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Politik

Der Streit ist nicht unlösbar

15. September 2020

Die Lage zwischen Ankara und Athen entspannt sich. Doch der Konflikt ist tief in der Geschichte beider Länder verankert. Auf der Insel Kastelorizo aber hat man andere Sorgen.

Griechenland |  Insel Kastellorizo
Die griechische Insel Kastelorizo, im Hintergrund die türkische KüsteBild: picture-alliance/dpa/R. Hackenberg

Wenn Tsikos von seinem Restaurant gen Osten schaut, dann blickt er direkt auf das türkische Festland. Seine Insel, das griechische Kastelorizo, bildet gemeinsam mit der Küste vor der türkischen Stadt Kas eine Art offene Bucht. Der nächstgelegene griechische Ort ist Rhodos, die Hauptstadt der gleichnamigen Insel, gute vier Stunden mit dem Schiff entfernt. So liegt es auf der Hand, dass die gut 150 Bewohner von Kastelorizo ihren Einkauf beim türkischen Nachbarn erledigen oder einfach zum bummeln oder Kaffeetrinken ins Nachbarland fahren. Hier hat Tsikos seine Frau kennengelernt. Die beiden haben in der Türkei geheiratet, führen im Sommer gemeinsam ihr Restaurant in Kastelorizo und verbringen den Winter in Kas. "Es ist die erste Ehe, die aus unserer Nachbarschaft hervorgegangen ist" , erklärt Tsikos.

Restaurantbesitzer Tsikos: "Wir sind Freunde und wie eine Familie"Bild: DW/F. Schmitz

Unweit von Tsikos' Insel kreuzte bis vor wenigen Tagen das türkische Forschungsschiff Oruc Reis, begleitet von türkischen Kriegsschiffen, die wiederum von Schiffen der griechischen Marine flankiert wurden. Vor ein paar Wochen kam es zu einem Zusammenstoß zweier Schiffe, ein "heißer Vorfall", wie es die griechischen Medien nennen. Athen und Ankara bezichtigen sich gegenseitig, für den Zusammenstoß verantwortlich zu sein. Genau vor solchen Unfällen fürchten sich die Menschen auf Kastelorizo. Niemand hier will Krieg mit der anderen Seite: "Wir sind Freunde und wie eine Familie", erklärt Tsikos. Die größten Sorgen bereiteten aber nicht die derzeitigen Spannungen mit der Türkei. Daran habe man sich längst gewöhnt. Zwar sei es in diesem Jahr schlimmer als sonst, aber das wirkliche Problem schaffe vor allem die Pandemie: "Vor Covid hatten wir eine sehr intensive Beziehung. Jeden Tag gab es Boote, mit denen wir nach Kas und die Menschen aus Kas zu uns kamen. Allgemein kann man sagen, dass wir eine ähnliche Einstellung zu den Dingen haben. Uns als Menschen trennt nichts" , erklärt Tsikos.

Mediale Eskalation

Auch deswegen sind viele Menschen auf Kastelorizo verärgert darüber, wie der Konflikt medial hochstilisiert wird. Jedes Land habe einen eigenen Umgang mit Medien, meint Tsikos. Die türkische Seite sei vielleicht ein wenig aggressiver. Aber auch die griechischen Medien würden kaum zu einer Deeskalation beitragen - im Gegenteil: "Ein Fernsehsender hat die Vorbeifahrt eines griechischen und eines türkischen Schiffs gefilmt und es als erneute Beinahe-Kollision bezeichnet. Dabei ist überhaupt nichts passiert."

Das Forschungsschiff "Oruc Reis" wird im östlichen Mittelmeer von türkischen Kriegsschiffen eskortiertBild: picture-alliance/abaca/Turkish Naval Forces

Niemand auf der Insel bezweifelt, dass es einen Konflikt gibt. Damit lebt man hier in Kastelorizo und auf der anderen Seite in Kas seit jeher, ohne sich dabei feindlich gegenüber zu stehen. Die mediale Überspitzung beider Seiten habe mit der Realität der Menschen wenig zu tun: "Was wir im Fernsehen sehen, stimmt nicht," sagt Restaurantbesitzerin Nista Kontou. Corona hat ihr die schlechteste Saison seit Jahren beschert. Dass die Medien jetzt Angst verbreiten, sorge für noch weniger Gäste. "Unsere Insel ist sicher" , bestätigt sie.

