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Briten gegen Einwegplastik

Greg Norman
10. Oktober 2018

In Großbritannien fängt Umweltschutz oft im Kleinen an und wächst zu einer landesweiten Bewegung heran. Die Zahl der Menschen, die auf Einwegplastik verzichten, wird immer größer.

ein sauberer Strand mit Spaziergängern
Bild: Greg Norman

Der Strand von Tynemouth ist so sauber, dass es man es nicht übersehen kann. Kein Abfall, nichts von dem Alltagsmüll, der sonst überall herumliegt, ist zu sehen. Das kann kein Zufall sein, denke ich.

So sind auch zwei Spaziergänger in meiner Nähe sofort zur Stelle, als mein Hund eine kleine "Überraschung" in den Sand legt. Sie haben Tütchen dabei, damit ich das Häuflein aufheben kann.

Ihr Strand soll so malerisch sein, wie Tynemouth selbst. Der Ort liegt, wie der Name schon sagt, an der Mündung des Flusses Tyne, unweit von Newcastle im Nordwesten Englands.

Regelmäßig ziehen Stadtbewohner und Besucher los, um ihren Strand zu reinigen. Ende Oktober ist es wieder soweit. Aber eigentlich kann und soll jeder jederzeit die Initiative ergreifen und an einer sogenannten 2-Minuten-Reinigung teilnehmen. Dahinter verbirgt sich eine Aktion, die es weltweit gibt, und die dazu aufruft, sich etwas Zeit zu nehmen und zu entsorgen, was nicht in die Landschaft gehört.

Ein weiteres Zeichen für den außergewöhnlichen Umweltgeist hier ist eine Auszeichnung, die Tynemouth erhalten hat. Die Stadt darf sich "Plastikfrei" nennen, geadelt von der Organisation Surfers Against Sewage (SAS). Nur zwei Orte in Großbritannien haben bisher die Ehre.

Selbst sein großes Geschäft bleibt nicht lange im Sand liegenBild: Greg Norman

"Plastikfrei" funktioniert vor allem als Motivationsschub

Um den Titel tragen zu dürfen, müssen mindestens sechs Unternehmen im Ort je drei Produkte aus Einwegplastik aus ihrem Angebot entfernen und sie durch ökologisch vertretbare Alternativen ersetzen. Sie müssen außerdem die Werbetrommel für die gute Sache rühren, etwa an Schulen, und sich Unterstützung von lokalen Behörden sichern.

In Tynemouth hat beispielsweise das Aquarium die kleinen Tütchen aus der Cafeteria verbannt, in denen Ketchup oder Senf serviert werden. Auch Plastikdeckel und Strohhalme sucht man heute hier vergebens. Selbst die Robben im Aquarium machen mit. Ihnen werden die Zähne mit plastikfreien Zahnbürsten gereinigt.

Mehr zum Thema: Plastikfrei auf Principe

Ein weiteres Beispiel ist Riley's Fish Shack. Hier, am Strand der malerischen King Edward's Bay, können sich Besucher heute ihren gegrillten Tintenfisch auf kompostierbaren Tellern schmecken lassen und nicht mehr von Tellern aus Polystyrol oder Kunststoff.

"Tynemouth ist einer der schönsten Küstenorte des Landes und die Umwelt ist von zentraler Bedeutung dafür, dass man sich hier am Meer erholen kann", sagt Alan Campbell, ein Parlamentarier aus Tynemouth. "Das Tolle an diesem Projekt ist, dass alle quer durch die Gesellschaft dabei sind, egal, ob Surfer, Einwohner oder Unternehmen. Sie führen gemeinsam Veränderungen herbei."

In Tynemouth soll und kann jeder jederzeit die Initiative ergreifen, auch bei sogenannten 2-Minuten-ReinigungenBild: Greg Norman

Ein Querschnitt der Gesellschaft

Gemeinden überall im Land sind inzwischen Teil der SAS-Kampagne. In Penzance, in Cornwall, sind sogar 70 regionale Unternehmen dabei. Sie und alle anderen tun gut daran, dabei zu sein. Denn Großbritannien hat, wie viele andere Länder auch, ein Plastikproblem.

Jeden Tag fallen hier mehr als 35 Millionen Plastikflaschen an, Hunderte Millionen Tonnen Kunststoff werden im Jahr produziert. Ein großer Teil davon wird nicht wiederverwertet, bei Plastikflaschen sind es etwa 44 Prozent. 

Wie erfolgreich ihre Kampagnen aber waren und sind, hat selbst gestandene Umweltaktivisten überrascht. Will McCallum zum Beispiel. Er ist bei Greenpeace UK für die Ozean-Kampagnen zuständig. Zwar habe er schon an vielen Kampagnen teilgenommen, bei denen Menschen besorgt oder beeindruckt gewesen seien, sagt er. Aber er habe es nie erlebt, dass die Menschen auch lernen wollten, was sie selbst gegen das Problem tun könnten.

"Bei Licht betrachtet ist das logisch, weil man hier tatsächlich etwas Greifbares hat", sagt er der DW. "Es gibt eine klare Verbindung zwischen dem, was ich selbst in der Hand halte, und dem, was ich am Strand finde."

