Griechische Achterbahn
2. Juni 2015Nach dem spontanen Gipfeltreffen der Kreditgeber für Griechenland in Berlin geht es weiter wie bisher: Es wird verhandelt. In Brüssel treffen sich die Unterhändler von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds mit ihren griechischen Gesprächspartnern in der sogenannten "Brüssel-Gruppe". Von einem "Ultimatum" oder "letztem Angebot" will man in Brüssel nicht sprechen. Jede Schärfe soll vermieden werden, da man weiß, dass die Regierung in Athen auf Ultimaten schroff ablehnend reagiert. Allerdings, da sind sich mit der Verhandlung vertraute EU-Diplomaten auch einig, die Zeit wird äußerst knapp.
"Griechenland könnte zahlen, wenn es will"
Bis zum 18. Juni geben sich die europäischen Vertreter in der "Brüssel-Gruppe" Zeit. Spätestens dann, zur regulären Sitzung der Euro-Finanzminister in Luxemburg, soll ein Kompromiss stehen. Sie gehen davon aus, dass Griechenland die nächste fällige Rate an den Internationalen Währungsfonds am kommenden Freitag in Höhe von 300 Millionen noch zahlen kann und weitere Zahlungen dann aufs Monatsende verschieben könnte.
Der Ökonom Zsolt Darvas vom Forschungsinstitut "Bruegel" in Brüssel meint, der griechische Staat habe noch ausreichende Vermögenswerte und könne die Raten zahlen, wenn er das politisch wolle. "Griechenland hat ein Vermögen in Höhe von 78 Milliarden Euro. Darunter Anteile an Banken, die sicherlich schwer zu veräußern wären. Aber neben Bankbeteiligungen gibt es andere Vermögenswerte, Anleihen und Konten, die noch einigen Wert haben."
Stoppen oder Abwarten?
Sollte die griechische Regierung aus politischen oder verhandlungstaktischen Gründen den IWF nicht auszahlen, käme es darauf an, wie die Europäische Zentralbank reagiert, so Darvas im Gespräch mit der DW. "Sollte die EZB Griechenland als bankrott ansehen, dann könnte sie die Notfallkredite für die griechischen Banken stoppen. Das Bankensystem würde sofort zusammenbrechen, es käme zu seiner schweren Finanzkrise und Griechenland könnte die Euro-Zone verlassen."
Darvas glaubt aber nicht, dass die EZB im Moment so handeln würde. "Ich denke die EZB würde einfach abwarten, ob sich Griechenland und die Euro-Zone nicht doch noch einigen. Das hat sie vier Monate getan, das würde sie auch noch zwei weitere Wochen tun."
Tsipras: "Komplette Liste übermittelt"
Was genau die Geldgeber im Bundeskanzleramt in Berlin am Montag Abend besprochen haben, ist offiziell nicht bekannt geworden. Von Diplomaten in Brüssel heißt es, die EU-Kommission, die EZB und der IWF hätten gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten François Hollande ihre Verhandlungsposition abgestimmt und Prinzipen zur Lösung der Schuldenkrise aufgeschrieben, die Griechenland akzeptieren müsse. Diese Position solle der griechischen Regierung in den nächsten Tagen übermittelt werden, hieß es. Am Dienstag Morgen gab die griechische Regierung zu verstehen, dass ihr keine Papiere aus Berlin vorgelegt worden seien.
Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras, der entgegen der Erwartungen in Griechenland nicht in das Treffen in Berlin eingebunden war, äußerte sich am Dienstag Mittag in Athen. Er sagte, seine Regierung habe den Geldgebern bereits am Montag eine 40 Seiten lange "komplette Liste" mit Reformvorschlägen übermittelt. Ob sich aus dieser Liste eine Annäherung bei den strittigen Punkten wie einer Rentenreform und dem Haushaltsüberschuss ableiten lässt, ist unklar.
