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Politik

"Großes Volk, großes Land, kleiner Präsident"

Notker Oberhäuser
25. Oktober 2018

Hat das vergiftete politische Klima Einfluss auf den Absender der Briefbomben gehabt? USA-Kenner Andrew Denison hat eine klare Meinung. Mit der DW sprach er über die kommenden Midterm-Wahlen und Donald Trumps Zukunft.

USA, Houston: Donald Trump bei einer Wahl-Veranstaltung
Bild: picture-alliance/AP/E. Gay

DW: Barack Obama, Hillary Clinton, der ehemalige CIA-Chef John Brennan und weitere prominente Trump-Gegner haben Briefbomben erhalten. Beobachter machen das extrem vergiftete politische Klima für diese Angriffe verantwortlich. Sehen Sie das auch so?

Andrew Denison: Man sollte vorsichtig sein, hier direkte Zusammenhänge herzustellen. Vor allem ist das vergiftete politische Klima in Amerika schlecht, weil es uns unfähig macht, die aktuellen Herausforderungen anzugehen.

US-Präsident Donald Trump macht jetzt Wahlkampf zu den Midterms. In Houston war der Ansturm auf die Veranstaltung immens: 3000 Besucher mussten vor der Türe bleiben. Fester Bestandteil eines jeden Auftritts sind die Sprechchöre "Lock her up", inzwischen gelten sie der demokratischen Senatorin Dianne Feinstein. Trump selber bezeichnet sich nicht nur als Patriot, sondern als Nationalist. Und das Publikum brüllt "USA!". Republikanische Anhänger wirken wie Besucher eines Entertainment Events. Wie schätzen Sie solche Wahlkampfauftritte ein?

Zum einen sind solche Wahlkampfauftritte von Donald Trump nicht repräsentativ. Und zweitens produziert jede Aktion eine Gegenreaktion. Zum Beispiel sind Millionen Wahlkämpfer der Demokraten im Haustürwahlkampf unterwegs - sie versuchen vor allem Frauen für die Demokraten gewinnen.

Trump steht aktuell mit dem Rücken an der Wand - und wenn seine Macht auf dem Spiel steht, eskaliert er. Aber Interessen und Institutionen bleiben bestehen - Präsidenten kommen und gehen. Wahlkampf bedeutet auch immer, einen Sündenbock zu finden und Feindbilder aufzubauen. In der Regierungsarbeit muss Trump dann wieder lernfähig und kompromissbereit sein. Wenn er sich nach den Wahlen in der Regierungsarbeit nicht bewegt, wird es knallen. Ein Beispiel ist das Waffenrecht. Hier drängen die Demokraten auf eine Änderung - mit dem Effekt, dass sie immer härter von den Republikanern angegriffen werden.

Wie erleben Sie die USA aktuell?

Das Bild, das die Medien von den USA zeichnen, hat wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Das ist eine Verzerrung. Ich war jetzt neun Wochen an der Ostküste, in Colorado und in Kalifornien. Meine Wahrnehmung: großes Volk, großes Land, kleiner Präsident.

Nichtsdestotrotz ist der Wahlkampf zu den aktuellen Midterm Elections bei vielen angekommen. Da finden sich in vielen Vorgärten neben den Halloween-Kürbissen politische Plakate - das ist ungewöhnlich für Zwischenwahlen. Diese Midterms sind extrem politisiert und beide Seiten setzen auf Eskalation - der Diskurs ist vergiftet. Und beide Seiten, Demokraten und Republikaner, werden versuchen aus den geplanten Briefbombenanschlägen politischen Profit zu schlagen.

Wie wird das genau aussehen?

Die Attentate hatten mehrere Ziele und waren geplant. Das war also kein einzelner Spinner. Donald Trump, als großer Terroristenjäger, wird sich fragen lassen müssen, warum Terroristen im Volk zu finden sind und nicht in der Karawane, die in Mexiko unterwegs ist. Wie können wir glaubwürdig sein, wenn wir die Gefahren im Land nicht erkennen, könnten die Demokraten fragen. In der Art wird es gespielt werden und ich denke, dass die Demokraten dabei im Vorteil sein werden.

