Zehn Jahre hatten die Brüder Grimm für ihr "Deutsches Wörterbuch" veranschlagt. Als der letzte Band 1961 erschien, waren beide seit hundert Jahren tot.
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Ewig schwer und meterlang: Das "Deutsche Wörterbuch" der Brüder Grimm ist ein Werk der Superlative. Den "edelsten, ursprünglichsten aller Laute" nannten die beiden Sprachwissenschaftler und Volkskundler Jacob und Wilhelm Grimm den Buchstaben "A". Erwartungsgemäß beginnt ihr berühmtes "Deutsches Wörterbuch" damit, dass sie den Vokal ausführlich sprachgeschichtlich beschreiben.
Schon im zweiten Eintrag stoßen sie auf die Buchstabenfolge: "AA", einen in Deutschland mehrfach vorkommenden Flussnamen. Und danach auf das "aa! bzw. "aa machen", was nichts anderes heißt als: seine "Notdurft verrichten". Es folgen der "Aal", aber auch "aalglatt" und "aalglatter Heuchler."
Das war der sprachwissenschaftliche Auftakt eines ambitionierten Projektes. Jacob und Wilhelm Grimm wollten die Herkunft und Verwendung jeden deutschen Wortes, ja die gesamte neuhochdeutsche Sprache von Luther bis Goethe "in aller Gründlichkeit" erfassen.
Wie alles begann
Unverhofft hatten die beiden Professoren für Sprachwissenschaft damals gerade viel Zeit. Die Universität Göttingen hatte sie gefeuert, weil sie mit anderen Professoren, den "Göttinger Sieben", für eine liberalere Verfassung eingetreten waren. Während Jacob und Wilhelm Grimm ohne Anstellung waren, ermunterte sie der Leipziger Verleger Salomon Hirzel, "ein neues, großes Wörterbuch der deutschen Sprache abzufassen". Hirzel bot an, das Projekt auch verlegerisch zu unterstützen.
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1838 begannen die Brüder in Kassel ihre Arbeit am Deutschen Wörterbuch - eine Mammutaufgabe, die sie zu ihren Lebzeiten nicht bewältigen konnten. Auch wenn das Wörterbuch anfangs nur für einige wenige Bände geplant war - am Ende wurde es im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Jahrhundertwerk und umfasste 16 Bände.
Die besten Märchen der Gebrüder Grimm
Die Gebrüder Grimm haben einen Schatz an Märchen, wundersamen Geschichten und Gestalten hinterlassen. Hier sind unsere Favoriten - bekannte und weniger bekannte Grimm-Märchen.
Bild: picture-alliance/blickwinkel/McPhoto
Hänsel und Gretel
Ein Klassiker der Märchenwelt: Kinder im Wald auszusetzen, war ein durchaus häufiges Element europäischer Volksgeschichten. Die französische Geschichte "Le petit poucet", 1697 das erste Mal niedergeschrieben, beginnt fast identisch wie das Märchen der Brüder Grimm. Auch Madame d'Aulnoy's "Finette cendron" handelt von drei Prinzessinnen, die mehrfach von ihren Eltern zurückgelassen werden.
Bild: ullstein bild - allOver
Rumpelstilzchen
Die Geschichte von der Müllerstochter, die mit Rumpelstilzchen einen Pakt eingeht, damit das Männchen für sie Stroh zu Gold spinnt, hat ein glückliches Ende. Dafür sollte sie ihr erstgeborenes Kind abgeben. Aber sie wird von dem Versprechen erlöst, weil sie den Namen des Männchens errät. Im Volksmund sind Rumpelstilzchen kleine Menschen, die durch ihre aufbrausende oder tobsüchtige Art auffallen.
Bild: Imago/United Archives
Der Rattenfänger von Hameln
Die Geschichte gehört zu den bekanntesten deutschen Sagen und wurde in über 30 Sprachen übersetzt: Im Jahre 1284 wird in der mitteldeutschen Stadt Hameln ein bunt gekleideter Mann gesehen. Er versprach für Geld, die Stadt von Mäusen und Ratten zu befreien. Doch die Bewohner prellten ihn um den Lohn, woraufhin er mit seiner Pfeife 130 Kinder aus der Stadt lockte, die nie wieder gesehen wurden.
Bild: picture-alliance/akg-images
Die Boten des Todes
Viele der Grimm-Märchen sind viel zu düster, um als Disney-Vorlage zu dienen. So auch die "Boten des Todes", in dem der Tod einem Jüngling als Dank für seine Hilfe verspricht, ihn vor seiner letzten Stunde zu warnen. Der Mann erkrankt immer öfter, doch als der Tod kommt, ist er überrascht - wo seien denn die Boten geblieben? Der Tod weist ihn zurecht: Seine Leiden seien doch die Boten gewesen.