Mehr Politik als Rechtsstreit

Fast 400 Jahre lang war Griechenland Teil des Osmanischen Reichs. Die Bildung der heutigen Türkei und der hellenischen Republik waren begleitet von blutigen Kämpfe mit vielen Verlusten auf beiden Seiten. Die Rivalität zum östlichen Nachbarn, die alte Feindschaft zwischen den orthodox-christlichen Griechen und den muslimischen Türken sind nicht zuletzt durch die Schulbildung fest in den Köpfen der Menschen verankert. Erst durch den Lausanner Vertrag von 1923 wurde der heutige Grenzverlauf weitestgehend festgelegt.

Alexandros Sarris, geboren in Athen, lehrt internationales Recht an der Universität Rotterdam. Sein Schwerpunkt: Seerecht. Er blickt mit Sorge über die östlichen Grenzen seine Heimatlandes: "Erdogan spricht über die Grenze seines Herzens. Das aber hat nichts mit den eigentlichen Grenzen zu tun. Ich gehe davon aus, dass er die Grenzen des Osmanischen Reichs meint."

Doch während die Rhetorik des türkischen Präsidenten anschwillt, schwächelt die Wirtschaft seines Landes enorm. Die türkische Lira ist im Keller. Käme ein militärischer Konflikt dann zur richtigen Zeit? "Wenn mich nicht alles täuscht, besagt eine Theorie, dass Wirtschaft nicht auf Frieden, sondern auf Krieg fußt. Vielleicht sind all diese Kriegsspiele ein Versuch, zumindest den Wirtschaftskrieg für sich zu entscheiden", mutmaßt Sarris.

Kein unlösbares Rätsel

Als Experte für Seerecht sieht Alexandros Sarris den tükisch-griechischen Konflikt weniger als juristisches Problem: "Das Seerecht ist einer der Aspekte des Völkerrechts, der am wenigsten Rätsel aufgibt. Es ist sehr gut analysiert und von der internationalen Rechtsprechung gut ausgearbeitet. Es gibt nur sehr wenige Grauzonen, und die meisten davon haben mit dem zu tun, was jenseits von 200 Seemeilen geschieht." Der Streit in der Ägäis sei kein juristisches Novum: "Was auch immer dort passiert, es ist an anderen Stellen bereits gelöst worden", sagt Sarris.

Überschneidungen bei der Aufteilung der Wirtschaftszonen im Mittelmeer

Alles sei nun eine Sache von Verhandlungen. Damit diese aber erfolgreich sein können, müssten sich beide Seiten auf den rechtlichen Rahmen einigen. In diesem Fall gehen die türkische und die griechische Sichtweise weit auseinander. Athen beruft sich auf die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen von 1982. Demnach hätte jede einzelne Insel eine eigene Wirtschaftszone, was den türkischen Spielraum auf dem Meer enorm einschränken würde. Die Türkei hat das Abkommen nicht unterzeichnet und sagt, dass dieses in der Ägäis nicht anwendbar sei. "Auf der einen Seite wendet die Türkei das Seerecht im Schwarzen Meer an, wo sie das Hoheitsgebiet auf 12 Seemeilen ausgeweitet hat. Aber wenn es um die Ägäis geht, fühlt sich Ankara nicht an das Gesetz gebunden", kritisiert Sarris.

Nachdem das Forschungsschiff Oruc Reis nun die kritische Zone im östlichen Mittelmeer verlassen hat, entspannt sich die Lage. Sarris, der an der renommierten Harvard-Universität intensiv in Verhandlung geschult wurde, sieht dabei durchaus Spielraum - auch für die Türkei: "Die Türkei ist ein Küstenstaat und man kann sie nicht ihrer Rechte berauben. Sie hat Zugang zur Ägäis, zum Schwarzen Meer und zum Mittelmeer. Sie hat Rechte, aber die Frage ist, wie sie diese ausübt. Im Falle von Anliegerstaaten oder sich gegenüberliegenden Ländern können die äußeren Grenzen nicht ausgeschöpft werden, die das Gesetz der Seekonvention bietet, einfach, weil nicht genügend Platz zur Verfügung steht oder sich Ansprüche überschneiden." Es gibt viele Staaten am Mittelmeer. Also müsse man Vereinbarungen treffen und jenen Staaten, die ihr Recht ausüben wollen, nicht mit Gewalt drohen.

Sarris würde es nicht wundern, wenn die Verhandlungen zwischen beiden Ländern bald beginnen würden - trotz der derzeitigen Situation: "Spannungen vor Verhandlungen hat es schon oft gegeben in der Geschichte." Auch die Menschen auf Kastelorizo wünschen sich, dass Ankara und Athen ihren Streit beilegen. Sie brauchen Hilfe, um nach dem Corona-Sommer wieder auf die Beine zu kommen. Zusätzliche Probleme durch militärische Hahnenkämpfe können sie wirklich nicht gebrauchen.

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