Noch keine Zugeständnisse an Athen
Die EU-Kommission erklärte dazu in Brüssel lapidar, es würden "viele Papiere" hin- und hergeschoben, und zwar seit Monaten. "Sollte es eine neue Liste mit 40 Seiten geben, dann hatten wir noch keine Zeit sie zu lesen oder zu prüfen", so die Sprecherin der EU-Kommission. Der griechische Premiermister Tsipras sagte in Athen: "Ich bin zuversichtlich, dass die politischen Führer in Europa sich unserer Position mit Respekt nähern und sich auf die Seite der Realisten schlagen werden."
Der EU-Kommissar für die Währungsunion, Pierre Moscovici, bestätigte in einem Radiointerview in Frankreich, dass neue Vorschläge aus Athen vorliegen. "Wir arbeiten an der Rentenreform jetzt intensiv. Die Griechen haben erste Vorschläge gemacht. Wir wägen jetzt das Für und Wider ab." Der griechische Arbeitsminister Panis Skourletis sagte in Athen, er sehe keinen Spielraum mehr für Kompromisse.
Wird der Rettungsschirm ESM aktiviert?
In Berlin hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach unbestätigten Angaben von EU-Diplomaten ein Papier vorgelegt, das keine neuen Zugeständnisse an Athen enthalten soll. Es gehe nicht um ein "letztes Angebot", sondern um eine Darstellung der gemeinsamen Position der Kreditgeber, die zunächst dem griechischen Premier Alexis Tsipras übermittelt werden soll. Der linksradikale Tsipras hatte am Sonntag in der Zeitung "Le Monde" schwere Vorwürfe gegen die europäischen Partner erhoben und von einer neoliberalen Verschwörung gegen Griechenland gesprochen.
Die Entscheidung, ob aus dem Ende Juni auslaufenden aktuellen Hilfsprogramm noch maximal 7,2 Milliarden Euro ausgezahlt werden, treffen die Finanzminister der Euro-Gruppe in enger Absprache mit dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank. Sollte sich der IWF aus der Griechenland-Hilfe verabschieden, was deren Chefin Christine Lagarde vergangene Woche angedeutet hat, dann könnten die Europäer eine Zwischenfinanzierung für Griechenland alleine übernehmen. In Brüssel werden Pläne erwogen, den Rettungsschirm ESM in Luxemburg zu bemühen. Dieses Instrument der Euro-Staaten könnte kurzfristig griechische Verbindlichkeiten gegenüber dem Internationalen Währungsfonds oder auch der Europäischen Zentralbank ablösen. Allerdings müssten alle Euro-Staaten und einige Parlamente, darunter der Bundestag, diesen neuen Krediten für Griechenland zustimmen.
"Mitverantwortung der Geldgeber"
Der Brüsseler Ökonom Zsolt Darvas geht davon aus, dass beide Seiten flexibler sein müssen, um eine Einigung zu erreichen. Die Linksradikalen in der griechischen Regierung müssten sich von einigen Wahlkampfversprechen verabschieden. Die europäischen Partnern müssten anerkennen, dass der Sparkurs die Krise in Griechenland verschärft hat. "Im ersten Hilfsprogramm ging man davon aus, dass Griechenlands Wirtschaft um sieben Prozent schrumpft und nach einem Jahr wieder wächst. Stattdessen kollabierte die Wirtschaft um 25 Prozent, die Arbeitslosigkeit stieg enorm." Es folgten fünf Jahre Rezession. Dafür trügen auch die Euro-Partner und der IWF Verantwortung, so Darvas.
Spätestens im Juli und August wird es für Griechenland eng. Dann müssen insgesamt 8,5 Milliarden Euro an den IWF und die EZB zurückgezahlt werden. Nötig ist ein Plan, der über das Ende Juni auslaufende zweite Hilfsprogramm hinausgeht. Auch darüber wurde nach Vermutungen von EU-Diplomaten beim Krisengipfel in Berlin am Montag gesprochen.