Auf die öffentliche Meinung kommt es an

Tatsächlich scheint die Zahl der Zweifler im Land klein. Das Boulevardblatt Daily Mail, das nicht unbedingt für seine grünen Ideale bekannt ist, hatte im Jahr 2016 Mikroplastik in Kosmetika gleich viermal auf dem Titel. Die Zeitung sprach sich dafür aus, die Kunststoffe zu verbieten. Genau das kündigte die Regierung wenig später an.

Der Fernsehsender Sky, bislang auch nicht unbedingt ein grüner Vorreiter, rief eine Kampagne namens "Ocean Rescue" ins Leben. Deren Ziel ist es, bis 2020 Einwegplastik aus Büros und Kantinen zu verbannen. Damit einher geht das Versprechen, mehr als 22,5 Millionen Euro (26 Millionen US-Dollar) in zahlreiche Programme und Forschungsarbeiten zum Schutz der Ökosysteme der Meere zu stecken.

Menschen aus allen Bevölkerungsschichten sind aktiv, sagt Greenpeace. "Egal, ob Surfer, Einwohner oder Unternehmen. Sie führen gemeinsam Veränderungen herbei."Bild: Greg Norman

Mehr zum Thema: Kunststoff im Meer: Wie gesundheitsschädlich ist Mikroplastik?

Den Knoten endgültig platzen aber ließ die Fernsehserie Blue Planet 2 von Sir David Attenborough. Die Sendung wurde zu einem Straßenfeger und zeigte auf eindringliche Weise die Auswirkungen von Plastikabfällen auf die Weltmeere und ihre Bewohner.

"Ich glaube, dass Blue Planet die Leute abgeholt hat. Es gab plötzlich Kampagnen, bei denen man Fragen stellen und sich engagieren konnte", sagt McCallum. "Aber je mehr Zeit verstreicht, desto mehr wird das Thema Plastik wieder aus den Köpfen verschwinden. Wir müssen es also so lange wie möglich am Leben halten."

Kraft erfolgreicher Kampagnen

Wie das gelingen kann, zeigt Natalie Fee. Auch ihre Gruppe "City to Sea" hat klein angefangen, 2014 an einem Tisch in einem Pub in Bristol. Heute agiert sie landesweit.

2016 gelang ihr mit der "Switch the Stick"-Kampagne der Durchbruch. Bei dem Aufruf ging es darum, Wattestäbchen nur dann zu verwenden, wenn das Stäbchen aus Papier und nicht mehr aus Plastik bestand.

Die Kampagne brachte Natalie Fee etliche Preise ein und führte sie auf die Bühnen von TED talks, einer Vortragsreihe, auf der innovative Konzepte vorgestellt werden. Heute besteht die Gruppe aus 17 Vollzeitmitarbeitern und Fee hat gerade den ersten nationalen "Refill-Tag" in Großbritannien durchgeführt.

Dessen Ansatz, Einwegflaschen zu vermeiden und stattdessen nachfüllbare Flaschen zu verwenden, wird auch vom Londoner Bürgermeister Sadiq Khan und der britischen Umweltbehörde (Defra) unterstützt. Über eine App können Nutzer über 12.500 Unternehmen, Restaurants, Bahnstationen und andere Orte finden, wo man eigene Trinkflaschen nachfüllen kann.

"Das habe ich wirklich nicht erwartet", sagt Fee der DW. "Ich hatte nur die Nase voll von dieser Wattestäbchensache und dachte, das wäre etwas, wo ich selbst etwas tun könnte. Dass es so eingeschlagen hat, hat mich überrascht und ermutigt. Jeder kann mitmachen und jeder kann auf diese Weise Umweltschützer sein."

Kürzlich, so Fee, habe ihre Gruppe eine Studie durchgeführt, aus der hervorgeht, dass 85 Prozent der Menschen in Großbritannien sich Gedanken über das Plastikproblem machen und bereit seien, selbst aktiv zu werden.

Einer aktuellen Studie zufolge sind sich 85 Prozent der Menschen in Großbritannien bewusst, dass es ein Plastikproblem gibtBild: Greenpeace

Der lange Weg zum Ziel

Auch größere Firmen haben erste Schritte unternommen, um ihren Kunststoffverbrauch zu verringern, allen voran die Supermärkte. Allerdings, so David Potts, Geschäftsführer der Supermarktkette Morrissons, nutzt bislang nur einer von zehn Kunden eigene Verpackungen an den Frischetheken der Geschäfte.

Auch wenn das nicht viel scheint, sinkt der Plastikverbrauch in den mehr als einhundert Geschäften der Kette. Sie zeigt aber auch, wie lang der Weg tatsächlich noch ist, bis sich Einkaufsgewohnheiten nachhaltig ändern.

Darüber kann auch der malerische Ort Tynemouth nicht hinwegtäuschen, selbst wenn er sich als "plastikfrei" bezeichnen darf. Ich könnte hier nach wie vor Softdrinks in Einwegflaschen in den Läden kaufen. Und auch Riley's Fish Shack bietet noch Wasser in Kunststoffflaschen an.

"Es gibt keine Alternative, die wir in der gleichen Menge verwenden können, in der wir Plastik verwenden", sagt McCallum. Gleichzeitig, sagt er, gebe es keine Recycling-Infrastruktur, um die Menge an Plastik zu bewältigen, die im Umlauf ist.

"Der einzige Weg aus dem Chaos ist, weniger Plastik zu produzieren."

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