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Griechenland: Sorge über Kontrollen an Deutschlands Grenzen

Kaki Bali (aus Athen)
24. September 2024

Welche Folgen haben Kontrollen an den deutschen Außengrenzen für Griechenland? In Athen schaut man mit Sorge auf die Berliner Politik.

Ein Grenzschützer in gelber Warnweste mit der Aufschrift "Polizei" hält einen Wagen an der deutsch-österreichischer Grenze am Grenzübergang Walserberg an.
Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen GrenzeBild: IMAGO/Revierfoto

Die Entscheidung Deutschlands, Grenzkontrollen einzuführen, um die Migration zu kontrollieren, stößt in den Medien und der Politik Griechenlands auf Kritik. Der Beschluss sei antieuropäisch und ein Beweis für die Kapitulation der Bundesregierung vor der rechtsgerichteten Partei Alternative für Deutschland (AfD), schreiben mehrere Zeitungskommentatoren. Darüber hinaus aber wächst in Athen die Angst vor einem Dominoeffekt, falls weitere EU-Länder dem deutschen Beispiel folgen sollten. Dies spiegelt sich auf den ersten Seiten mehrerer griechischer Zeitungen wider. 

"Geschlossene Grenzen, offene Wunden" titelte das liberale Sonntagsblatt To Vima am 15.09.2024 und die regierungsfreundliche Apogevmatini schrieb einen Tag später "Alarmstufe Rot" und warnte vor einem "Zustrom von Migranten, nachdem Deutschland die Grenze schließt".

Wird Deutschland Flüchtlinge zurückschicken?

Die griechische Regierung fürchtet, dass Deutschland Flüchtlinge, die vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik bereits in Griechenland um Asyl gebeten hatten, abweisen und nach Griechenland zurückschicken könnte. Die Schlagzeile der Tageszeitung KONTRA news lautete daher: "Scholz drängt auf die Rückkehr von 30.000 Afghanen nach Griechenland und bietet uns 15.000 Euro für jeden Einwanderer".

Flüchtlinge in einer Erstaufnahmeeinrichtung in GießenBild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Das zuständige Migrationsministerium in Athen bestätigt diese Angaben zwar nicht, aber die Dementis sind leise und lauwarm. Denn für die konservative Regierung von Kyriakos Mitsotakis ist es derzeit opportun, dass das Migrationsthema wieder die Zeitungen beschäftigt - diesmal jedoch nicht wegen der griechischen Politik, sondern wegen einer deutschen Entscheidung. So werden die wirklichen Hauptprobleme der Griechinnen und Griechen an den Rand gedrängt.

Denn laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pulse für den Fernsehsender SKAI TV sind die Wählerinnen und Wähler gar nicht so sehr über Flüchtlinge und Migranten besorgt. Für sie stehen andere Fragen an oberster Stelle. So nannten 34,5 Prozent der Befragten die hohen Lebenshaltungskosten als wichtigstes Thema, 18 Prozent sorgen sich um die niedrigen Löhne und Renten sowie steigende Mietpreise, und 15 Prozent der Bevölkerung sehen die Wirtschaftslage als zentrales Thema an. Für all diese Themen ist die Regierung zuständig und bekommt schlechte Noten von den Befragten.

Keine Flüchtlingskrise in Griechenland

Nur fünf Prozent der Bevölkerung sehen die Migration als Hauptproblem. Und daran haben laut Medien und Regierung andere Schuld: Die Kriege in der Welt und die Armut, die kriminellen Schleuser, die liberalen Linken, die Türkei, wenn sie "die Schleusen öffnet" - und Deutschland, das "einen üppigen Sozialstaat mit Magnetkraft hat".

Somalische Flüchtlinge kommen im November 2015 auf der Insel Lesbos anBild: Santi Palacios/AP Photo/picture-alliance

Tatsächlich kann von einer Flüchtlingskrise in Griechenland derzeit nicht gesprochen werden: Seit Jahresbeginn bis Mitte September 2024 wurden in Griechenland nur rund 36.000 Ankünfte registriert, hauptsächlich aus Ländern des Nahen und Mittleren Ostens wie Afghanistan, Syrien, Ägypten und Palästina. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 waren es nach UN-Angaben fast 857.000 Menschen, die in Griechenland Zuflucht suchten, im Jahr danach noch fast 200.000. Die meisten flohen vor dem Krieg in Syrien über das Mittelmeer.

Insgesamt kamen in den Jahren 2015 und 2016 mehr als zwei Millionen Flüchtlinge in die Europäische Union. Betroffen waren vor allem die Mittelmeeranrainer und die Länder an der Balkanroute. Aber auch Deutschland nahm im Sommer und Herbst des Jahres 2015 Hunderttausende auf, die meisten von ihnen Syrer.

