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Politik

GroKo auf dem Prüfstand

19. August 2019

Weiterregieren oder nicht? Im Herbst wollen Union und SPD Halbzeitbilanz ziehen. In einer Studie heißt es dazu, die "GroKo" sei besser als ihr Ruf. Warum aber kommt das beim Wähler nicht an? Aus Berlin Sabine Kinkartz.

Koalitionsverhandlungen von Union und SPD
Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Fröhliche Gesichter sind bei der SPD seit Monaten nur noch selten zu sehen. Es ist die Ungewissheit, die an den Genossen nagt. Wer wird die Partei zukünftig führen und  - wohin? Werden die Sozialdemokraten in der großen Koalition mit CDU und CSU bleiben und bis zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021 weiterregieren? Oder wird das Bündnis vorzeitig platzen, was unweigerlich Neuwahlen nach sich ziehen würde?

Derzeit gibt es mehr Fragen als Antworten und das war auch den drei kommissarischen SPD-Vorsitzenden Manuela Schwesig, Malu Dreyer und Thorsten Schäfer-Gümbel anzumerken, die am Montag in Berlin mit ernsten Mienen Auskunft darüber gaben, wie die vereinbarte Halbzeitbilanz der großen Koalition ablaufen soll.

Zweistufiges Verfahren

Im Oktober will die Regierung zunächst eine gemeinsame, "technische Bilanz" vorlegen, die auflistet, welche im Koalitionsvertrag vereinbarten Projekte bereits abgearbeitet sind und wo noch Handlungsbedarf besteht. In einem zweiten Schritt sollen die Parteien diese Bilanz anschließend interpretieren und politisch bewerten.

Haben sich die Koalitionäre auch in Zukunft noch etwas zu sagen?Bild: Reuters/F. Bensch

Dabei gehe es nicht um Prozentzahlen und Spiegelstriche einer Unternehmensbilanz, betont Schäfer-Gümbel. Was er damit meint: In eine Bewertung wird ganz sicher auch einfließen, dass die bisherige Regierungsarbeit der SPD die Wähler wenig überzeugt hat. Und dass, obwohl die SPD viele sozialdemokratische Anliegen umsetzen konnte.

Fleißkärtchen für die GroKo

Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie, die die Bertelsmann-Stiftung zusammen mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung durchgeführt hat. Danach haben Union und SPD bis Ende Juni bereits 61 Prozent ihrer insgesamt 296 Versprechen aus dem Koalitionsvertrag vollständig oder teilweise umgesetzt oder zumindest substantiell in Angriff genommen. Berücksichtigt wurden nur "echte" Versprechen, also solche, deren Erfüllung klar überprüfbar ist.

Ein Ergebnis, von dem die SPD eigentlich besonders profitieren müsste. Etwa 25 Prozent aller Versprechen des Koalitionsvertrages gehen auf ihr Wahlprogramm zurück. Bei CDU/CSU sind es nur elf Prozent. Bei der Umsetzung ist die Bilanz der Koalitionspartner zwar ausgeglichener, doch auch hier hat die SPD die Nase vorn. So wurden laut der Studie von den unionsgeprägten Versprechen bisher 44 Prozent und von den SPD-geprägten 45 Prozent umgesetzt.

Am Ende könnten es 100 Prozent sein

Von den Forschern bekommen die Koalitionäre für ihre Arbeit gute Noten. Robert Vehrkamp von der Bertelsmann-Stiftung spricht von einer "rekordverdächtigen Halbzeitbilanz". Zumal die GroKo seit Ende Juni, dem Stichtag für die Studie, bereits weitere Vorhaben angepackt habe. Zuletzt am Sonntagabend im Koalitionsausschuss das Wohnen- und Mietenpaket, das unter anderem die Verlängerung der Mietpreisbremse für weitere fünf Jahre bis Ende 2025 vorsieht. Wenn die große Koalition in ihrem jetzigen Tempo weiterarbeite, könnte sie bis zum Ende der Legislaturperiode fast alle Versprechen eingelöst haben, so Vehrkamp.

Das öffentlich wahrgenommene Bild ist allerdings ein ganz anderes. Für die Studie wurden auch Bürger zur Regierungsarbeit von Union und SPD befragt. Nur jeder Zehnte war der Meinung, dass die Versprechen des Koalitionsvertrages zu einem "großen Teil" eingelöst werden. Mehr als zwei Drittel (79 Prozent) der Befragten glauben hingegen, dass von solchen Vorhaben "kaum welche" oder "etwa die Hälfte" umsetzt werden. Vehrkamp spricht von einer "klaffenden Lücke" zwischen tatsächlicher und wahrgenommener Einhaltung von Koalitionsversprechen, die im Laufe der letzten beiden Jahre noch einmal größer geworden sei.

Alarmierende Signale

Auf der Suche nach einer Erklärung verweisen die Forscher darauf, dass offenbar immer mehr Bürger den Kontakt zur politischen Realität verlieren. Nur noch 14 Prozent finden es richtig, wie Politik in der Demokratie funktioniert. Nämlich in kleinen Schritten und durch die Suche nach Kompromissen. "Da funktioniert etwas im Maschinenraum unserer Demokratie nicht mehr", warnt Vehrkamp. In einer zunehmend populistischen Atmosphäre gehe es nur noch um Erfolge von heute auf morgen.

Einfache Lösungen haben auch die Wissenschaftler nicht zur Hand. Sie empfehlen den Politikern, besser zuzuhören und den Wählern fokussierter zu erklären, wie und warum sie welche Ziele verfolgen und umsetzen würden. Die erfolgreich arbeitende große Koalition wegen ihres schlechten öffentlichen Rufs aufzukündigen, fände Robert Vehrkamp jedenfalls nicht richtig. 

Quo vadis SPD

Eine Meinung, die in der SPD nur bedingt geteilt wird. In Umfragen ist die Partei auf 13 Prozent abgestürzt. Das wertet die bisherige Regierungsarbeit ab und wirft Fragen nach dem zukünftigen Kurs auf. "Wofür steht die Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert und wie gehen wir mit den großen Menschheitsthemen vom Klimawandel über die Frage von Globalisierung, Demokratie und Freiheit bis hin zur Digitalisierung um?", fasst der kommissarische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel zusammen.

Die SPD steht vor großen Entscheidungen. Die drei kommissarischen Vorsitzenden Schwesig, Schäfer-Gümbel und Dreyer (v.l.)Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Aus diesem Blickwinkel heraus werde auch die Halbzeitbilanz gezogen. "Es würde uns nicht helfen, wenn wir 70 Prozent abgearbeitete Teilprojekte haben, aber beim Thema Klimaschutz gar nichts hinkriegen, denn dann würde die gesamte Öffentlichkeit sicherlich zu dem Ergebnis kommen, dass ein wichtiger Teil der Arbeit nicht geleistet ist."

Entscheidung erst im Dezember

Soviel ist sicher: Über den Verbleib in der Regierung wird abschließend erst ein Parteitag Anfang Dezember abstimmen. Zuvor sollen sich die Gremien mit der Halbzeitbilanz beschäftigen. "Dann wird der Vorstand gemeinsam mit der neuen Parteiführung einen Vorschlag für den Bundesparteitag auf den Tisch legen", sagte Thorsten Schäfer-Gümbel nach der SPD-Präsidiumssitzung in Berlin. "Es wird am Ende eine Gesamtbewertung werden, die wird nicht schwarz oder weiß sein, sondern bunt und möglicherweise auch in Teilen ziemlich grau."

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