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Griechenland: Mythen und Fakten zur neuen "Flüchtlingskrise"

Kaki Bali (aus Athen)
15. Juli 2025

Griechenland will Migranten und Flüchtlinge, die aus Libyen kommen, mit harten Maßnahmen abschrecken. Die neue Fluchtroute übers Mittelmeer belastet vor allem die Insel Kreta. Es ist aber keine Krise wie vor zehn Jahren.

Ein Segelboot mit leicht bekleideten Menschen (Touristen) an Bord vor einem Hafenkai, auf dem zahlreiche Flüchtlinge sitzen, die meisten von ihnen junge Männer. Ein gelber Rettungswagen steht mit offener Tür auf dem Kai
Auf Kreta begegnen sich in diesem Sommer Geflüchtete und TouristenBild: Stefanos Rapanis/REUTERS

Die Rhetorik ist martialisch. Thanos Plevris, der frischgebackene griechische Migrationsminister, redet von "Invasion". Mehrere Abgeordnete der Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) sprechen von "hybridem Krieg" oder einer "Notlage". Ein großer Teil der Medien schreibt, dass Kreta von "illegalen Einwanderern" regelrecht "überschwemmt" werde. Und Premierminister Kyriakos Mitsotakis verspricht, dass Griechenland nicht zulassen werde, dass ein neuer Kanal für die illegale Einreise ins Land und nach Europa geschaffen werde.

"Wie im Bezirk Evros im Jahr 2020 werden wir alles tun, was nötig ist, um sie zu stoppen", schrieb der Regierungschef in seinem wöchentlichen Facebook-Post am Sonntag (13.07.2025). Vor allem aber erinnern Politiker und Medien an das Jahr 2015, als Millionen Flüchtlinge, vor allem aus Syrien, nach Europa kamen. Doch steht Griechenland - und mit ihm Europa - tatsächlich vor einer neuen Flüchtlingskrise wie im Jahr 2015? Alle Daten sprechen dagegen.

Hundert mal weniger als im Jahr 2015

In der ersten Hälfte des Jahres 2025 kamen nach Angaben der Küstenwache 7336 Geflüchtete auf der Mittelmeerinsel Kreta und der kleinen vorgelagerten Insel Gavdos an. Im Juli kamen noch fast 2000 dazu. Das sind fast 350 Prozent mehr als im Jahr 2024, aber keine Zahl, die die Beschreibung "Invasion" verdient.

Flüchtlinge und Migranten, die am 10.07.2025 von Kreta in die attische Küstenstadt Lawrio gebracht wurdenBild: Costas Baltas/Anadolu Agency/IMAGO

Zudem wäre es für eine große Insel wie Kreta theoretisch kein Problem, mit 9000 oder 10.000 Geflüchteten zurecht zu kommen. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 waren es über eine Million Geflüchtete, die auf viel kleineren Inseln wie Lesbos und Kos ankamen, also hundert mal mehr. Aber die gesellschaftliche und politische Stimmung ist im Jahr 2025 anders, sowohl in Europa als auch in Griechenland.   

Die Einheimischen auf Kreta, die im Jahr 2024 fast vier Millionen Touristen empfangen haben, wehren sich vehement gegen die Entstehung eines Lagers für die neuen Geflüchteten. Am letzten Wochenende gab es sogar Demonstrationen dagegen. Also werden die Neuankömmlinge im Moment weiter nach Malakasa bei Athen oder nach Nordgriechenland weitergeleitet. Die Regierung hat zwar ein Camp auf Kreta angekündigt, aber es ist zweifelhaft, ob sie es wagen wird, die politischen Kosten zu tragen.

Üppiges Menü für Asylbewerber?

Gleichzeitig spricht der griechische Migrationsminister nur von "illegalen Migranten", die ins Gefängnis gehörten und droht den Geflüchteten mit reduzierten Essensrationen. Plevris behauptet, dass die Menschen in den geschlossenen Lagern viel zu gut essen und erklärt wiederholt, dass sein Ministerium für Einwanderung "kein Hotel" sei. 

Der neue griechische Migrationsminister Thanos Plevris bei seiner Vereidigung am 30.06.2025Bild: Petros Giannakouris/AP/dpa/picture alliance

Fakt ist, dass in Griechenland nur Asylbewerber mit Lebensmitteln versorgt werden. Anerkannte Flüchtlinge und auch diejenigen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die aber im Land bleiben, weil sie nirgendwo anders hin können, haben kein Recht auf Lebensmittelversorgung. 

Seit dem 1. Oktober 2021 werden Asylbewerber, die in Camps in ganz Griechenland untergebracht sind, von privaten Catering-Unternehmen zu einem Preis von 6,88 Euro pro Person und Tag verpflegt. Plevris' Behauptung, ihnen würden üppige Hotel-Menüs serviert, ist also mindestens übertrieben.

