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Gesellschaft

Griechenland und Orthodoxie - ein Rosenkrieg

Anthee Carassava jmw
25. November 2018

Die Verbindung von Kirche und Staat ist in Griechenland seit Jahrhunderten besonders eng. Premier Tsipras will sie nun kappen. Damit riskiert er einen heiligen Krieg - und setzt seine Wiederwahl aufs Spiel.

Alexis Tsipras und Erzbishhof Hieronymos (Foto: picture-alliance)
Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Bonetti

Geistliche Hilfe und Unterstützung: Die griechisch-orthodoxe Kirche stand Millionen Griechen in den schlimmsten Jahren der Finanzkrise zur Seite. Deswegen wollte sie sich Premierminister Alexis Tsipras damals auch nicht zum Feind machen. Immerhin ist in Griechenland der Staat seit jeher eng mit der Kirche verbunden. So genießt die orthodoxe Kirche viele Privilegien, zahlt zum Beispiel kaum Steuern, und für die Gehälter der Priester kommt der Staat auf.

Trennung von der Staatskirche

Das soll sich aber jetzt ändern, denn Tsipras will die Scheidung - jetzt, da er nicht mehr so sehr von internationalen Gläubigern und brutalen Rettungsdarlehen abhängig ist. Stattdessen will er am großen Vermögen der Kirche beteiligt werden. Und Tspiras will keinen Rosenkrieg. Eine einvernehmliche Lösung muss also her. Die will Tsipras mit einem 15-Punkte-Plan erreichen, der den Weg für eine nahtlose Trennung ebnen soll.

Die Kirche und der Glaube spielen für die meisten Griechen eine wichtige Rolle im LebenBild: DW/A. Carassava

Nach diesem Plan würden die 9000 Kleriker entlassen. Sie würden aus den staatlichen Gehaltslisten gestrichen und erhielten keine vollen öffentlichen Leistungen und Renten mehr. Dafür müsste dann die wohlhabende griechisch-orthodoxe Kirche aufkommen. Sie müsste zudem ihren Zugriff auf den Glauben des Landes lockern, damit sich der Staat endlich als "religiös neutral" bezeichnen kann. 

Im Gegenzug würde der Staat alle Ansprüche auf große Flächen und Grundstücke fallen lassen, die die Kirche schon lange für sich beansprucht. Stattdessen soll es ein massives und durchaus einträgliches Landentwicklungsprojekt geben, an dem Staat und Kirche gleichermaßen beteiligt wären. Die Profite würden gerecht geteilt.

"Meilenstein" ruft Widerstand hervor

Klingt lukrativ? Hieronymos II., Erzbischof von Athen und ganz Griechenland, war schnell überzeugt. Nur 45 Minuten dauerte das Verkaufsgespräch. Kaum hatten der Erzbischof und der Premierminister den Deal öffentlich als "Meilenstein" gelobt, löste ihre Vereinbarung eine wütende Gegenreaktion aus. Bischöfe und Priester verurteilten die Abmachung als Verrat. Seitdem ist die Hölle in Griechenland los - und die Scheidung artet in einen fiesen Rosenkrieg aus.

Zufrieden mit ihrem Deal: Alexis Tsipras (r.) und Erzbischof Hieronymos II.Bild: Greek Prime Minister's Office/Andrea Bonetti

Bei einer Dringlichkeitssitzung in dieser Woche stellten sich 72 der 82 führenden Bischöfe des Landes auf die Seite des Klerus. Sie alle lehnen es vehement ab, von der staatlichen Gehaltsliste gestrichen zu werden.

Die Regierung schoss zurück: "Lassen Sie uns eines klarstellen", sagte Regierungssprecher Dimitris Tzannakopoulos. "Die Regierung agiert innerhalb ihrer Rechte, wenn sie Entscheidungen trifft, die den Staatshaushalt betreffen. Wenn die Kirche mit unserem Vorschlag nicht einverstanden ist, wird die Regierung eben alleine entscheiden."

Wahlkalkül des Premierministers

Dieser harte Kurs ist Kalkül, sagen Kritiker. Die Regierung hoffe, die Kirche von der Scheidung überzeugen zu können - im Sinne des Staates. Aber eine Auseinandersetzung mit der mächtigsten Institution des Landes könnte für Tspiras, der sich selbst als Atheist bezeichnet, nach hinten losgehen. "Immer wenn der Staat sich in der Vergangenheit mit der Kirche angelegt hatte, hat er verloren", sagte der Journalist Nikos Dimou in einem Gespräch mit der Deutschen Welle.

Dabei bietet die geplante Scheidungsvereinbarung auf den ersten Blick auch eine bahnbrechende Gelegenheit. Auch viele Griechen halten sie für vernünftig: Sie könnte dafür sorgen, dass Griechenland wirklich ein säkulares Land wird. Zudem öffnet sie die Bücher der Kirche für staatliche Wirtschaftsprüfer - immerhin wird das Vermögen der Kirche auf mehr als 700 Milliarden Euro geschätzt. Und: Wenn der Klerus nicht mehr vom Staat bezahlt wird, schafft das Geld für 9000 dringend benötigte Stellen im öffentlichen Dienst.

Kein Vertrauen mehr in Tsipras

Die langjährige Verbindung von Staat und Kirche zu trennen ist jedoch eine komplexe und herausfordernde Aufgabe. Sie ist zudem politisch höchst sensibel: Immerhin definieren mehr als 90 Prozent der Griechen ihre nationale Identität über ihren gemeinsamen orthodoxen Glauben. Und: Die Griechen haben ihren Glauben an Premier Tsipras verloren. "Er hat fast jedes seiner Wahlversprechen gebrochen", sagt Sofia Georgiafendi nach einer Messe in ihrer Gemeinde nördlich von Athen: "Wer kann sagen, ob seine Zusicherungen morgen noch etwas wert sind? Was macht das mit dem Klerus? Was ist mit unserem Glauben?"

Jubel im September 2015: Tsipras gewinnt die WahlBild: Reuters/A. Konstantinidis

Seit seiner Wahl 2015 verspricht der frühere Anführer der kommunistischen Jugendpartei, die Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu lösen. Aber als die nationalen Sozialsysteme zusammenbrachen und die Kirche Tausenden krisengeschüttelten Griechen eine Stütze war, hielt Tsipras sich zurück.

2019 stehen jedoch erneut Wahlen vor der Tür, und der Premierminister sieht sich mit sinkenden Beliebtheitswerten konfrontiert. Kritiker und der Klerus werfen Tsipras deshalb vor, das Thema Kirche zu benutzen, um politisch Punkte zu machen. "Das ist schon keine politische Zauberei mehr", sagte Bischof Seraphim von Piräus kürzlich wütend. "Das sind faschistisch anmutende Entwürfe. Die Herde wird sich ihnen widersetzen."

Keine Chance?

Die griechisch-orthodoxe Kirche ist rund 1500 Jahre älter als der griechische Staat. Alle bisherigen Versuche, die beiden Institutionen voneinander zu lösen, sind am Widerstand der Griechen gescheitert. Sie wollten der Kirche nicht den Rücken kehren; immerhin war sie es, die den orthodoxen Glauben und die griechische Sprache während der 400-jährigen osmanischen Herrschaft aufrecht erhalten hat.

Berater sollen Tsipras laut Berichten drängen, die Auseinandersetzung fallenzulassen. Erst am Donnerstag zeigte eine Umfrage, dass sieben von zehn Griechen glauben, er werde die ausstehenden Wahlen an die konservative Opposition verlieren. Die Konservativen unterstützen traditionell den einflussreichen Klerus.

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