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PolitikEuropa

Griechenland: Mit (Voll)-Gas gegen die grüne Wende?

19. April 2023

Bei ihrem Antritt vor knapp vier Jahren versprach die konservative griechische Regierung eine grüne Energiewende. Doch die Umsetzung des Vorzeigeprojekts stockt. Inzwischen setzt Athen sogar wieder verstärkt auf Gas.

Griechenland Energiewende
In der nordgriechischen Region Ptolemaida wird seit den 1950er Jahren Braunkohle abgebautBild: Florian Schmitz/DW

Noch raucht es aus einigen Türmen der riesigen Braunkohlekraftwerke in Ptolemaida. Die Region in Nordgriechenland ist geprägt vom Tagebau. Aus riesigen, offenen Löchern in der Erde wird seit den 1950er Jahren Braunkohle gefördert und in den umliegenden Kraftwerken zur Energiegewinnung verbrannt.

Als Kyriakos Mitsotakis mit seiner konservativen Partei Nea Dimokratia im Juli 2019 Ministerpräsident wurde, sollte die grüne Wende in Griechenland zur Staatsräson werden. Weg von fossilen Brennstoffen, hin zu Sonne und Wind. Doch seit der schmerzlichen Einsicht Europas, dass der Krieg in der Ukraine wohl das mittel- und langfristige Ende der Versorgung mit russischem Erdgas bedeutet, ticken auch die Energieuhren in Griechenland anders. In einem Interview mit dem US-amerikanischen Fernsehsender Bloomberg TV bezeichnete Mitsotakis Griechenland als "Energieknotenpunkt für Flüssiggas", nicht nur für das eigene Land, sondern auch für den Balkan oder Zentraleuropa. "In diesem Sinne wird unsere Rolle für andere Länder sehr wichtig."

Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis Bild: Dimitris Papamitsos/Greek Prime Minister's Office/REUTERS

Im Februar 2023 wurde in Ptolemaida ein neues Braunkohlekraftwerk eröffnet. Ministerpräsident Mitsotakis sprach von der "strategischen Bedeutung" des Kraftwerks und versicherte, dass das Ende der Braunkohle durch den Krieg in der Ukraine nur kurzzeitig verzögert würde. Der Plan: Das Braunkohlekraftwerk in absehbarer Zeit in ein Gaskraftwerk umzubauen. Mitfinanziert werden die Projekte von der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).

Gut für die Umwelt, aber keine Arbeitsplätze

Derweil entstehen in Ptolemaida riesige Felder aus Photovoltaikanlagen und Windparks. Als bestehender Energieknotenpunkt eigne sich die Gegend ideal, da man über die nötige Infrastruktur verfüge, erklärt Sokratis Moutidis. Seit 15 Jahren verfolgt der Lokaljournalist die energiepolitischen Entwicklungen in der Region. Ein großes Problem sei die mangelnde Kommunikation seitens der Regierung und des zuständigen Energieunternehmens. Man sei sich der Notwendigkeit erneuerbarer Energien bewusst, verlange aber Transparenz: "Man wollte von der Regierung eine Landkarte, auf der gezeigt wird, wo genau und in welchem Umfang Photovoltaikanlagen und Windparks errichtet werden sollen. Inzwischen sind hier bereits viele Anlagen gebaut worden, und diese Karte gibt es immer noch nicht."

Überall in der nordgriechischen Region um Ptolemaida entstehen Photovoltaikanlagen und WindräderBild: Florian Schmitz/DW

Die Menschen befürchteten, dass alles mit Solar- und Windanlagen zugepflastert werde, ohne dass sie Einfluss auf die Bauvorhaben nehmen könnten, so Moutidis. Außerdem hätten viele Angst, dass die grüne Wende zwar gut für die Umwelt sei, aber keine Arbeitsplätze schaffe. Die mangelnde Kommunikation von Seiten Athens erhöhe die Angst der Menschen, beim Ende der Braunkohle auf der Strecke zu bleiben.

Kein Recht auf Abfindung

Das kleine Dorf Akrini, nur einen Steinwurf entfernt vom Kraftwerk Agios Dimitrios und der riesigen Braunkohlegrube, sollte eigentlich nicht mehr existieren. Bereits im Jahr 2012 beschloss die damalige Regierung ein Gesetz, die Menschen umzusiedeln - offiziell, um Platz zu machen für die Braunkohleförderung. Bei regelmäßigen Messungen stellten die Anwohner erhöhte Schadstoffwerte in Luft und Wasser fest, überdurchschnittlich viele Menschen starben an Lungenkrebs.