Der Minister, der eine rechtsextreme Vergangenheit hat, präsentiert sich als engagierter Gegner der illegalen Einwanderung. Für ihn sind fast alle Neuankömmlinge illegal. Er wirft ihnen vor, sie wollten im Paradies Griechenland ein schönes Leben genießen, finanziert vom griechischen Steuerzahler. Fakt ist aber, dass 75 Prozent der Verpflegungskosten von der EU gedeckt sind. Fakt ist auch, dass die meisten Flüchtlinge und Migranten gar nicht vom Paradies Griechenland träumen, sondern weiterziehen wollen, die meisten nach West- und Nordeuropa.

Keine Asylanträge werden angenommen

Hinzu kommt, dass die Neuankömmlinge derzeit sowieso keinen Zugang zu einem Asylverfahren haben - und damit auch kein Recht auf Lebensmittelversorgung. Denn nachdem letzte Woche ein neues Gesetz verabschiedet wurde (mit den Stimmen der Regierungspartei ND und Abgeordneten kleinerer rechter Parteien), nimmt Griechenland für mindestens drei Monate keine Asylanträge von Geflüchteten mehr an, die über den Seeweg aus Nordafrika ins Land kommen. Das Gesetz ist umstritten, nach Auffassung vieler Rechtsexperten verfassungswidrig und im eklatanten Widerspruch zu den europäischen Werten. Aber nicht einmal die EU-Kommission stellt sich quer. 

Die griechische Küstenwache bringt gerettete Migranten in den Hafen der südkretischen Stadt Agia GaliniBild: Stefanos Rapanis/REUTERS

Jetzt hat Plevris juristisch freie Hand für seine Pläne, die Neuankömmlinge ohne Asylverfahren zurückzuschicken. "Es gibt Länder, in die wir sie zurückschicken können, Länder, mit denen wir ein Abkommen haben, und andere, in die sie freiwillig zurückkehren können", behauptete er am Wochenende im TV Sender SKAI.

Doch stimmt das? Eine von drei Personen, die sich derzeit in Abschiebungshaft befinden, ist aus Ägypten und kann laut dem griechischen Ombudsmann unter den derzeitigen Umständen nicht zurückgeschickt werden. Die griechische Regierung würde deswegen gern einen Deal mit Kairo machen, aber noch gibt es den nicht.

Nach Angaben des Migrationsministeriums stammen die meisten Asylbewerber, die in den ersten fünf Monaten des Jahres 2025 angekommen sind, aus Afghanistan (31%), gefolgt von Ägypten (16,4%), Syrien (6,2%), Pakistan (5,2%), Sudan (4,5%) und Bangladesch (3,6%). Es ist jedoch zweifelhaft, ob diejenigen, die kein Asyl bekommen bzw. keines beantragen dürfen, in alle diese Länder zurückgeschickt werden.  

Trotz alledem arbeitet der Migrationsminister weiter an der Politik der Abschreckung und bereitet einen neuen Gesetzentwurf vor, der für diejenigen, die sich weigern, das Land zu verlassen, drei Jahre Gefängnis ohne Bewährung und 10.000 Euro Geldstrafe vorsieht. Doch es ist fraglich, ob das funktionieren wird und ob er damit Menschen abschrecken kann, die es geschafft haben, aus dem Sudan zu flüchten, die libysche Wüste zu durchqueren und das Geld für die Überfahrt aus Tobruk aufzubringen. Wahrscheinlich ist es nicht. Ungeklärt ist auch, was nach den drei Jahren in Haft geschehen soll. Folgt dann eine weitere dreijährige Gefängnisstrafe?

Doch in den Ohren des rechten Publikums in Griechenland klingen Plevris' Pläne vielversprechend, und das ist der Regierung wichtig. 

Woher kommen die neuen Flüchtlinge?

Eigentlich weiß man in der Regierung sehr gut, dass mit Gefängnis-Drohungen oder mit den zwei Fregatten, die Mitsotakis neulich zur Patrouille vor die libyschen Küste entsandt hat, das Problem nicht gelöst werden kann. Im Moment ist der zerstörte Staat Libyen der Ort, an dem sich diejenigen versammeln, die den afrikanischen Kriegen, dem Hunger und der Perspektivlosigkeit entfliehen wollen und auf eine Gelegenheit zur Überfahrt nach Europa warten. Allein vor dem Krieg im Sudan sind 14 Millionen Menschen geflohen - nach Tschad, Ägypten, Äthiopien und eben Libyen. 

Die einzige realistische Lösung für das Problem Griechenlands und Europas wäre ein Abkommen mit Libyen - d.h. mit den zwei Regierungen, der international anerkannten in Tripolis und der anderen in Bengasi - nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens von 2016.