Bild: picture-alliance/akg-images
Der König vom goldenen Berg
Nicht nur mit dieser Statue in Kassel wurde den Gebrüdern Grimm ein Denkmal gesetzt. Ihre Märchensammlung hat die ganze Welt erobert. Auch wenn sie nicht immer klassische Märchenqualitäten aufweisen. In der düsteren Geschichte des "Königs vom goldenen Berg" ist niemand vor Betrug sicher, alle Figuren zeigen einen zweifelhaften Charakter. Am Schluss lässt der König all seine Untertanen köpfen.
Bild: picture-alliance/dpa/U. Zucchi
Der Froschkönig
Eingebildetes Mädchen lässt sich von Frosch helfen, Mädchen ist undankbar, Frosch wird frech, Mädchen wehrt sich, Frosch verwandelt sich in Prinzen und sie werden ein Paar. Der Originaltitel lautet: "Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich". Denn als das Paar eine Kutschfahrt genießt, knallt es drei mal laut: Die eisernen Fesseln um das Herz des treuen Dieners Heinrich haben sich endlich gelöst.
Bild: picture-alliance/blickwinkel/McPhoto
Schneewittchen und die sieben Zwerge
Schneewittchen-Forscher Eckhard Sander zieht Parallelen zwischen dem Märchen und der 1533 geborenen Grafentochter Margaretha von Waldeck. Diese verliebte sich in einen spanischen Prinzen und starb mit gerade einmal 21 Jahren unter mysteriösen Umständen. Ein vergifteter Apfel vielleicht? Märchen- und Grimm-Wissenschaftler in Deutschland widersprechen dieser Darstellung.
Bild: 2016 Disney Enterprises, Inc.
Die Bremer Stadtmusikanten
Die Bremer Stadtmusikanten - ein Esel, ein Hund, eine Katze und ein Hahn - sind das Wahrzeichen der Hansestadt Bremen. Die Geschichte könnte ihren Ursprung in Indien haben, bereits 91 v. Chr. Die Webseite der Stadt Bremen weist auf die reiche indische Tradition von Geschichten mit musizierenden Tieren hin, die die Märchenerzähler zu den Bremer Stadtmusikanten inspiriert haben könnte.
Bild: lassedesignen/Fotolia
Rapunzel
Der Satz "Rapunzel, lass dein Haar herab" ist genauso bekannt wie das Märchen um die Prinzessin mit den langen blonden Haaren. Es birgt auffallende Ähnlichkeiten mit einer Geschichte, die im 11. Jahrhundert n. Chr. in Persien dokumentiert wurde. Rudāba, Prinzessin von Kabul, lässt dabei ihre Haare aus dem Turm herunter, damit ihr Liebhaber Zāl zu ihr hochklettern kann.
Bild: picture-alliance/dpa/R. Hackenberg
Der Schuster und die Wichtelmänner
"Die Wichtelmänner" ist der Titel dreier Märchen der Brüder Grimm: Die magischen Wesen helfen einem armen, rechtschaffenen Schuster. Auf dieses Märchen wird auch in der modernen Popkultur Bezug genommen: Der Hauself Dobby aus der Harry-Potter-Reihe erlangt beispielsweise die Freiheit, indem er ein Paar Kleider bekommt. Eine Regel, die schon bei den Wichtelmännern der Grimms galt.
Bild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library
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Eine politische Agenda für das Deutsche Reich
Das Ganze hatte auch eine explizit politische, nationale Dimension. Es sollte das zu jener Zeit in Klein- und Kleinst-Staaten zersplitterte Deutsche Reich sprachlich einen. Die "Mannigfaltigkeit der Mundarten" gelte es zu erhalten, so Wilhelm Grimm: "Die Schriftsprache ist das Gemeinsame, das alle Stämme verbindet." Das Unterfangen nahm an Fahrt auf und wuchs am Ende auf mehr als 100 Mitarbeitende an, die mit den Grimms damals bald eine halbe Million sprachgeschichtlicher Belege zusammentrugen.
Auf dem Germanistentag im Jahr 1846 bat Wilhelm Grimm seine Kollegen um Geduld. Das angekündigte Wörterbuch sei noch nicht fertig: "Ein Werk dieser Art bedarf langer und mühsamer Vorarbeiten, deren Beendigung nicht erzwungen werden kann."
Das sollte sich bewahrheiten: Erst 1854 erschien der erste Band des "Grimmschen Wörterbuchs". Doch fünf Jahre später starb Wilhelm Grimm, der bis dahin die Einträge für den Buchstaben D zusammengetragen hatte. Seinem Bruder Jacob gelang es noch, die Buchstaben A, B, C und E fertigzustellen. Bereits das F konnte er nicht mehr abschließen: Als er 1863 starb, saß er gerade am Wort "Frucht".
