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Politik

"Korruptes Klientelsystem tötet Menschen"

8. März 2018

Nach dem Mord an dem Journalisten Ján Kuciak sei die Slowakei in einer Umbruchsituation, sagt Grigorij Mesežnikov. Mit seinem Festhalten an der Macht vertiefe Fico die Krise im Land von Tag zu Tag.

Slowakei Ermordeter Journalist Kuciak beigesetzt
Der Mord an Journalisten Jan Kuciak erschütterte SlowakeiBild: picture alliance/NurPhoto/B. Zawrzel

Deutsche Welle: Herr Mesežnikov, der Mord an dem Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnírová hat die slowakische Öffentlichkeit zutiefst erschüttert und das Land in einer tiefe politische Krise gestürzt. Viele Kommentatoren betrachten diesen Mord als Einschnitt und Wendepunkt im politischen Leben der Slowakei. Wie sehen Sie das?

Grigorij Mesežnikov: Dieser Mordfall ist eine sehr große Tragödie und tatsächlich ein Ereignis, das die Geschichte und den Weg dieses Landes verändern könnte. Die Leute sind jetzt sehr wütend. Darüber, dass die Regierung nicht in der Lage ist, Menschen mit kritischen Einstellungen zu beschützen und dass die Recherchen unabhängiger Journalisten keine Folgen für die Arbeit der Regierung haben. Ján Kuciak hat ja schon seit Jahren Artikel mit brisantem Inhalt geschrieben, ohne dass das politisch irgendetwas geändert hätte. Er hat sich, nachdem er wegen eines Artikels ernsthaft bedroht worden war, sogar an die Polizei gewandt und um Hilfe und Schutz gebeten, aber die Polizei hat das ignoriert. Die Zivilgesellschaft übt jetzt Druck auf die Regierung aus, damit sich etwas ändert. Ich bin zwar sehr skeptisch hinsichtlich der Erfolgsaussichten, nichtsdestoweniger muss sich die Situation im Land natürlich ändern.

Grigorij Mesežnikov: "Ein System, das die Normen der Demokratie verletzt"Bild: privat

Nach Bekanntwerden des Mordes gab es diese recht surrealistische Szene, in der der nominell sozialdemokratische Robert Fico vor der Presse auf einem kleinen Tisch eine Million Euro in Geldscheinbündeln als Belohnung für Hinweise zu dem Mordfall präsentierte. Was haben Sie bei diesem Anblick gedacht?

Ich glaube, der Ministerpräsident und die Leute in seiner Regierung sind aufrichtig schockiert über diesen Mord. Ich glaube, sie wollten auf spektakuläre Weise zeigen, dass sie diesen Mordfall möglichst schnell und effizient lösen wollen. Aber diese Geste mit der einen Million Euro war letztlich sehr zynisch und fügt sich exakt in die Logik der Mafia ein. Diese Logik besagt, dass man alles kaufen kann - politischen Einfluss, materielle Vorteile, Zeugen. Das ist keine Logik, der eine demokratische Regierung folgen sollte.

Der Staatspräsident Andrej Kiska hat am vergangenen Sonntag in einer Ansprache an das Land gesagt, das riesige Misstrauen der Menschen sei berechtigt.

Die Polizei und auch die Regierung stehen momentan unter starkem Druck. Zehntausende Menschen sind in den vergangenen Tagen in slowakischen Städten auf die Straße gegangen und haben protestiert. Die Leute verfolgen sehr genau, was die Regierung macht und was passiert. Denn ihnen ist jetzt eines klar geworden: Gruppen der organisierten Kriminalität versuchen, Einfluss auf höchster Regierungsebene zu bekommen. Darauf hat die Regierung bisher keine öffentliche Antwort gegeben. Es geht nicht nur um personelle Konsequenzen, es geht auch um Änderungen im System. Nämlich darum, wie das korrupte, klientelistische Beziehungssystem beseitigt werden kann. Es ist ein System, das nicht nur die Normen der Demokratie verletzt, sondern auch Menschen tötet.

Teilen Sie die Auffassung, es sei eine Illusion zu glauben, dass die Slowakei ein gefestigter Rechtsstaat sei?

Die Situation ist komplex. Es wäre falsch, zu behaupten, dass die Slowakei ein absolut gesetzloser Staat, ein Staat mit einer unterdrückten Demokratie oder mit einem völlig ineffizienten Justizsystem ist. Wir haben Probleme mit einer selektiven Justiz. Sie ist in den allermeisten Fällen unabhängig, aber da gibt es diese fünf Prozent wichtiger Fälle, die mit Parteien, mit der Politik und mit Geschäftsinteressen zusammenhängen, und in diesen Fällen funktionieren die Behörden und die Justiz nicht mehr gut und unabhängig. Oft wurden in diesen Fällen die Ermittlungen eingestellt. Wenn das nicht der Fall war, dann hat ein Staatsanwalt den Fall zu den Akten gelegt und wenn auch das nicht der Fall war, dann hat ein Gericht eine Entscheidung getroffen, die im Sinne der Angeklagten und nicht im Einklang mit den juristischen Normen war.

Robert Fico klammert sich an die Macht. Er beschuldigt den Staatspräsidenten, einen Putsch gegen die gewählte Parlamentsmehrheit organisieren zu wollen und im Hintergrund vom US-Börsenmilliardär George Soros geleitet zu werden.

Ja, es ist absolut skandalös, was er sagt und es zeigt auch, wie er die Realität sieht. Skandalös ist es, weil er ja immerhin ein nomineller Sozialdemokrat ist und seine Partei Mitglied der europäischen Sozialisten ist. Robert Fico weiß, dass bestimmte Teile der slowakischen Öffentlichkeit an Verschwörungstheorien glauben und er benutzt sie zur politischen Mobilisierung. Allerdings stellt er mit seinen Aussagen auch diejenigen Leute, die jetzt auf die Straße gehen, als Marionetten von Soros dar. Das könnte ihm durchaus gefährlich werden, denn die Menschen sind wirklich sehr wütend. Eigentlich wäre es besser, wenn Fico seine politische Karriere beenden würde. Aber er zeigt keinerlei Absicht, zurückzutreten und so vertieft er die Krise in der Slowakei von Tag zu Tag.

Glauben Sie, dass die politische Elite der Slowakei insgesamt fähig ist, sich zu reformieren und mehr Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und demokratische Kultur im Staat zu verankern?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich persönlich denke, dass das eher unwahrscheinlich ist. Die Partei von Robert Fico befindet sich im Abstieg, während er gleichzeitig an der Macht festhält. Nach dem ersten Schock über den Mordfall hat er wieder angefangen, seine politischen Machtspielchen zu spielen. Das ist kein gutes Zeichen für die Zukunft dieses Landes.

Grigorij Mesežnikov, 59, ist einer der bekanntesten Politologen in der Slowakei und leitet das "Institut für öffentlichen Angelegenheiten" (IVO) in Bratislava. Das Institut setzt sich zum Ziel, die Demokratie in der Slowakei und die Partizipation von Bürgern am politischen und öffentlichen Leben zu fördern.

Das Gespräch führte Keno Verseck.

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