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Politik

Große Mehrheit für neue EU-Kommission

27. November 2019

Christdemokraten, Sozialisten und Liberale im Europa-Parlament bescherten Ursula von der Leyen eine breite Mehrheit. Die Kommission kann am Sonntag mit der Arbeit beginnen. Bernd Riegert aus Straßburg.

Sitzung Europäisches Parlament - Wahl EU-Kommission Ursula von der Leyen
Bild: Reuters/V. Kessler

461 Abgeordnete stimmten dafür, die neue EU-Kommission mit 27 Mitgliedern in ihr Amt einzusetzen. 157 stimmten dagegen. Die drei großen Fraktionen von Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen hatten von der Leyen Unterstützung versprochen. Die Grünen wollten sich enthalten. Unterstützung bekam die deutsche Kommissionspräsidentin auch von Teilen der Nationalkonservativen und den italienischen Populisten von den "Fünf Sternen". Eine förmliche Koalition gibt es im Europäischen Parlament allerdings nicht. Von der Leyen muss sich für jeden Gesetzesvorschlag immer wieder neue Mehrheiten suchen. Drei Kandidaten für die neue EU-Kommission mussten im Laufe der Anhörungen ausgetauscht werden. Für die Gesetzgebung ist die neue Kommission neben dem Parlament vor allem auf die Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten der EU angewiesen. Der Rat der Mitgliedsstaaten ist die erste Kammer der Gesetzgebung.

Vor der Abstimmung hatte Ursula von der Leyen in einer Grundsatzrede ihre Mannschaft und ihre Prioritäten noch einmal vorgestellt. Sie versprach, den Parlamentariern zuhören zu wollen und lieferte auch gleich einen Beweis. Von der Leyen gab bekannt, dass sie den Titel des Bildungs-Ressorts der Kommissarin Marija Gabriel nun doch um den Begriff "Kultur" erweitert. Viele Parlamentarier und Kulturschaffende hatten das verlangt. Von der Leyen hatte lange gezögert, diesen europäischen Schlüsselbegriff zu verwenden. Allerdings hatte sie zuvor schon das umstrittene Ressort von Kommissar Margaritis Shinas vom "Schutz" auf die "Förderung der europäischen Lebensweise" umgetauft. Auch das Ressort des Binnenmarkt-Kommissars Thierry Breton wurde in letzter Minute noch einmal angepasst, um möglichst viele Parlamentarier zur Zustimmung zu bewegen.

In ihrer Rede stellte die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nochmal die Eckpunkte ihrer zukünftigen Arbeit vorBild: AFP/F. Florin

"Lasst uns loslegen"

"Meine Botschaft ist kurz", sagte von der Leyen in ihrer Rede, "lasst uns endlich loslegen, mit einem neuen Geist und neuem Schwung." Als erstes will die neue Kommission, die formal ihr Amt am 1. Dezember antritt, den "Green Deal" angehen, also die Umstellung der wesentlichen Politikfelder auf mehr Klimaschutz. Bereits im Dezember wird der neue "supergrüne" geschäftsführende Vizepräsident Frans Timmermans ein neues Gesetzespaket zur Begrenzung von schädlichen Abgasen vorlegen. "Das Ziel ist ein klimaneutrales Europa 2050", kündigte Kommissionspräsidentin von der Leyen in ihrer Rede erneut an.

Europa soll voran gehen

Die EU steht nach ihren Worten vor einer "Zwillings-Veränderung": Klimaschutz und Digitalisierung der Gesellschaft müssten Hand in Hand gehen. In beiden Feldern könne die Europäische Union globale Standards setzen und müsse vorangehen, verlangte Ursula von der Leyen. Zukünftig sollten alle Handelsabkommen mit Klimaschutz-Standards verbunden werden. Europa müsse selbst über die Schlüsseltechnologien in der digitalen Welt verfügen. Zu lange habe man sich auf Produkte und Server außerhalb Europas verlassen. "Wir können eine bessere Weltordnung formen. Das ist unsere Berufung. Die Welt verlangt nach Führung gerade beim Klimaschutz", sagte von der Leyen. Ihre EU-Kommission werde nicht davor zurückscheuen, ihre Stimme zu erheben und als "geopolitische" Kommission zu agieren.

