Griechenland: Spürbare Reformen ab Montag
19. Juli 2015"Jetzt wird hart mit Griechenland verhandelt", sagte Kanzlerin Angela Merkel im Sommerinterview der ARD. Weitere Debatten über ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone lehne sie ab. Merkel bestätigte, dass die Möglichkeit eines zeitlich befristeten Grexits auf dem Tisch gelegen habe. Dann habe man sich aber für einen anderen Weg entschieden. Die Euro-Partner hätten sich darauf geeinigt, mit Griechenland über ein neues Hilfspaket zu verhandeln. "Das muss jetzt umgesetzt werden."
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte wiederholt einen Grexit ins Spiel gebracht und damit den Koalitionspartner SPD aufgebracht. Einen Schuldenschnitt für Griechenland lehnte Merkel erneut strikt ab. "Das geht in der Währungsunion nicht." Schuldenerleichterungen in Form von längeren Laufzeiten für Kredite und niedrigeren Zinsen seien aber verhandelbar.
Änderungen in Griechenland
Fisch, Reis und Toilettenpapier - die griechische Presse hat die Produkte und Dienstleistungen aufgelistet, für die ab Montag die Mehrwertsteuer steigen wird. Statt der bisher dreizehn Prozent wird künftig ein erhöhter Mehrwertsteuersatz von 23 Prozent fällig. Damit setzt die griechische Regierung erste Reformmaßnahmen um, die noch vor zwei Wochen von dem griechischen Volk in einem Referendum mehrheitlich abgelehnt wurden.
Nun kommen auf die Menschen trotzdem deutlich höhere Preise für Lebensmittel zu, die vor allem die Unter- und Mittelschicht treffen werden, denn sie machen nach Angaben des griechischen Instituts zur Erforschung des Einzelhandels für Konsumwaren (Ielka) die Hälfte der Haushaltskosten aus. Die Regierung will außerdem die ermäßigte Mehrwertsteuer auf den griechischen Inseln schrittweise abschaffen. Nur bei Medikamenten, Büchern und Theaterbesuchen sinkt die Mehrwertsteuer von bislang 6,5 Prozent auf nunmehr sechs Prozent. Die griechische Finanzpresse schätzte, dass allein die Mehrwertsteuererhöhung dem Staat bis Jahresende 800 Millionen Euro zusätzlich einbringen könnte.
Neue Regierung vereidigt
Athen muss im Gegenzug für neue Finanzhilfen aus dem Euro-Rettungsschirm ESM die Reform- und Sparauflagen erfüllen, auf die sich Ministerpräsident Alexis Tsipras mit den Europartnern bei einem Sondergipfel in Brüssel nach langen Verhandlungen für das geplante dritte Hilfspaket geeinigt hat. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer, Privatisierungen, die Abschaffung der Frühverrentung sowie Kürzungen der Militärausgaben waren vor wenigen Tagen von einer Mehrheit des griechischen Parlaments unter Protest von Teilen aus Tsipras' Syriza-Allianz gebilligt worden. Daraufhin musste Tsipras seine Regierung umgebilden.
Mehrwertsteuer ist erst der Anfang
Am Montag soll die Regierung einen ersten Vorschlag zur Modernisierung der Verwaltung vorlegen. Deren Ineffizienz gilt als eines der größten Hindernisse bei der Umsetzung von Reformen. Am Mittwoch steht ein weiteres Votum des Athener Parlaments über den zweiten Teil der Spar- und Reformmaßnahmen an. So sollen Gerichtsverfahren beschleunigt und die Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken umgesetzt werden.
Mit Spannung wurde erwartet, ob Athen die am Montag fällige Rate an die Europäische Zentralbank (EZB) in Höhe von 3,5 Milliarden Euro fristgemäß zurückzahlt. Das zusammen mit ersten Reformschritten sind einige der Voraussetzungen für den Beginn der Gespräche mit den Gläubigern des Landes aus Internationalen Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und Europäischer Kommission über das geplante dritte Hilfspaket.
Banken öffnen am Montag
Zugleich soll ein Stück Normalität ins Land zurückkehren: Die seit drei Wochen zwangsweise geschlossenen Banken sollen am Montag wieder öffnen. Geld sollen die Kunden aber nach wie vor nur am Automaten, nicht an Bankschaltern erhalten. Die Belastungen durch die Kapitalverkehrskontrollen sollen etwas gemildert werden. Künftig sollen die Bürger die pro Woche erlaubten 420 Euro auch in einem Buchungsvorgang am Bankautomaten abheben dürfen. Bisher waren es höchstens 60 Euro pro Tag. Auch dürfen sie ihre Kreditkarten wieder im Ausland nutzen. Durch die Bankenschließung, die einen Kollaps verhindern sollte, entstand der griechischen Volkswirtschaft amtlichen Schätzungen zufolge ein Schaden von rund drei Milliarden Euro durch Marktengpässe und Exportunterbrechungen.
Am Donnerstag hatte die EZB die Notkredite für die klammen Geldhäuser um 900 Millionen Euro erhöht. Zuvor lagen sie bei rund 90 Milliarden Euro. Zudem gewährten die europäischen Partner dem von der Pleite bedrohten Land einen Brückenkredit in Höhe von sieben Milliarden Euro. Damit soll Zeit gewonnen werden, um das im Grundsatz schon vereinbarte neue Hilfsprogramm im Detail auszuhandeln. Das wird Schätzungen zufolge mehrere Wochen dauern und soll nach bisherigen Planungen bis zu 86 Milliarden Euro für drei Jahre umfassen. Griechenland ist mit 313 Milliarden Euro verschuldet und steht kurz vor der Staatspleite.
pab/qu (afp, dpa)