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Politik

Griechische Filmemacher entdecken sich neu

13. November 2017

Der griechische Film ist im europäischen Kino nur wenig präsent. Dabei liefert er Einsichten in ein Land, das sich in der Krise neu verstehen lernt. Das Filmfestival Thessaloniki beweist es.

Griechenland Filmfestival in Thessaloniki
In Griechenland und auf dem Balkan ist das Festival in Thessaloniki eine feste InstitutionBild: DW/F. Schmitz

Thessaloniki ist eine Filmstadt. Das zeigen nicht nur die zahlreichen Programmkinos, die sich trotz der Krise gehalten haben. Auch ist die Stadt Heimat eines internationalen Filmfestivals, bei dem seit fast 60 Jahren die wichtigste cineastische Auszeichnung des Landes verliehen wird. Zu Hochzeiten des griechischen Films, als Regisseure wie Theo Angelopoulos das europäische Autorenkino maßgeblich mitgestalteten, war es die Kaderschmiede für Hellas‘ Filmemacher. Zu Zeiten der Militärdiktatur wurden von hier aus zensierte Filme zu Festivals wie der Berlinale oder Cannes geschmuggelt. Heute kämpft nicht nur das Festival, sondern der griechische Film an sich um mehr Beachtung aus dem Ausland. Dabei erwachen Griechenlands Filmemacher langsam aus dem Dornröschenschlaf.

Forum für neue griechische Regisseure

In Griechenland und auf dem gesamten Balkan ist das Festival in Thessaloniki bis heute eine feste Institution. Für die Region, in der das kulturelle Leben aufgrund der wirtschaftlichen Lage tief in der Krise steckt, ist der jährliche Kinomarathon daher ein langersehnter Lichtblick. Die Atmosphäre ist offen, Ticketpreise erschwinglich, die Besucher sind interessiert und meinungsfreudig. "Das Publikum in Thessaloniki ist sehr emotional. Man lacht und weint und nimmt sehr aktiv an den Diskussionen nach den Vorführungen teil", berichtet der 24-jährige Belgier Matthias de Groeve.

Vor dem Olympion-Kino am zentralen Aristoteles-Platz drängt sich ein äußerst interessiertes PublikumBild: DW/F. Schmitz

Gleichzeitg hält die Krise den Alltag in Griechenland immer noch fest im Griff. Viele Menschen sind nur mit sich selbst und ihrem unmittelbaren Lebensumfeld beschäftigt, moniert ein 26-jähriger Graphikdesigner aus Thessaloniki. Während des Festivals aber herrsche ein Flair von Internationalität, und man habe die Möglichkeit, sich mit anderen Lebenswelten auseinanderzusetzen: "Wenn man Filme aus Lateinamerika, aus dem Iran oder anderen europäischen Ländern sieht, dann merkt man, dass Griechenland nicht das einzige Land ist, in dem es Probleme gibt."

Vor allem aber ist Thessaloniki das wichtigste Forum für griechische Filmemacher. Lange Zeit war es still um sie. Zuletzt gewann Theo Angelopoulos 1998 die Goldene Palme in Cannes für seinen Film "Die Ewigkeit und ein Tag". Inzwischen aber finden immer mehr griechische Filmemacher den Weg ins Ausland. "Das griechische Kino der letzten Jahre ist beeindruckend. Ich denke, dass die griechischen Regisseure sich sehr bewusst und immer wieder mit der Vergangenheit auseinandersetzen, um in diesen schwierigen Zeiten auf eine bessere Zukunft zuzusteuern", meint Orestis Andreadakis, künstlerischer Leiter des Festivals.