Der US-Politologe Andrew DenisonBild: Imago/Müller-Stauffenberg

Hassverbrechen sind in 38 der größten US-Städte seit 2016 um zwölf Prozent gestiegen. Ein Mann zum Beispiel begrapschte eine Frau und begründete es damit, der Präsident finde so etwas in Ordnung. Glauben Sie, dass der Präsident mit seiner Art und Weise, mit den Medien und dem politischen Gegner umzugehen, daran einen Anteil hat?

Ich sehe keine andere, bessere Erklärung. Allerdings glaube ich auch, dass auf alle Desinformationen und rhetorische Eskalationen eine realistische Reaktion folgt. Ein Beispiel: Während der Obama-Regierungszeit lag die Zustimmung für die staatliche Krankenversicherung bei 50 Prozent im Volk. Heute liegt sie in der Trump-Präsidentschaft bei 60 Prozent. Das zeigen aktuelle Umfragen. Auch gehört die Einwanderung zum Charakter der USA - mit seinen Tiraden auf die Einwanderer wird Donald Trump auf Dauer nicht bei den Wählern punkten können.

Generell ist eine Verrohung der politischen Kultur festzustellen, wenn Trump zum Beispiel Einwanderer ohne Aufenthaltserlaubnis "Tiere", oder Mexikaner "Vergewaltiger" nennt.

Ich denke manchmal, wir leben in einer großen Komödie, aber ich bleibe optimistisch. Das sagt auch meine 81-jährige Mutter - sie ist gerade in den Wahlkampf eingestiegen und fast jeden Tag unterwegs. Aber dann verdrückt sie eine Träne. Sie ist traurig, weil uramerikanische Werte wie die Menschenwürde und der Respekt für den anderen mit Füßen getreten werden.

Haben Sie auch schon eine Träne verdrückt?

Ja.

Das Dilemma der Medien ist, dass sie eine generelle Berichtspflicht haben, sich aber auf der anderen Seite nicht zum Instrument des Präsidenten machen lassen wollen. Wie sollen sie mit den Falschinformationen und den rhetorischen Entgleisungen des Präsidenten umgehen?

Ich habe vor kurzem mit Pulitzer-Preisträger Matthew Rosenberg von der New York Times diskutiert. Er sagt, wir sind nicht die Opposition. Sein Dilemma: Wenn Trump lügt, müsse er das widerlegen mit dem Effekt, dass der Präsident wieder eine Schlagzeile bekäme. Das sei aber immer noch besser als seine Lügen unwidersprochen stehen zu lassen. Medien haben Macht und gelten gemeinhin als vierte Gewalt im Staat. Soziale Netzwerke bringen aktuell dieses tradierte Verständnis durcheinander. Ich glaube, dass Demokraten und Republikaner gemeinsam mit Gesetzen die sozialen Netzwerke für ihre Inhalte juristisch verantwortlich machen werden - das wird sich auch langfristig positiv auf die Qualität des politischen Diskurses auswirken.

Es machte den Eindruck, dass der US-Präsident mit seinen bislang 25 Wahlkampfauftritten die Midterm-Wahlen nutzt, sich für die Präsidentschaftswahlen 2020 warmzulaufen. Was haben wir zu erwarten?

Es kommt darauf an, wie es mit der Präsidentschaft nach den Midterms weitergeht. Die Eskalation nutzt sich irgendwann ab, dann müssen Ergebnisse geliefert werden. Auch stehen die Republikaner vor einem großen Dilemma: Eine nachhaltige, moderne republikanische Partei ist wichtig - aber sie sind zerstritten. Und dann kommt einer wie Trump und gewinnt Nichtwähler, Unabhängige, Demokraten und selbst Anhänger von Bernie Sanders für die Partei. Das alles eigentlich mit nichts anderem als einer zornigen Attitüde. Ab dem 7. November - nach den Midterm Wahlen - werden wir einen Donald Trump erleben, der nur noch ein Ziel hat: seine Wiederwahl.

Andrew B. Denison ist seit dem Jahr 2000 Direktor von Transatlantic Networks, einem Forschungsverbund mit Sitz in Königswinter. Transatlantic Networks ist ein Zentrum für politische Bildung und Beratung. Die Forschung des Zentrums konzentriert sich auf die Möglichkeiten und Grenzen einer Globalisierung der atlantischen Partnerschaft. 

Das Interview führte Notker Oberhäuser.

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