichef, der nach der Niederlage bei den Wahlen im Juni 2023 zurückgetreten war, sieht dem Zerfall seiner Partei seit 15 Monaten zu, ohne sich einzumischen. Er erscheint nicht auf Parteitagen, erlaubt es aber Genossen, in seinem Namen zu sprechen. Wie andere ehemalige Ministerpräsidenten in Griechenland gründete er ein Institut, das seinen Namen trägt.
Statt mit Syriza befasst sich Tsipras nun mit dem Balkan und versucht, auf internationalen Foren Ideen zur Bewältigung der Krisen in der Region vorzuschlagen. Vielleicht hofft er, irgendwann als Retter der progressiven Kräfte wieder auf die politische Bühne zurückkehren zu können.