Konkrete außenpolitische Ziele sprach Ursula von der Leyen nicht an. Auch die Erweiterung der Europäischen Union um die Balkanstaaten oder die Nachbarschaftspolitik gegenüber der Ukraine, Georgien oder Nordafrika erwähnte sie nicht. Das wurde von der grünen Fraktionsvorsitzenden Ska Keller umgehend kritisiert. Keller sagte, die Gespräche mit den Beitrittskandidaten solle man nicht dem nationalkonservativen ungarischen Kommissar Oliver Varheyli überlassen, der aus einem Land stamme, das es selbst an Rechtsstaatlichkeit mangeln lasse.

Komplexe Struktur der neuen Kommission: 26 Kommissare müssen ein Ressort bekommenBild: picture-alliance/dpa/AP/V. Mayo

Konferenz zur Zukunft

Die letzten fünf Jahre, so die Analyse von Ursula von der Leyen, seien vom Krisenmanagement bei Schulden, Euro und Migration geprägt gewesen, jetzt müsse man nach vorne schauen. "In den nächsten fünf Jahren wird unsere europäische Gesellschaft durch eine Transformation gehen, die jeden Bereicht der Gesellschaft und der Wirtschaft berühren wird. Das machen wir, weil es richtig ist, nicht, weil es einfach wäre", sagte von der Leyen in Anlehnung an ein Zitat des ehemaligen tschechischen Präsidenten Vaclav Havel. Vom nächsten Jahr an soll eine umfangreiche "Konferenz für die Zukunft Europas" starten, die Reformvorschläge ausarbeiten soll. Von der Leyen hatte die Idee des französischen Präsidenten Emmanuel Macron aufgegriffen und eine eigene Kommissarin zur Organisation dieser Mammutkonferenz, die zwei Jahre dauern soll, ernannt. Frankreich und Deutschland haben sich bereits mit einem Positionspapier zur Zukunftskonferenz gemeldet und fordern eine starke Einbindung der dann noch 27 Mitgliedsstaaten in den Prozess.

Eine ähnliche Konferenz hatte die EU bereits von 2002 bis 2003 einberufen. Der damalige "Konvent" entwarf die erste europäische Verfassung, die aber in Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde. Eine abgeschwächte Form der Verfassung fand sich schließlich in den Verträgen von Lissabon wieder, die 2007 unterzeichnet wurden und heute die Grundlage der EU bilden. Während die Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen im Europäischen Parlament von der Leyens Pläne stützen und sich die Grünen von Fall zu Fall entscheiden wollen, kam scharfe Kritik vor allem aus dem rechtspopulistischen Lager. Der französische Abgeordnete Jordan Bardella warf der neuen EU-Kommission vor, sie wolle einfach mit derselben verfehlten Politik fortfahren wie die alte. "Sie machen Europa zu einer seelenlosen Maschine", sagte Bardella in der Debatte.

Weiblichere Kommission

Als erste Frau an der Spitze der EU-Kommission hat es Ursula von der Leyen nicht wie versprochen geschafft, die gleiche Zahl von Frauen und Männern als Kommissare einzusetzen, weil die Mitgliedsstaaten nicht entsprechend viele Kandidatinnen und Kandidaten nominiert haben. Mit zwölf Frauen und 15 Männern ist die neue Kommission trotzdem die weiblichste, die es je gab. "Das Gesicht der Kommission wird sich verändern", kündigte von der Leyen an. Sie werde dafür sorgen, dass in den nächsten fünf Jahren sämtliche Spitzenposten im Management der EU-Kommission paritätisch nach Geschlechtern besetzt werden.

Mit dem Ausruf "Es lebe Europa!" endete die Rede der ehemaligen Verteidigungsministerin, die im Sommer überraschend vorbei am Parlament  von den Staats- und Regierungschefs der EU in ihr neues Amt gehoben worden war. Ihr Europa-Programm trug von der Leyen routiniert und nicht gerade leidenschaftlich vor. Nur einmal wurde sie emotional. Sie erzählte von ihrer Schwester, die an Krebs verstarb, als sie als Kinder in Brüssel lebten. Die Hilflosigkeit ihrer Eltern habe sie damals heftig bewegt, erzählt von der Leyen. "Jeder hat eine ähnliche Geschichte im Familien- oder Bekanntenkreis", sagt die Kommissionspräsidentin. Deshalb habe sie auch den Kampf gegen den Krebs zu einem der vielen Schwerpunkte der der neuen EU-Kommission gemacht: "Europa muss hier führend werden."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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