Zehn Jahre hatte die Regierung Zeit, das Dorf umzusiedeln und den Anwohnern eine Abfindung zu zahlen. Im März 2023 kippte Athen nun überraschend das Gesetz und entschied, die Umsiedlung des Dorfes sei nicht mehr notwendig. Auf Anfrage der DW teilte das Umweltministerium in Athen mit, man investiere in die Infrastruktur des Dorfes, um die Lebensqualität der Menschen zu erhöhen. Gleichzeitig entstehe ein Solarpark und somit eine zusätzliche Einkommensquelle. Ob nach Jahren der Braunkohleförderung weiterhin Gesundheitsrisiken bestünden, lässt die Antwort des Umweltministeriums offen.

Dabei liegt für Theodota Nantsou von WWF Griechenland genau hier das Problem. Das Dorf liege mitten im stark verschmutzen Zentrum des Braunkohletagebaus. Zwei Studien hätten hochgiftige Chromverbindungen im Grundwasser gefunden, so Nantsou: "Nur in der Ursache dafür sind sich die Studien nicht einig." Die Studie, die von der Firma in Auftrag gegeben wurde, die die Kraftwerke betreibt, sieht geologische Ursachen für das vergiftete Grundwasser. Die zweite Studie allerdings, die vom zuständigen Landkreis finanziert wurde, kommt zu dem Schluss, dass der Braunkohletagebau verantwortlich sei.

Gasprojekte an mehreren Orten

In jedem Fall müssten das Dorf geräumt und die Anwohner finanziell entschädigt werden, findet Nantsou, auch, weil das oberste Verwaltungsgericht in Griechenland im Sinne der Anwohner entschieden hätte: "Die rechtliche Verpflichtung zur Umsiedlung der Menschen von Akrini in eine gesündere und umwelttechnisch sichere Umgebung einfach zu ignorieren, ist ein Vergehen an ihren Grundrechten und eine Verhöhnung des Rechtstaates." Wie viele Umweltschützer in Griechenland traut Nantsou den Versprechen der Regierung kaum, die Stromerzeugung bald zu großen Teilen aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Für sie steht fest: Die Regierung setzt auch in Zukunft auf fossile Brennstoffe.

Griechenland zwischen grüner Energie und KohleBild: Florian Schmitz/DW

An vielen Orten des Landes investiert Athen in Gasprojekte. Am Hafen von Alexandroupolis entsteht derzeit ein LNG-Terminal. Über eine mit dem Nachbarland Bulgarien gemeinsam errichtete Pipeline soll Erdgas aus Aserbaidschan den Balkan unabhängig machen von Moskau. Die lang geplante Privatisierung des Hafens von Alexandroupolis wurde im November 2022 gestoppt, auch, weil der Hafen als strategisch wichtig für die NATO gilt. Weitere LNG-Terminals und Pipelines sind geplant. Vor der Küste der kleinen Stadt Kavala wurde bereits seit den 1980er Jahren Erdgas gefördert. Nachdem das Feld nun erschöpft ist, soll hier ein unterirdischer Gasspeicher entstehen. Im Ionischen Meer und vor der Küste Kretas soll nach Erdgas gebohrt werden.

Umweltschützer kritisieren Athen

Das Umweltministerium teilte der Deutschen Welle mit, dass die dafür nötigen Untersuchungen abgeschlossen seien und man hoffe, von 2025 an zu bohren und ein bis zwei Jahre später Gas fördern zu können. An den Plänen zur grünen Wende hielte man fest, doch man müsse die Energieversorgung gewährleisten: "Wir brauchen eine Übergangslösung, und das ist Erdgas, der sauberste der fossilen Brennstoffe, da wir entschieden haben, bis 2028 aus der Braunkohle auszusteigen", heißt es aus dem Umweltministerium. Kostis Grimanis von Greenpeace Griechenland kritisiert, die nötigen Studien, die zur Erdgasbohrung im Meer erstellt wurden, seien nicht unabhängig, sondern von den zuständigen Unternehmen finanziert.

LNG-Terminal im griechischen RevithoussaBild: Marios Lolos/Xinhua/picture alliance

Überhaupt seien solche Investitionen nicht kompatibel mit dem nationalen Energie- und Klimaplan der Regierung, die für den Einhalt der selbst gesetzten CO2-Emissions-Grenzen in die Trickkiste greifen würden: "Sie sagen, dass die Emissionen, die bei der Verbrennung dieser potenziellen Reserven (Anm. der Redaktion: Öl und Gas) entstehen, nicht zählen würden, da man das Gas verkauft hätte und es anderswo verbrannt würde", so Grimanis.

Ein kürzlich verabschiedetes Gesetz, bestehend aus 263 Artikeln und über 500 Seiten, stellt für Grimanis eine klare Abweichung von der grünen Wende dar.

Trotzdem gab die Regierung unabhängigen Experten nur wenige Tage zur Sichtung des Mammutwerks. Kostis Grimanis vermutet hinter all dem ein Kalkül: "Es ist die deutliche Absicht der Regierung, die Braunkohleförderung zu verlängern und ehemalige Braunkohlekraftwerke auf fossiles Gas umzustellen."