Seit 2016 leiten die Französin Elise Jalladeau (links) und Orestis Andreadakis das Festival in Thessaloniki.Bild: DW/F. Schmitz

Überwindung von Klischees

Eine bekannte Regisseurin ist Elina Psykou aus Athen. Gerade tourt sie mit ihrem zweiten Langzeitspielfilm "Sofias Sohn" von einem Festival zum anderen, von Belgrad über Stockholm bis nach San Francisco. Das Filmfestival Thessaloniki ist nur ein kurzer Stopp in der Heimat. Ihr Film handelt vom 11-jährigen Mischa, der seine Heimat Russland hinter sich lassen muss, um mit seiner Mutter in Athen ein neues Leben zu beginnen. Diese hat den über 70-jährigen Nikos geheiratet, einen traditionsbewussten Patrioten, der den Jungen streng nach den Grundsätzen "Familie, Religion, Vaterland" zu einem echten Griechen erziehen will. "Auf diesen Grundsätzen ist in Griechenland ein sehr traditionelles und konservatives Erziehungsverständnis entstanden, sowohl von Seiten der Schulen als auch der Eltern", erklärt Psykou. Für Mischa sei diese Art der Erziehung eine Form von psychischer Gewalt, die letztlich zum Verlust seiner kindlichen Unschuld führe.

Trotz des hohen moralischen Anspruchs des Films belehrt Psykou den Zuschauer nicht, sondern lässt eigene Schlüsse zu. Dies gelingt der Regisseurin und Drehbuchautorin durch intime Einsichten, die ihre Protagonisten zu greifbaren Charakteren wachsen lassen. So erfährt der Zuschauer zum einem vom Leben der vielen russischen Immigranten in Griechenland. Zum anderen bietet "Sofias Sohn" interessante Erkenntnisse über die griechische Gesellschaft selbst. Viele von Psykous‘ Kollegen teilen diesen Anspruch, verlieren sich dabei aber in klischeehaften und künstlerischen Überzeichnungen. "Sofias Sohn" überwindet diese Hürden und wird auf diese Weise auch einem internationalen Publikum zugänglich.

Bild: DW/F. Schmitz

Koproduktionen sorgen für Aufwind

Dass die Qualität des griechischen Films lange zu wünschen übrig ließ, liegt für Psykou nicht zuletzt am Geld. "Die Krise des griechichen Films fing schon vor der Wirtschaftskrise an. Es ist sehr schwierig, an Fördergelder zu kommen, und man wartet oft Jahre auf Zusagen." Für viele bleibe so nur der Weg in den Low-Budget-Sektor. Doch in den letzten Jahren sorgen auch internationale Koproduktionen für Aufwind. Dabei scheint sich nicht nur das Geld, sondern auch der Austausch mit ausländischen Kollegen positiv auf den griechischen Film auszuwirken.

Dieser gewinnt langsam, aber sicher auch außerhalb von Griechenland an Präsenz. Im letzten Jahr etwa wurde die Athenerin Sofia Exarchou für ihr Debüt "Park" mit internationalen Preisen in San Sebastián und Toronto geehrt. Ihre Protagonisten sind perspektivlose Jugendliche ohne Aussicht auf Arbeit. Ihre Freizeit verbringen sie in den Ruinen des olympischen Dorfs vor den Toren Athens. Filme wie diese analysieren die griechischen Lebenswelt mit einem Maß an Objektivität, das sie auch von außen erfahrbar macht.

Regisseurin Elina Psykou mit ihren Schauspielern im Gespräch mit dem PublikumBild: DW/F. Schmitz

Davon profitiert letztlich auch der nichtgriechische Zuschauer. Regisseure wie Psykou und Exarchou bieten  Einsichten in ein Land, das sich nach dem Fokus auf die Krise der letzten Jahre neu verstehen lernt. Die Stereotypen der Krise werden ebenso überwunden wie Schuldzuweisungen oder Opfermythen. Vielmehr porträtieren sie Lebenswelten, in denen globale Entwicklungen auf die Traditionen national geprägter Kulturen treffen. Und dies ist nicht nur die Realität Griechenlands, sondern ganz Europas.

 

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