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Politik

Großbritanniens Demokratie im Stresstest

Catherine Martens
15. März 2019

Lange Zeit funktionierte der britische Parlamentarismus nach klaren Mustern. Der Brexit-Streit löst sie auf: Frontlinien quer durch die Parteien und opportunistische Machtpolitik stellen die Demokratie auf die Probe.

UK Brexit-Gegnerin in Westminster
Bild: picture-alliance/empics/Y. Mok

Eine abermalige Debatte und Abstimmung im Unterhaus. Mangelnden Arbeitswillen kann man Theresa May bei aller Kritik nicht vorwerfen. Mit vollem Körpereinsatz bis zum Stimmverlust widmet sich die britische Premierministerin ihrem derzeitigen Kerngeschäft: aus der Brexit-Sackgasse einen Ausweg finden. 

Ganz Europa blickt auf das Treiben in Großbritannien - auf eines der Mutterländer der historisch gewachsenen parlamentarischen Demokratie, auf die die Briten zu Recht stolz sind. Doch jetzt versteigen die Abgeordneten sich in Eigensucht und politischer Kleingeistigkeit - und drohen an der Brexit-Entscheidung zu scheitern. Derzeit seien die gewählten Volksvertreter nicht in der Lage, eine "vitale Frage für das Land" klar zu beantworten, sagt Politikwissenschaftler Janis Emmanouilidis von der Denkfabrik European Policy Centre.

Brexit bricht tradierte Parteimuster

Die Gründe dafür sind vielschichtig. Der Brexit spalte die Parteien und schaffe neue Allianzen, so Emmanouilidis gegenüber der DW. Früher teilten sich die Briten in zwei Lager: Die Tories und Labour stritten gegeneinander, nicht untereinander. Das sei beim Brexit längst nicht mehr so, betont der Politologe. Tiefe Risse laufen durch die Parteien.

Reden bis zur Heiserkeit: Premierministerin Theresa MayBild: picture-alliance/dpa/empics/PA Wire/House of Commons

Da sei etwa die sogenannte European Research Group innerhalb der Tories - eine kleine Gruppierung, aber dafür lautstark. Die Brexit-Hardliner sind innerhalb der Konservativen die radikalsten und einflussreichsten EU-Gegner. Sie treiben May vor sich her. Ihnen, nicht der Opposition, hat sie eine ihrer saftigsten Niederlagen zu verdanken: "Sie ist der politische Blitzableiter, auch parteiintern." Mays Angst vor der Zerrissenheit der Partei sei größer als die vor einem Brexit-Chaos - so erkläre sich die schwindende Handlungsfähigkeit der Premierministerin.

Schwache Premiers lassen Raum für Ränkespiele. Zum Beispiel solche der nordirischen DUP, auf deren Stimmen die Minderheitsregierung von Premierministerin May angewiesen ist. Laut Medienberichten erwägt die DUP nun doch, das Brexit-Abkommen zu unterstützen. Vertreter der Partei hätten mit Ministern gesprochen, um ein "vernünftiges Abkommen für das gesamte Vereinigte Königreich zu finden", so die BBC. Anfang der Woche hatte die DUP noch gegen den Brexit-Deal gestimmt.

Fähnchen im Wind: Labour-Chef Jeremy CorbynBild: Reuters TV

Auch Labour "halte sein Fähnchen in den Wind", so Janis Emmanouilidis. Oppositionsführer Jeremy Corbyn gehe es nicht um eine politische Lösung des Dilemmas, sondern vorrangig um Neuwahlen. Als starke Opposition falle Labour ohnehin aus, da sich auch hier Brexiteers und ihre Gegner gegenseitig das Leben schwer machten.

Das Referendum - machtpolitisch missbraucht

Eine Regierung ohne politische Rückendeckung, eine Opposition ohne klare politische Alternative und ein Souverän, der nicht gefragt wird. Wie lange hält das eine Demokratie aus? Der Ethikprofessor und Staatstheoretiker Roland Kipke der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt warnt davor, voreilig von einer Krise der Demokratie zu sprechen. Wohl aber spricht er gegenüber der DW von einer "Demokratie in der Sackgasse".

Die jetzige missliche Lage sei in ihren Anfängen bereits 2016 falsch angelegt worden. Mit eine Referendum, so Kipke, damals fatalerweise von Premier David Cameron "von oben initiiert". Ein teurer Fehler, den die Briten bis heute bezahlen. Ein Volksentscheid müsse von unten kommen, als Wunsch der Gesellschaft, nicht etwa aus machtpolitischen Interessen von oben. Zudem dürfe eine Volksbefragung in einer Demokratie nie am Anfang einer Debatte stehen, sondern bilde den Schlusspunkt der Meinungsfindung. Auch das sei schief gelaufen.

Die Volksvertreter wollen nicht - das Volk darf nicht

Der Kontrollverlust der Premierministerin ist offensichtlich. Ihren Deal trotzdem wieder und wieder dem Unterhaus zur Abstimmung vorzulegen, bis das Ergebnis passt - das ist für den Wissenschaftler zwar legitim, aber nicht notwendigerweise richtig.

"Ist es das wert?" fragen diese Brexit-Gegner in LondonBild: picture-alliance/Zumapress

Sicherlich falsch wäre dagegen die Annahme, ein zweites Referendum sei undemokratisch. Dahinter stünde die Auffassung, Ergebnisse von Volksabstimmungen seien unantastbar. "Der Witz in einer Demokratie ist nicht, das Volk für unfehlbar zu halten, sondern es selbst entscheiden zu lassen", so Kipke. Undemokratisch sei nur, dem Volk zu unterstellen, es sei nicht lernfähig. Dem Souverän zu vertrauen, dies stünde der Demokratie in Großbritannien derzeit aber gut zu Gesicht.

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