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Politik

Eine ungewöhnliche Freundschaft

Jannis Papadimitriou
21. Mai 2021

In den 1980er Jahren galt Athen als Fürsprecher der Palästinenser. Doch die Zeiten haben sich geändert: Aus geopolitischen Gründen haben griechische Regierungen den Schulterschluss mit Israel gesucht - und gefunden.

Griechenland Israel | Ministerpräsidenten | Kyriakos Mitsotakis und Benjamin Netanjahu
Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis (l.) und sein israelisches Pendant Benjamin Netanjahu in Athen am 16.06.2020Bild: picture-alliance/dpa/GPO/H. Zach

Marwan Emile Toubassi, diplomatischer Vertreter der Palästinensergebiete in Athen, sah Anlass zum Protest: Er sei "voller Sorge und tief enttäuscht" über die Äußerungen des griechischen Außenministeriums zum Nahost-Konflikt, ließ er in einer Presseerklärung verlauten. Eine "Bekundung der Solidarität" hätte der in Jerusalem geborene Diplomat eigentlich erwartet; stattdessen kam aus Athen lediglich ein "Appell an alle Konfliktparteien, die Feindseligkeiten einzustellen".

In griechischen Medien wird Toubassi allenfalls kurz zitiert. Nur das linke Blatt "Avgi", das der Ex-Regierungs- und jetzigen Oppositionspartei "Syriza" (Koalition der Radikalen Linken) nahesteht, publizierte seine Kritik in voller Länge. Zwei Tage später protestierten Hunderte Syriza-Anhänger vor der israelischen Botschaft in Athen für "Frieden und Gerechtigkeit in Palästina".

Marwan Emile Toubassi, diplomatischer Vertreter der Palästinensergebiete in AthenBild: Nikolas Georgiou/ZUMA Wire/Imago Images

In den 1980er Jahren wurden Palästinenser in Griechenland noch ganz anders empfangen: Gleich nach Amtsübernahme im Jahr 1981 lud Sozialistenführer Andreas Papandreou den damaligen Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, Jassir Arafat, nach Athen ein. Und der kam tatsächlich - als erster ausländischer Gast der neuen, linksgerichteten Regierung. In westlichen Hauptstädten, die Arafat zu diesem Zeitpunkt als Terroristen brandmarkten, sorgte das für blankes Entsetzen.

1982 schickte Papandreou dann mehrere Schiffe in die libanesische Hautstadt Beirut, um Tausende PLO-Angehörige aus israelischer Belagerung zu befreien. Auf dem darauffolgenden Parteitag der Sozialisten in Athen war Arafat Ehrengast. "Damals pflegte Griechenland ohnehin viel stärkere Verbindungen zur arabischen Welt", erläutert Jorgos Tzogopoulos, Dozent für Internationale Beziehungen an der Universität Thrakien, im Gespräch mit der DW.

Spuren der Vergangenheit

Die Gründe für das Abflauen seien vielfältig: "In der Vergangenheit lebten Hunderttausende Griechen in Ägypten und anderen arabischen Ländern, das hat Spuren hinterlassen. Zudem erhofften sich die Griechen Unterstützung durch die Araber für eine rasche Lösung der Zypernfrage. Israel wiederum pflegte gute Beziehungen zur Türkei und war lange Zeit uninteressant als möglicher Partner im östlichen Mittelmeer."

Israels Botschaft in der griechischen Hauptstadt AthenBild: Reuters/A. Konstantinidis

Doch diese Zeiten sind vorbei. Konstantin Mitsotakis, Vater des heutigen griechischen Ministerpräsidenten, landete 1990 einen diplomatischen Coup, indem er Israel anerkannte und erstmals einen griechischen Botschafter nach Tel Aviv schickte. "Wir haben ein Versprechen gehalten, das wir gegeben haben" sagte der Konservativen-Chef wenig später im Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".

Intifada verhindert Anerkennung

Der damals mit dem Nahen Osten befasste Diplomat Demosthenes Konstantinou berichtet im griechischen Online-Portal infognomonpolitics.gr, er hätte schon 1987 der sozialistischen Vorgängerregierung vorgeschlagen, Israel diplomatisch anzuerkennen. Außenminister Karolos Papoulias sei einverstanden gewesen - aber "dann brach in den Palästinensergebieten eine Intifada aus und das Projekt musste auf Eis gelegt werden".

