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Politik

Großrazzia gegen Islamisten-Netzwerk

15. November 2016

Es ist ein neuer Schlag gegen die Salafisten-Szene: Mit einem Großaufgebot durchsucht die Polizei seit dem Morgen rund 190 Wohnungen und Büros. Es geht um die umstrittenen Koran-Verteilaktionen "Lies!".

Deutschland Razzia gegen Islamisten
Polizisten sichern in Pulheim bei Köln ein Gelände, auf dem sich ein Lager der "Lies! Verlag Gesellschaft" befindetBild: picture-alliance/dpa/W. Kastl

Mit einer Großrazzia in zehn Bundesländern ist die Polizei am frühen Dienstagmorgen gegen mutmaßliche Unterstützer der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) vorgegangen. Hunderte Polizisten durchsuchten rund 190 Wohnungen und Büros von Organisatoren und Anhängern der radikal-salafistischen Vereinigung "Die wahre Religion", die hinter umstrittenen Koran-Verteilaktionen in deutschen Städten steht. Dies bestätigte Innenminister Thomas de Maizière in Berlin. Die Vereinigung hatte er kurz vor der Razzia verbieten lassen. Salafisten vertreten einen am Koran orientierten besonders konservativen Ur-Islam, lehnen westliche Demokratien ab und wollen eine Ordnung mit islamischer Rechtsprechung, der Scharia.

Schwerpunkte der Polizeieinsätze, die um 6.30 Uhr zeitgleich in mehreren westdeutschen Bundesländern und Berlin begannen, waren Hessen mit knapp 65 Durchsuchungen - darunter allein 15 in Frankfurt am Main - sowie Nordrhein-Westfalen und Bayern mit jeweils fast 35 Polizeiaktionen. In Niedersachsen durchsuchten die Beamten mehr als 20 Liegenschaften, in Berlin fast 20, in Baden-Württemberg gut 15, in Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und in Hamburg je etwa 5 und in Bremen eine. In ostdeutschen Flächenländern gab es keine Durchsuchungen.

Verbot von "Die wahre Religion"

De Maizière (CDU) hat das Verbot radikal-salafistischer Koran-Verteilaktionen in deutschen Städten als wichtiges Signal im Kampf gegen islamistischen Terror bezeichnet. "Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie. Für radikale, gewaltbereite Islamisten ist kein Platz in unserer Gesellschaft", sagte de Maizière in Berlin. Der Rechtsstaat setze mit dem Verbot ein klares Zeichen gegen den Missbrauch der Religion durch Personen, die terroristische Organisationen unterstützten.Die einige hundert Mitglieder zählende Vereinigung teile die Welt in zwei Lager, sie stehe für ein "feindliches Gegenüber" von Muslimen, sagte de Maizière. "Sie glorifiziert also Mord und Terror." Er wolle nicht, dass Terrorismus aus Deutschland exportiert werde. "Eine systematische Beeinträchtigung unserer Grundwerte ist mit angeblicher Religionsfreiheit nicht zu vereinbaren", begründete de Maizière das Verbot und die Durchsuchungen. Rund 140 junge Menschen, die im Kontakt mit der Organisation standen, seien nach Syrien oder den Irak ausgereist - vermutlich für den Kampf an der Seite islamistischer Terroristen.  

Mitglieder der Vereinigung "Die wahre Religion" verteilten immer wieder den Koran in FußgängerzonenBild: Getty Images/A. Berry

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) sprach von einer "eindeutigen Botschaft" an die "radikal-islamistische Szene". Mit dem Verbot der salafistischen Organisation werde bundesweit ein "wesentlicher Radikalisierungsfaktor ausgelöscht", erklärte Beuth am Morgen. Demnach wurde das Verbot auf Anregung des Bundeslands Hessen vorangetrieben.

Der hinter der Salafisten-Vereinigung "Die wahre Religion stehende Hassprediger Ibrahim Abou-Nagie hat eine internationale Ausweitung seiner mutmaßlichen Anwerbe-Aktionen für die Terrormiliz "Islamischer Staat" geplant. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen soll das von dem 52-Jährigen in Deutschland organisierte Koran-Verteilprojekt "Lies!" demnächst auch in Malaysia an den Start gehen. Abou-Nagie war nach Informationen aus Sicherheitskreisen während der Durchsuchungsaktionen nicht in Deutschland. Ermittler vermuteten den gebürtigen Palästinenser zuletzt in Malaysia.

Im Visier des Verfassungsschutzes

Der Verfassungsschutz wirft führenden Akteuren und Sympathisanten der Vereinigung "DWR" vor, den bewaffneten Dschihad ("Heiliger Krieg") und Terroranschläge zu verherrlichen. Zudem habe die Vereinigung ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungs- und Sammelbecken für Dschihadisten aufgebaut. 

Das Verbot der salafistischen Vereinigung ziele nicht auf die Verbreitung des islamischen Glaubens oder die Verteilung von Koranen oder deren Übersetzungen, hieß es weiter. Verboten werden solle lediglich der Missbrauch des Islam durch Aktivisten, die extremistische Ideologien propagierten oder Terrororganisationen unterstützten. Unter anderem werde jede Betätigung für den Verein, die Teilnahme an Koran-Verteilaktionen von "Lies!" sowie die Verbreitung von Videos im Internet verboten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beziffert die Zahl radikal-islamistischer Salafisten in Deutschland bis Ende Oktober auf 9200 - Tendenz weiterhin steigend. Das Potenzial islamistisch-terroristischer Personen wird auf etwa 1200 Männer und Frauen geschätzt. Bis Ende vergangenen Monats waren nach Angaben der Sicherheitsbehörden 870 Menschen aus der Bundesrepublik in die IS-Kriegsgebiete in Syrien und im Irak ausgereist. Darunter waren etwa 20 Prozent Frauen.

as/sti (dpa,afp)

 

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