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Literatur

Trauer um Schriftsteller John le Carré

Matthias Beckonert
14. Dezember 2020

Er hat sich mit dem Brexit auseinandergesetzt und an Donald Trump gerieben. Und als ehemaliger Geheimagent wusste er, wovon er schrieb: Im Alter von 89 Jahren ist der Bestseller-Autor John le Carré gestorben.

John le Carre ist gestorben
Bild: Christian Charisius/picture alliance/dpa

Seine Bücher erreichten Millionen Leser, wurden in unzählige Sprachen übersetzt und prägten ein gesamtes Genre: Am Samstagabend ist John le Carré, der Großmeister des Spionage-Romans, im Alter von 89 Jahren in Südengland nach kurzer Krankheit gestorben. Das teilte sein Agent Jonny Geller auf Twitter mit. Der Verlag Penguin Books bestätigte die Todesnachricht ebenfalls. Der Schriftsteller ist demnach einer Lungenentzündung erlegen, die nichts mit COVID-19 zu tun hatte.

Der Literaturbetrieb verliert nicht nur einen über Jahrzehnte erfolgreichen Autor, sondern auch einen bekennenden Europäer und besorgten Mahner. 

Geboren wird le Carré am 19. Oktober 1931 als David John Moore Cornwell in der südenglischen Grafschaft Dorset. Seine Kindheit verläuft alles andere als glücklich: Die Mutter verlässt die Familie, als er fünf Jahre alt ist – sein Vater verbringt als Hochstapler und Betrüger mehrere Jahre im Gefängnis. Unfreiwillig lernt der junge le Carré so die Macht von erfundenen Identitäten und erzählten Geschichten kennen. Geheimnisse, Lügen und Verrat sollten zu wiederkehrenden Themen in seinen Romanen werden.

Vater Hochstapler, Sohn Spion

Als Sechzehnjähriger verlässt le Carré die Schule und zieht in die Schweiz, um Germanistik zu studieren. Ausgerechnet, wie man sagen müsste: Den größten Teil seiner bewussten Kindheit sei Deutschland "der Schurke im Stück" gewesen, schreibt le Carré in seinen Memoiren "Der Taubentunnel" ("The Pigeon Tunnel. Stories from My Life"). Auch der emanzipatorische Schritt aus den problematischen Familienverhältnissen ist so von einem Bruch motiviert: "In meiner rebellischen Jugendphase schien mir ein Land, das so durch und durch böse war, per definitionem einer näheren Prüfung wert", so le Carré.

In Bern entdeckt le Carré nicht nur seine Liebe für die deutsche Sprache, die er später auf seinen berühmtesten Spion George Smiley übertragen sollte und die ihm 2011 den Goethe-Preis einbringt. Er wird auch vom Geheimdienst der britischen Besatzungsarmee in Österreich angeworben, arbeitet dann für den Auslands-Nachrichtendienst MI6 in Deutschland – und beginnt hier, Spionage-Romane zu schreiben.

Außergewöhnliche Hauptfigur: George Smiley

Nur drei Jahre später gelingt le Carré der internationale Durchbruch: "Der Spion, der aus der Kälte kam" erscheint 1963 als sein dritter Roman und trifft den Geschmack der Massen. Während der Kalte Krieg zwischen Amerika und der Sowjetstaaten zunehmend eskaliert, schreibt le Carré in nur fünf Wochen den komplexen Spionage-Thriller, der auf dem Gebiet des geteilten Deutschlands einen Geheimdienst-Krieg zwischen West und Ost ausspielt. Im Zentrum der Handlung steht, wie schon in den ersten beiden Romanen "Schatten von gestern" (1961) und "Ein Mord erster Klasse" (1962), der Geheimagent George Smiley.

Schon der Name seiner berühmtesten Hauptfigur verrät, dass le Carré hier keinen typischen Agenten à la James Bond auftreten lässt. George Smiley ist klein, dick und eher schüchtern. Er trägt schlecht sitzende Anzüge, wird von seiner Frau betrogen und wegen seiner Kurzsichtigkeit meist "Maulwurf" genannt. Und doch wurde gerade er zum Symbol für le Carrés Werk: Mit seinem sensiblen Protagonisten verweigert sich le Carré einer zu einfachen Eindeutigkeit.