Intifada: Palästinenser werfen 1988 in der Stadt Nablus Steine auf israelische SoldatenBild: Getty Images/AFP/E. Baitel

Israel anerkennen, während auf den besetzten Gebieten der Aufstand tobt? Das wäre der griechischen Öffentlichkeit kaum zu vermitteln gewesen. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen drei Jahre später war ein wichtiger Schritt für die Annäherung an Israel. Im Tourismus-Geschäft wurden alle Erwartungen übertroffen: Bis zu einer Million Israelis jährlich verbringen heute ihren Urlaub in Hellas, Tausende investieren in Ferien- oder Zweitwohnungen.

Erdgas und die Rolle der Türkei

Etwas schwieriger gestaltet sich die Zusammenarbeit im Energiebereich. Zwar haben Griechenland, Israel und Zypern bereits eine Vereinbarung für den Bau der Mittelmeer-Gas-Pipeline Eastmed unterzeichnet, die ab 2025 Erdgas aus Israel nach Europa liefern soll; doch es gibt durchaus Zweifel an der Rentabilität des Projekts.

Jorgos Tzogopoulos, Dozent für Internationale Beziehungen an der Universität ThrakienBild: DW/P. Kouparanis

In den letzten Jahren registriert Politikwissenschaftler Tzogopoulos einen regen Austausch zwischen Griechen und Israelis. Und er nimmt selbst daran teil- als Mitbegründer der Organisation Israel-Hellenic-Forum, die junge Wissenschaftler aus beiden Ländern zusammenführt. Der Analyst meint, dass Griechenland und Israel allein schon deshalb sich näherkommen, weil die Beziehungen beider Länder zur Türkei seit Jahren angespannt sind. Als ein Beispiel für gute Zusammenarbeit nennt er den Rüstungsbereich.

Heikle Allianz in Rüstungsfragen

Rückblick: Im August 2010 kommt Benjamin Netanjahu als erster israelischer Regierungschef nach Athen zu Gesprächen mit seinem griechischen Amtskollegen Giorgos Papandreou. Politiker und Journalisten haben sich längst in den Urlaub verabschiedet, kaum jemand berichtet über das Treffen. Das ist vermutlich ganz im Sinne der beiden Spitzenpolitiker, denn es geht um heikle Themen.

Giorgos Papandreou (l.) und Benjamin Netanjahu in Athen am 16.08.2010Bild: Imago Images

Kurz davor hatte die Türkei ihren Luftraum für israelische Militärflüge gesperrt, deshalb sucht die israelische Luftwaffe dringend neue Übungsgebiete. Medienberichten zufolge will Israel die Griechen um Hilfe bitten und erklärt sich im Gegenzug bereit, Militärtechnologie zu liefern. Ausgerechnet der Sohn des einstigen Palästinenser-Befürworters Andreas Papandreou soll die Israelis aus der Bredouille helfen. Die Antwort von Giorgos Papandreou ist nicht überliefert.

"Keine Verteidigungsgemeinschaft"

Elf Jahre später sieht die Lage jedenfalls so aus: Israel liefert Kampfdrohnen an die griechischen Streitkräfte, ein israelisches Konsortium hält die Mehrheit am griechischen Rüstungsbauer ELVO. Die Israelis wiederum dürfen die Luftwaffenbasis bei Kalamata im Süden Griechenlands für Ausbildungszwecke mitnutzen und sogar eine Modernisierung mitfinanzieren. Ein entsprechendes Abkommen wurde im April 2021 unterzeichnet.

Laut Tzogopoulos sind Griechenland und Israel eine "strategische Partnerschaft" eingegangen - "aber keine Verteidigungsgemeinschaft". Auf diese Feststellung legt der Athener Analyst viel Wert. Denn: "Niemand würde gegen den Feind des jeweiligen Partners mobil machen, so viel Realismus muss sein. Wer in dieser Hinsicht zu viel erwartet, wird arg enttäuscht sein", so Tzogopoulos.

Was die aktuelle Krise im Nahen Osten angeht, ist der Politikwissenschaftler sicher, dass die Regierung in Athen weiter für eine diplomatische Lösung im Rahmen der UN eintritt. Allerdings: "Griechenland gehört nicht mehr zu den ersten, die protestieren, wenn Israel seine Interessen in der Region verfolgt. Das war noch in den achtziger Jahren anders."

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