Griechenland schützt die Außengrenzen Europas

In Athener Regierungskreisen ist man der Ansicht, dass Bundeskanzler Olaf Scholz mit der Entscheidung, Grenzkontrollen einzuführen, unüberlegt heftig auf den Aufstieg der extremen Rechten in Deutschland reagiere. Damit schade er auf Dauer europäischen Regeln wie dem Schengener Abkommen. Griechenlands Ministerpräsident Mitsotakis ist außerdem überzeugt, dass Griechenland schon mehr als genug in Sachen Migration tut: Das Land schütze die Außengrenzen Europas mit strikten Kontrollen in der Ägäis und einem Zaun an der griechisch-türkischen Grenze. Zusätzlich hat Griechenland große Aufnahmelager auf mehreren Inseln fertiggestellt, in denen Flüchtlinge interniert werden sollen.

Der griechische Regierungschef Kyriakos MitsotakisBild: Ludovic Marin/AFP/Getty Images

Der griechische Regierungschef, der in der Migrationsfrage eine Allianz mit Österreich, Polen und Italien anstrebt, machte klar, dass Griechenland keine unverhältnismäßig große Last tragen könne. Bei seinem Besuch in Österreich am 11.09.2024 sagte er, man könne nicht erwarten, "dass Griechenland einen günstigeren Sozialstaat für Flüchtlinge hat als für die griechischen Bürger selbst".  

Eine kurzsichtige Reaktion Deutschlands

Maria Gavounelli findet die von der Bundesregierung angeordneten Grenzkontrollen "kurzsichtig". Die Direktorin des griechischen Thinktanks ELIAMEP ist davon überzeugt, dass dies das Problem nicht löse, sondern die europäische Einheit bedrohe. Sie hoffe inständig, dass Deutschland nicht daran denke, das Schengen-Abkommen aufzukündigen, denn "das würde unser europäisches Haus sprengen".

Die meisten Experten gehen davon aus, dass die Bundesrepublik die sogenannten Sekundärströme der Migration aus Griechenland mit den Grenzkontrollen nicht stoppen kann.

Die Grenze der Bundesrepublik Deutschland in Frankfurt an der OderBild: John Macdougall/AFP/Getty Images

In den letzten drei Jahren sind ungefähr 75.000 Menschen, die in Griechenland Asyl beantragt haben, weiter nach Deutschland gereist. Seit 2021 haben mehrere deutsche Gerichte entschieden, dass in Griechenland anerkannte Schutzberechtigte grundsätzlich nicht nach Griechenland zurückgeführt werden dürfen, weil für sie die ernsthafte Gefahr bestehe, dass sie dort ihre elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigen können. 

Asylsuchende müssen in Griechenland in geschlossenen Lagern leben und dürfen nicht arbeiten. Flüchtlinge, die Asyl bekommen haben, dürfen zwar arbeiten, aber sie bekommen keine staatliche Unterstützung wie Sozialhilfe, Wohngeld, Kindergeld usw. Das trifft allerdings auch auf die meisten Griechen zu.

Anerkannte Asylanten dagegen dürfen Griechenland verlassen und für drei Monate im Jahr frei in andere EU-Länder reisen.

Das neu eingerichtete Flüchtlingslager auf der griechischen Insel SamosBild: Alkis Konstantinidis/REUTERS

Die meisten Flüchtlinge und Migranten, die in Griechenland ankommen, wollen sowieso nach Nordeuropa, nach England, Deutschland, Skandinavien und in die Niederlande, wo sie Bekannte und Verwandte haben - und eine Zukunftsperspektive.  

Untergräbt Deutschland die europäische Integration? 

Das war auch im Sommer 2015 so, als als über eine Million Menschen über die Balkanroute nach Norden zogen. Damals hatte man in Griechenland die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Flüchtlinge aus Syrien in Deutschland aufzunehmen, gefeiert. Man betrachtete sie als besonnen und human, im Gegensatz zu ihrer Härte während der griechischen Schuldenkrise.

Die Politik der Regierung Scholz wird dagegen kritisch gesehen. Der Politikwissenschaftler Panayiotis Ioakimidis sagt: "Die progressive Regierung Scholz hat die rechtsextreme Einwanderungspolitik übernommen, in der Hoffnung, dem Aufstieg der AfD entgegenzuwirken. In Frankreich und den Niederlanden hat man etwas Ähnliches versucht, aber man hat die Stärkung der Rechtsextreme damit nicht gestoppt, sondern im Gegenteil beschleunigt."

Der emeritierte Professor Ioakimidis ist einer der renommiertesten Europa-Experten in Griechenland. Seit den 1990er Jahren hat er mehrere griechische Regierungen beraten. Er ist davon überzeugt, dass die Entscheidung Berlins, für zunächst sechs Monate Kontrollen an der 3700 Kilometer langen Grenze zu den Nachbarländern Deutschlands einzuführen, zwar nach EU-Vorschriften legal sei. Sie untergrabe jedoch die europäische Integration

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