Die Brüder Grimm kamen nur bis "F"
Nach der Veröffentlichung des ersten Bandes sollte es noch weitere 107 Jahre dauern, bis das Werk vollendet war. Generationen von Germanisten nahmen sich nach dem Tod der Brüder Grimm ihres gigantischen Vorhabens an. Ab 1908 kümmerte sich die Preußische Akademie der Wissenschaften um die Umsetzung des Wörterbuchs - während des Kalten Krieges sogar in Ost- und Westdeutschland. Am 4. Januar 1961 erschien schließlich mit dem letzten Eintrag für Z wie "Zypressenzweig" der zunächst letzte Band.
Zu diesem Zeitpunkt waren die originalen Einträge der Brüder Grimm aus dem 19. Jahrhundert jedoch schon so veraltet, dass sie komplett überarbeitet werden mussten. 2016 wurde eine Neubearbeitung der Grimmschen Originaltexte veröffentlicht. Sie reicht aber nur bis zum Buchstaben F. Nach 178 Jahren wurde damit der Schlusspunkt unter "Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm" gesetzt.
Heute ist das analog gut 84 Kilo schwere Werk vor allem in digitaler Version zu bekommen. Unter anderem stellt die Universität Trier kostenlos eine Online-Ausgabe, den "Digitalen Grimm " zur Verfügung. Bis heute sind aber auch noch Papierausgaben erhältlich, unter anderem beim Hirzel-Verlag. Das Wörterbuch der Brüder Grimm ist ein Monumentalwerk der deutschen Sprache- ein Unikat, das es bis ins Guinness Buch der Rekorde geschafft hat.
"Grimmwelt": ein neues Haus für die Brüder Grimm
Die Brüder Grimm sind weltbekannt. In Kassel ist ihrem Werk ab 4. September ein Museum gewidmet. Ein erster Blick in das neue Haus zeigt Original-Dokumente und Werke von Künstlern, die sich mit Grimm auseinandersetzen.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner
Märchenerzähler und Sprachforscher
Der ukrainische Trickfilmer Alexej Tchernyi hat in Kassel studiert, und er gehört zu den Künstlern, die mit ihren Werken immer wieder auf Deutschland blicken. Seine Installation "Erste Lieferung" lässt die Brüder Grimm märchenhaft erkennen. Am 18. August bei der ersten Vorbesichtigung der "Grimmwelt" ist sie noch teilweise verhüllt.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner
Entlassung und Flucht
Noch arbeitet Alexej Tchernyi an seiner Installation "Entlassung aus Göttingen und Verbannung Jacob Grimms". Der Künstler bezieht sich in seinem Werk auf die Flucht Jacob Grimms aus Göttingen. Im November 1837 protestierten sieben Göttinger Professoren gegen die Willkür der Obrigkeit. Zu den "Aufrechten Sieben" gehörten auch die Brüder Grimm.
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Ai Weiweis "Farbige Wurzeln"
Ai Weiwei war 2007 bei der Documenta 12 dabei. 2010 kündigte er an, dass er aus enger Verbundenheit zu Kassel ein neues Kunstwerk für die Grimmwelt schaffen wollte. Damals hatte er den Kasseler Bürgerpreis "Glas der Vernunft" erhalten. Sein Werk "Colored Roots 2009-2015" besteht aus fünf riesigen, farbig angemalten Wurzeln.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner
Exklusiv für Kassel
Wenige Wochen vor der Eröffnung der Grimmwelt kam Ai Weiweis exklusiv für die Grimmwelt gefertigtes Werk in Kassel an, verpackt in fünf Kisten, die jeweils knapp eine halbe Tonne schwer waren. Erst später kam auch der chinesische Künstler selber nach Deutschland.
Bild: picture-alliance/dpa/U. Zucchi
Märchen erzählen als Videoinstallation
Die Filmemacherin Hannah Leonie Prinzler arbeitet an medienübergreifenden dokumentarischen Filmprojekten. Für die "Grimmwelt" schuf sie die Videoinstallation "Rumpelstilzchen erzählen".
Bild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner
Wörterbuch - Buch der Wörter
Ecke Bonks Installation "Buch der Wörter/book of words: random reading" war 2002 auf der documenta zu sehen. Jetzt hat sie in dem Neubau auf dem Kasseler Weinberg ihren Platz gefunden. Bonk inszeniert darin einige der insgesamt 318.000 Einträge des Deutschen Wörterbuches von Jacob und Wilhelm Grimm.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner
Lauschen und Verirren
Ein Dornenwald aus grünen Kunststoffwalzen und die dazugehörige Soundinstallation lädt nicht nur Kinder in der "Grimmwelt" zum Verirren und Lauschen ein. "Dornenhecke" heißt dieser Ausstellungsteil.
Bild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner
In Erwartung vieler Besucher
Kleine, Schießscharten ähnliche Fenster gewähren aus der Grimmwelt Blicke nach außen – für täglich 400 Besucher, mit denen das Haus zum Leben und Wirken der Märchensammler und Sprachforscher Jacob und Wilhelm Grimm ab 4. September rechnet.
Bild: picture-alliance/dpa
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