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Politik

GroKo stellt SPD vor eine Zerreißprobe

Sabine Kinkartz z. Zt. Wernigerode
13. Januar 2018

Große Koalition, nein danke! So entscheidet sich der SPD-Landesparteitag Sachsen-Anhalt und erteilt der Parteispitze eine dicke Klatsche. Die hatte auf das Gegenteil gehofft. Von Sabine Kinkartz, Wernigerode.

Wernigerode Landesparteitag der SPD Sachsen-Anhalt Anti GroKo Button
Bild: DW/S. Kinkartz

Als Bundesaußenminister Sigmar Gabriel am Samstag um 10.30 Uhr auf dem Landesparteitag der SPD Sachsen-Anhalt in Wernigerode eintrifft, liegt der hochbrisante Antrag der Jusos bereits auf dem Tisch. "Groko, nein Danke!" steht in fetten Lettern über der zweiseitigen Abhandlung, die den Parteitag dazu auffordert, sich offiziell gegen eine Neuauflage der Regierungskoalition zwischen CDU, CSU und SPD auszusprechen. Eine Entscheidung, die zwar keine bindende Wirkung haben kann, weil erst ein Sonderparteitag auf Bundesebene am 21. Januar über den weiteren Kurs der SPD entscheiden wird. Aber es ist ein Stimmungstest für den Landesverband Sachsen-Anhalt und ein Signal für die ganze Partei.

Erst einmal darf der hohe Besuch aus Berlin zu den 120 Delegierten sprechen. Seine Mission ist klar: Das Ergebnis der Sondierungsgespräche in Berlin findet er gut und will dafür bei den Genossen werben. Die sind nach der Lektüre des 28-seitigen Ergebnispapiers vielfach enttäuscht. "Viele Beschlüsse, die wir auf dem letzten Parteitag getroffen haben, sind einfach unter den Tisch gefallen", beklagt sich Anne Fiebig, Juso-Vorsitzende von Halle an der Saale. "Die soziale Gerechtigkeit spiegelt sich meines Erachtens überhaupt nicht in diesen Papieren wider." #NoGroKo, die Abkürzung für "keine große Koalition", steht auf dem großen roten Button, den sich Fiebig an ihren Pullover geheftet hat.

"Die Flüchtlinge müssen es ausbaden"

Diesen Button sieht man auf dem Landesparteitag sehr oft. Susi Möbbeck, Staatssekretärin im Landesarbeitsministerium Sachsen-Anhalt und Integrationsbeauftragte, trägt ihn zwar nicht. Trotzdem ist sie noch nicht davon überzeugt, dass ihre Partei in Berlin weiter in der Regierung bleiben sollte. Während Möbbeck in der Arbeitsmarktpolitik in dem Sondierungspapier "eine Menge Ansätze" sieht, die "entwicklungsfähig" seien, findet sie es "migrationspolitisch eine Katastrophe". Das habe sie so nicht erwartet. "Die restriktive Haltung, in der sich die CSU weitgehend durchgesetzt hat, ist für mich schon ein Hammer." Das sei wohl der Preis gewesen, den die Union von der SPD verlangt hätte. "Die Flüchtlinge müssen es ausbaden."

Sigmar Gabriel hofft, dass die Genossen zustimmenBild: DW/S. Kinkartz

Sigmar Gabriel kann die Kritik durchaus verstehen, sieht aber mehrheitlich Gutes in dem Papier. Eine Dreiviertelstunde lang redet er den Genossen ins Gewissen. Es stimme nicht, dass sich die Union in den Sondierungen durchgesetzt habe. "Ich glaube, dass es eine Menge darin gibt, was klug ist und es gibt Dinge, die fehlen, das ist doch klar, aber wir sollten nicht so tun, als sei das alles schlecht." In der SPD sei man "heutzutage schon im Verruf", wenn man das Wort Kompromiss in den Mund nehme. "Das gilt gleich als Verrat."

Reicht es für eine Profilierung?

"Worüber wir streiten können, ist die Frage 'Reicht das?'", so Gabriel. "Kriegen wir genug, um uns zu profilieren und uns auf dem Weg der Erneuerung zu begleiten, den wir gehen müssen, um wieder stärker zu werden?" Opposition ist kein Rezept für Erfolg, so lautet die Kernbotschaft des langjährigen SPD-Vorsitzenden. "Sind wir der Überzeugung, dass wir stärker werden, wenn wir nach dem Scheitern von Jamaika jetzt sagen, wir wollen nicht dafür sorgen, dass die Krankenversicherung wieder paritätisch bezahlt wird, wir wollen nicht dafür sorgen, dass das gesetzliche Rentenniveau erhalten wird. Sind wir stärker, wenn wir sagen, wir wollen nicht dafür sorgen, dass Ganztagsschulen in Deutschland entstehen. Wir wollen nicht dafür sorgen, dass die EU mehr Geld bekommt. Sind wir dann stärker?"

