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Politik

Griechenland: Wo ist Neonazi-Führer Nr. zwei?

19. Mai 2021

Sieben Monate nach dem Verbot der "Goldenen Morgenröte" ist Christos Pappas, Stellvertreter des Chefs der rechtsextremen Partei, noch immer auf freiem Fuß.

Griechenland Athen | Golden Dawn Partei - Christos Pappas
Christos Pappas, Vize-Chef der "Goldenen Morgenröte", bei einer Veranstaltung der griechischen Neonazi-Partei 2017Bild: imago/ZUMA Press

Der Schläger sitzt endlich im Knast - nach dem Theoretiker aber sucht die Polizei noch immer. Ioannis oder kurz Giannis Lagos, 48, ehemals Bodyguard von Nikos Michaloliakos, Chef der griechischen Neonazi-Partei "Goldene Morgenröte", und dann deren Führungsmitglied und Abgeordneter im Europäischen Parlament, war am 15.05.2021 von Belgien nach Griechenland ausgeliefert worden. Dank dieser Entwicklung ist die griechische Öffentlichkeit nun gezwungen, sich an Christos Pappas, die Nummer zwei der Neonazi-Partei, zu erinnern.

Sieben Monate nach dem historischen Urteil gegen die Führung der Goldenen Morgenröte, mit dem diese als "kriminelle Organisation" eingestuft wurde, hat man die Existenz der neofaschistischen Organisation fast vergessen. Einmal, weil die Pandemie und die Berichterstattung über COVID-19 fast alles verdrängt. Zum anderen, weil die Rechtsextremen schon aufgrund der Ausgangssperren wenig Gelegenheit zu rassistischen Attacken gegen Migrant:innen oder antisemitischen Vandalismus hatten. Der Angriff auf den DW-Journalisten Thomas Jacobi im Januar 2020 war die letzte eindeutig rechtsextreme Tat in Griechenland; kurz danach wurde der erste Corona-Lockdown angeordnet.

Im Oktober 2020 wurde DW-Journalist Thomas Jacobi in Athen Opfer einer Neonazi-PrügelattackeBild: AFP/L. Gouliamaki

Begonnen hatte der Niedergang der Goldenen Morgenröte lange vor dem Gerichtsurteil. Einerseits, weil es Griechenland 2018 endlich aus der langen Wirtschaftskrise geschafft hat. Andererseits, weil die regierende konservative Partei Nea Dimokratia (Neue Demokratie) mit ihrem "Law and Order"- Versprechen viel überzeugender und erfolgreicher war als die CDU in Deutschland gegenüber der AfD oder der Partido Popular in Spanien gegenüber Vox.

Unter Premier Kyriakos Mitsotakis konnte die Nea Dimokratia einen großen Teil der rechten Wähler zurückerobern, auch wegen ihrer offenen Migranten- und Flüchtlingsfeindlichkeit. Im Moment sieht es so aus, als ob eine echte Neonazi-Partei in Griechenland in absehbarer Zeit keine Chance hat - obwohl die menschenverachtenden Ideen der extremen Rechten nach wie vor sehr lebendig sind.

Ein halber Erfolg

Das Urteil vom Oktober 2020 war einer der letzten Nägel im Sarg der Goldenen Morgenröte - und die Auslieferung von Lagos am vergangenen Samstag ein weiterer. Stolz verkündete die Regierung in Athen, Griechenland habe erfolgreich dafür gekämpft, dass "toxische Gift" der Goldenen Morgenröte auszutreiben. Der Rechtsstaat habe den rechtsextremen Verbrechern die Stirn geboten.

Nach seiner Ankunft in Athen am 15.05.2021 wird Giannis Lagos ins Polizeihauptquartier gebrachtBild: Dimitris Kapadais/AP/picture alliance

Doch Lagos' Einweisung ins Gefängnis von Domokos in Zentralgriechenland ist nur ein halber Erfolg. Und der geht exklusiv auf das Konto der belgischen Polizei, die den Neonazi sofort festnahm, nachdem das Europaparlament dessen Immunität aufgehoben hatte. Ebenfalls in Belgien wurde Lagos dann sofort in ein Hochsicherheitsgefängnis gebracht. Der Angeklagte hat nicht einmal versucht, gegen seine Auslieferung nach Griechenland Berufung einzulegen; Lagos fühlte sich erklärtermaßen "unwohl" unter den vielen muslimischen Häftlingen in Belgien.