Arbeit an der Moral

Seine Geschichten ziehen ihre Spannung nicht nur aus der akuten Geheimdienstumgebung. Es geht immer auch um widerstreitende Prinzipien, um Recht und Moral, um Schuld und Macht. Le Carré nutzt dabei aus, dass gerade in der Geheimdienst-Welt jeder Akteur wortwörtlich zur Kipp-Figur werden kann. Während Zeitgenossen wie Thomas Pynchon oder Don DeLillo in ihren Büchern Welten der vollendeten Paranoia zeichnen, bleibt Moral bei le Carré ein unverrückbares Gut. Für den Schriftsteller selbst war das keine Selbstverständlichkeit, wie er 2011 in einem Interview erklärt: "Dank meinem Vater war ich schon in meiner Kindheit mit dem verführerischen Charme der kriminellen Welt vertraut und genötigt, mir für mein Leben ein moralisches Konzept zurechtzuschnitzen."

Diese Arbeit an der Moral zeichnet seine durchaus massentauglichen Romane vor anderen populären Büchern seiner Zeit aus und machen selbst die abstruse Geheimdienst-Welt wieder menschlich. Es mag auch daran liegen, dass seine Bücher heute noch gelesen werden, während damals populäre Mitstreiter wie Len Deighton und Ian Stuart (alias Alistair MacLean) heute zunehmend in Vergessenheit geraten.

Großmeister der Spionage-Literatur

Mitte der 1960er Jahre zieht sich le Carré offiziell aus dem Geheimdienst zurück und widmet sich ganz der Literatur. Ziemlich regelmäßig erscheinen neue Romane, mit denen der Autor endgültig zum Großmeister des Spionage-Romans avanciert. Titel wie "Dame, König, As, Spion" (1974), "Die Libelle" (1983) oder "Der Nachtmanager" (1993) führen nicht nur die Bestseller-Listen an, sie werden auch als TV-Serien und Spielfilme adaptiert.

John le Carré im Jahr 1965Bild: picture-alliance/Everett Collection

Bildete zunächst der Kalte Krieg den Hintergrund, vor dem sich die Handlung abspielte, so kamen später der Nahost-Konflikt, Waffenhandel, Machenschaften von Pharma-Konzernen, der Anti-Terror-Krieg oder die russische Mafia hinzu. Zeit seines Lebens blieb die Lage der Welt höchst relevant für den Schriftsteller: als Blaupause für seine Werke ebenso wie für ihn persönlich.

In der letzten Phase seines Lebens äußerte sich der inzwischen vielfach ausgezeichnete Schriftsteller vermehrt auch als kritischer Mahner. Besonders seine historische Rede in der Hamburger Elbphilharmonie am 15. Oktober 2017 ist dabei in Erinnerung geblieben. Bei der Vorstellung seines Romans "Das Vermächtnis der Spione", der eigentlich sein letzter werden sollte (2019 folgte der Brexit-Roman "Federball"), hinterließ le Carré selbst so etwas wie ein testamentarisches Plädoyer für Europa, Multilateralismus und eine an Fakten orientierte Politik.

Sorge um den Zustand der Welt

Noch nie habe er so sehr um den "Wert der Wahrheit" gefürchtet wie seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, noch nie habe er selbst sich so fremd in seinem eigenen Land gefühlt wie nach dem Brexit, sagte le Carré an diesem denkwürdigen Abend. Der Inhalt des dort vorgestellten Buches spiegelt seine Sorge um den Zustand der Welt.

"Ich bin Europäer", legt er darin ausgerechnet der Figur in den Mund, die wie keine zweite für le Carrés Werk steht: George Smiley. Der Titel "Das Vermächtnis der Spione" (englisch: "A Legacy of Spies") verweist dabei auch auf den Schriftsteller selbst: Die Spione sind le Carrés Werk, und er möchte es als ein Vermächtnis verstanden wissen. "Wenn ich ein unerreichbares Ziel hatte", fährt also Agent Smiley alias le Carré alias David John Moore Cornwell fort, "dann das, Europa aus dem Dunkel in ein neues Zeitalter der Vernunft zu führen. Das Ziel habe ich heute noch."

Im Oktober 2019 hatte er deshalb noch die irische Staatsangehörigkeit beantragt: Er wollte auch nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union Bürger der EU bleiben. John le Carré wurde 89 Jahre alt.

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