Griechisch-deutsche Hassliebe
2. März 2014 Entspannt ist das deutsch-griechische Verhältnis immer noch nicht. Die gegenseitigen Angriffe, die hauptsächlich in den Medien ausgetragen wurden, wirken nach. Die Charakterisierung der Griechen in der deutschen Boulevardpresse als faul, unproduktiv und korrupt sei "schlichtweg primitiv und beleidigend" gewesen, urteilt Nikos Dimou in seinem Buch "Die Deutschen sind an allem schuld", das nun in deutscher Übersetzung erschienen ist. Dennoch könnten solche Kampagnen nicht erklären, weshalb die griechischen Reaktionen so heftig waren - und warum Deutsche in Griechenland mittlerweile noch weniger beliebt sind als US-Amerikaner.
Überforderung der Griechen
Die Deutschen seien dafür verantwortlich, dass das Ego der Neugriechen größer geworden sei: Das ist eine der erstaunlichen Thesen in Dimous Buch. Deutsche Intellektuelle wie Johann Wolfgang von Goethe oder der Kunsthistoriker und Archäologe Johann Joachim Winckelmann betrachteten die Bevölkerung von Hellas als würdige Nachfolger der alten Griechen. Letzterer siedelte den Mythos einer idealen Staatswelt in der griechischen Antike an.
Allerdings waren die Neugriechen, als sie sich gegen die Herrschaft der Osmanen erhoben und 1830 ihren Staat gründeten, zu 98 Prozent Analphabeten. "Wir haben keine Renaissance erlebt, keine Reformation, keine Aufklärung. Wir waren in einem feudalen Zustand, als wir befreit worden waren", so Schriftsteller Nikos Dimou. "Auf einmal mussten wir einerseits die würdigen Nachfolger der berühmten alten Griechen sein und anderseits zugleich europäische Bürger werden. Das war ein bisschen zu viel."
Unter dieser Überforderung litten die Griechen noch heute. Einerseits haben sie die ihnen zugewiese Rolle als Nachfahren der antiken Griechen akzeptiert, anderseits hätten sie Minderwertigkeitsgefühle, weil dieser Schuh ihnen zu groß sei, so der Autor. Gerade Angriffe auf das griechische Selbstverständnis, die aus Deutschland kommen, träfen sie deshalb besondes schwer.
Mit platonischen Dialogen die Griechen erklären
Wenn es im Titel des Buches heißt, die Deutschen seien an allem schuld - auch am aktuellen Elend -, so ist das mit einem Augenzwinkern gemeint. Nikos Dimou ist kein Deutschen-Hasser. Ganz im Gegenteil: "Ich fühle mich zu einem kleinen Teil deutsch. Und ich fühle, dass München irgendwie meine zweite Heimat ist." Hier studierte der heute 78-Jährige von 1954 bis 1960 Philosophie. Die Zeit in München hat seine Persönlichkeit und auch sein Verhältnis zu Deutschland geprägt. Weil er beide Seiten sehr gut kennt, versucht er in seinem neuen Buch vor allem, den Deutschen das Verhalten und Denken der Neugriechen zu erklären.
Einige der zwölf Kapitel sind im Stil eines klassischen platonischen Dialogs geschrieben. Es sind fiktive Gespräche mit ausländischen Freunden, in denen Nikos Dimou auch auf Plattitüden eingeht: zum Beispiel, dass man in Westeuropa vom rationalen Denken geleitet sei, in Griechenland dagegen eher von Emotionen. "Das Entmutigende an solchen Plattitüden ist, dass sie gewöhnlich wahr sind", so Dimou. Ein Beispiel: "Griechen lieben Verschwörungstheorien. Verschwörungstheorien erleichtern das Verstehen einer Situation, denn sie vereinfachen alles. Jetzt haben wir einen Guten und einen Bösen - und der Böse ist Deutschland."
An diesem Imageverlust seien die Deutschen aber nicht ganz unschuldig. Keinesfalls liege das alleine an der Berichterstattung in der Boulevardpresse über die "faulen" Griechen. Angesichts des Niedergangs der Wirtschaft seit fünf Jahren verstehe kein Mensch in Griechenland die Forderung der Kreditgeber der Troika und vor allem Deutschlands nach extremer Sparsamkeit. Und was die Vorwürfe wegen der Korruption im Land angeht - seien nicht diejenigen, die am massivsten Schmiergelder gezahlt haben, deutsche Konzerne wie Siemens gewesen?
Darüber hinaus wirft Dimou Deutschland Ignoranz vor. Man habe nicht verstanden, dass Griechenland auf Grund einer bestimmten geschichtlichen Entwicklung und auch der Mentalität der Menschen nicht wie Deutschland funktionieren könne. "Sie haben keinen Respekt vor unserer Eigentümlichkeit gezeigt. Ich glaube, um eine Gesellschaft zu reformieren, muss man sie erst studieren und verstehen und dann auch die Persönlichkeit dieser Menschen wirklich respektieren." Darauf hätten die Deutschen nicht genug geachtet.