Fiasko für die Sicherheitskräfte

Im Gegensatz zu ihren belgischen Kolleg:innen blickt die griechische Polizei unter Bürgerschutzminister Michalis Chrysochoidis auf ein beispielloses Fiasko: Seit sieben Monaten suchen Sicherheitskräfte den Stellvertreter des Neonazi-Partei-"Führers" Michaloliakos, Christos Pappas. Obwohl dieser nach dem Prozess gegen seine Partei in seiner Wohnung in Athen unter strenger Beobachtung stand, verschwand er am 1. Oktober 2020; seitdem fehlt jede Spur von der Goldene Morgenröte-Nummer zwei. Der Anwalt des Neonazis teilte lediglich lapidar mit, es sei nicht Wille seines Mandanten, die Zeit bis zu seiner Verhandlung im Gefängnis zu sitzen.

Griechenlands Minister für Bürgerschutz, Michalis ChrysochoidisBild: Giannis Panagopoulos/ANE/Eurokinissi/picture alliance

Seitdem läuft die Fahndung nach Christos Pappas über Interpol; auch die Anti-Terror-Abteilung der griechischen Polizei ist involviert. Es wir nicht ausgeschlossen, der Neonazi ins Ausland oder in die autonome Mönchsrepublik Athos im Norden Griechenlands geflohen ist. Dort hat die Polizei ihn im Februar im Kloster von Esfigmenou gesucht - erfolglos.

Hilfe aus Serbien

Zudem baten griechische Polizist:innen ihre Kolleg:innen in Serbien, nach Pappas zu suchen. Der Rechtsextreme hatte immer wieder mit seiner Freundschaft mit Vojislav Šešelj geprahlt, dem Vorsitzenden der extrem nationalistischen Serbischen Radikalen Partei und verurteiltem Kriegsverbrecher. Aber auch die serbische Polizei war erfolglos. Im Moment gibt es wieder Gerüchte, dass Pappas mit Hilfe von serbischen Neonazis in der bosnischen Republika Srpska versteckt wird.

Der serbische Ultranationalist und verurteilte Kriegsverbrecher Vojislav Šešelj im August 2016Bild: Getty Images/AFP/A. Stankovic

Pappas Flucht ist für die griechische Regierung besonders peinlich. Sie hatte vor Ende der Gerichtsverhandlung gegen die Goldene Morgenröte im Herbst 2020 beteuert, dass die Angeklagten im Falle einer Verurteilung keine Chance zur Flucht hätten. Auf Schritt und Tritt würden sie überwacht, hieß es. Pappas anscheinend nicht, was schlimm genug ist. Noch schlimmer jedoch wiegt der Verdacht, dass der Neonazi Mithelfer im Sicherheitsapparat hatte.

Kommunikationskanäle zur Polizei?

Die Polizei in Griechenland ist nicht nur auf dem rechten Auge blind, sondern überproportional viele ihrer Mitarbeitenden haben 2012 und 2015 die Goldene Morgenröte gewählt. Vor kurzem deutete Pappas' Rechtsanwalt gegenüber der Zeitung "Ta Nea" an, dass Kommunikationskanäle zwischen seinem Mandanten und den Sicherheitsbehörden existierten - und, dass es eine Art Verhandlung gäbe. Prompt dementierte die Regierungssprecherin: "Es gibt keine Verhandlungen mit dem Flüchtling Christos Pappas. Er wird gesucht und verhaftet."

Seitdem sind erneut zehn Tage vergangen - und Pappas ist immer noch frei. Lagos dagegen sitzt seit Samstag im Gefängnis. Sein Abgeordnetenmandat behält der Neonazi, zudem lässt er sich weiter von der EU entlohnen. Er hat das Recht, aus dem Gefängnis heraus an den Sitzungen des Europaparlaments teilzunehmen.

Lagos ist weiter bereit, "jedes Opfer für die Orthodoxie und Griechenland zu bringen", wie er bei seiner Ankunft in Athen angekündigt hatte. Der Mann, wegen Führung einer kriminellen Vereinigung und anderer Delikte zu 13 Jahren und acht Monaten Haft verurteilt, wurde im Europaparlament berühmt, als er im Januar 2020 während einer Rede die Flagge der Türkei zerriss.