Er sei sich sicher, dass die Wähler der SPD es nicht verstehen würden, wenn die Partei sich verweigern würde. "Ich möchte dieses Experiment auch gar nicht wagen, weil es in Neuwahlen enden würde." Dass ein Sonderparteitag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden soll, findet Gabriel nicht gut. Ihm hätte die Mitgliederbefragung am Ende der Koalitionsverhandlungen gereicht. Eine zusätzliche Hürde einzuziehen sei auch ein Misstrauensvotum an die Basis. "Wir haben inzwischen ein solches Misstrauen zwischen denen da oben und denen da unten in der Partei", klagt er. Auf Dauer sei das der Tod der SPD.

Juso-Chef will gegen die GroKo trommeln

Ein Argument, das vor allem junge Sozialdemokraten nicht gelten lassen wollen. Die Jusos hoffen darauf, dass einer Neuauflage der großen Koalition schon in Bonn ein Riegel vorgeschoben wird. Juso-Chef Kevin Kühnert hat angekündigt, er wolle bis zum Sonderparteitag durch ganz Deutschland touren, um gegen die GroKo zu trommeln. Kurzfristig ist er daher auch nach Wernigerode gekommen.

Juso-Chef Kevin KühnertBild: picture-alliance/dpa/K.D. Gabbert

Knapp 20 Minuten lang zerpflückt er vor den Genossen das Berliner Sondierungspapier. Das werde von der SPD-Spitze vor allem deswegen als Erfolg verkauft, weil diese es in einer zuletzt 24-stündigen Marathonsitzung hart erarbeitet habe. "Das ist psychologisch verständlich, die Bewertung von Verhandlungsergebnissen muss aber am Wort erfolgen und nicht an einem schwierigen Verhandlungsverlauf."

Verschärfte Migrationspolitik

Zu viele sozialdemokratische Themen würden nicht auftauchen, andere seien "Altlasten", die die Union der SPD aus dem Koalitionsvertrag von 2013 noch schuldig sei. Kühnert sieht in dem Papier de facto auch eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen vereinbart. "Da steht, dass die Zuwanderungszahlen jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden, da steht nicht sollte oder könnte. Spätestens bei 220.000 ist damit Schluss und das ist nach allgemeinem Verständnis eine Obergrenze."

Bei den Delegierten kommt die Rede des Juso-Chefs gut an, er bekommt viel Applaus. Vor allem, als er den Umgang der Parteispitze mit dem Sondierungsergebnis kritisiert. "Ich hätte mir gewünscht, dass aus Berlin nicht nur eine Jubel-Powerpoint-Präsentation und geschönte Pressemitteilungen gekommen wären, sondern die klare Ansage, was geklappt hat und was eben nicht."

Zielführend statt ergebnisoffen

Vom Tisch sei offenbar auch das Versprechen der SPD-Spitze, die Gespräche mit der Union "ergebnisoffen" zu führen. "Das war der Hebel, um die Zustimmung auf dem Parteitag im Dezember zu erreichen", erinnert Kühnert. Von der Möglichkeit, eine unionsgeführte Minderheitsregierung zu tolerieren, sei nicht mehr die Rede. Und das nur, weil die Union sich dem verweigere. "Ich hätte mir gewünscht, dass die SPD es der Union nicht so einfach macht, aus dem Ding rauszukommen."

Ja oder Nein zur GroKo? Die SPD ist zerrissenBild: DW/S. Kinkartz

Am Ende appelliert Kühnert an die Delegierten, spätestens beim Mitgliederentscheid gegen ein weiteres Regierungsbündnis mit der Union zu stimmen. Den Antrag der sachsen-anhaltinischen Jusos, dem sich auch andere Gruppierungen aus dem Landesverband angeschlossen haben, erwähnt er mit keinem Wort. Muss er auch nicht, seine Botschaft kommt auch so bei den Delegierten an.

Zwei Stunden später wird über den Juso-Vorstoß abgestimmt und mehr als jeder zweite Delegierte stimmt dafür. Für die SPD-Spitze in Berlin ist das ein Alarmsignal, denn es zeigt, dass die Partei in der Frage, ob die SPD zum dritten Mal als Juniorpartner in eine Regierung unter einer Bundeskanzlerin Angela Merkel eintreten soll, völlig zerrissen ist. Befürworter und Gegner der GroKo wollen die verbleibende Woche bis zum Sonderparteitag in Bonn nun nutzen, um weiter Stimmung für ihre Linie zu machen. Es bleibt spannend.

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