Der spektakuläre Kunstfund bei Cornelius Gurlitt hat Deutschland fast 70 Jahre nach Kriegsende nochmals an seine Verantwortung aus der Nazi-Zeit erinnert. Nun sind die Sammlung und ihre Geschichte in Berlin zu sehen.
Anzeige
Der Fund, der später als Schwabinger Kunstfund in die Geschichte eingehen sollte, war spektakulär: Mehr als 1500 Kunstwerke wurden 2013 bei dem Eigenbrötler Cornelius Gurlitt, dem zurückgezogen in München und Salzburg lebenden Sohn des Nazi-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, beschlagnahmt.
Die Presse stand Kopf: Ein "milliardenschwerer Nazischatz" wurde vermutet, von einem "Jahrhundertfund" war die Rede. Die Bilder standen im Verdacht, NS-Raubkunst zu sein, auf ihnen lastete der Schatten der NS-Vergangenheit.
"Bestandsaufnahme Gurlitt" in Berlin zeigt erstmals gesamte Sammlung
Seitdem sind international Wissenschaftler damit beschäftigt, in Kleinstarbeit die Herkunft all dieser Objekte zu recherchieren. Nach Jahren der Begutachtung durch Experten werden die lang geheim gehaltenen Werke jetzt in Berlin erstmals im kompletten Überblick gezeigt.
Nach zwei Einzelschauen in Bern und Bonn bietet der Berliner Martin-Gropius-Bau von Freitag (14.09.2018) an sowohl einen Blick auf die Nazi-Aktion "Entartete Kunst" als auch auf die perfide Geschichte des NS-Kunstraubs.
"Entartete Kunst": Wie Hitler und die Nazis Kunst diffamierten
Adolf Hitler war vor der Machtergreifung 1933 selbst Kunstmaler. Als "Führer" kategorisierte er Kunstwerke nach seinem Gusto - was er verabscheute, wurde als “entartete Kunst” gebrandmarkt und aus Museen entwendet.
Bild: picture-alliance/akg-images
Entartete Kunst
Als "entartete Kunst" bezeichneten Adolf Hitler und die Nationalsozialisten Kunstwerke der Moderne, deren Stil, Künstler oder Sujet ihnen nicht genehm waren. Die Nazis beschlagnahmten solche Kunstwerke ab 1937 aus deutschen Kunstmuseen. In einer Wanderausstellung wurde "entartete Kunst" vor Publikum an den Pranger gestellt. Hier besichtigen Goebbels und Hitler die Originalausstellung in München.
Bild: picture-alliance/dpa
Hitler und die Kunst
Hitler mochte die Romantik sowie Malerei des 19. Jahrhunderts, bevorzugt ländliche Idyllen. In seiner Privatsammlung fanden sich z.B. Werke von Cranach, Tintoretto und Bordone. Hitler wollte sich in seinem Ruhestand - analog zu seinen Vorbildern Ludwig I. von Bayern und Friedrich dem Großen - selbst einer Kunstsammlung widmen. Sie sollte in Linz an der Donau im "Führermuseum" gezeigt werden.
Bild: picture-alliance/Everett Collection/Actual Films
Die Enteignungen
Die Nationalsozialisten waren nicht die Ersten, die Avantgarde-Künstler verfemten, aber sie gingen einen Schritt weiter, indem sie ihre Werke aus den Kunsthäusern verbannten. Über 20.000 Werke ließen die Machthaber 1937 aus 101 staatlichen deutschen Museen abtransportieren. Alles, was den Nazis als nicht erbaulich für das deutsche Volk erschien, wurde abtransportiert.
Bild: Victoria & Alber Museum
Hitlers Nationalstil
Abstrakte Kunst hatte in Hitlers “Nationalstil” nichts verloren. Das machte auch die “Große Deutsche Kunstausstellung” klar, die am 18.7.1937 in München die traditionellen Landschafts-, Historien- und Aktmalereien u.a von Fritz Erler, Hermann Gradl oder Franz Xaver Stahl zur Schau stellte. Je näher das Sujet der realen Vorlage kam, umso schöner war sie in den Augen des Führers.
Bild: Bundesarchiv, Bild 183-C10110/CC-BY-SA
Was als entartet galt
Sogar unter seinen Untergebenen herrschte große Unsicherheit darüber, welche Künstler Hitler akzeptierte. Klarheit brachten die Große Deutsche Kunstausstellung 1937 und die zeitgleiche Ausstellung "Entartete Kunst" in den Münchner Hofgarten-Arkaden. Verfemt wurden Kunstschaffende der Moderne, darunter Max Beckmann, Otto Dix, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner und Max Pechstein.
Bild: picture-alliance/akg-images
Entartete Kunst auf Tournee
Die Ausstellung "Entartete Kunst" zeigte 650 konfiszierte Kunstwerke aus 32 deutschen Museen. Sie setzte die Exponate mit Zeichnungen von geistig Behinderten gleich und kombinierte sie mit Fotos verkrüppelter Menschen, die bei den Besuchern Abscheu und Beklemmungen erregen sollten. Über zwei Millionen Besucher sahen die Schau, die in verschiedenen Städten gezeigt wurde.
Bild: cc-by-sa/Bundesarchiv
Rechtsgrundlagen
Das "Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst" vom 31.5.1938 legalisierte rückwirkend den entschädigungslosen Einzug der Kunstwerke. Nach Kriegsende behielt das Gesetz seine Gültigkeit, es habe lediglich Staatsbesitz umverteilt, beschieden die Alliierten. Werke, die Nazis als "entartete Kunst" aus den Museen trugen, können im Gegensatz zu Raubkunst bis heute frei gehandelt werden.
Bild: CC by Österreichische Nationalbibliothek
Handel mit "entarteter Kunst"
Die beschlagnahmten Werke kamen in Depots in Berlin und ins Schloss Schönhausen. Viele Verkäufe enteigneter Werke wurden durch die vier Kunsthändler Hitlers, Bernhard A. Böhmer, Karl Buchholz, Hildebrand Gurlitt und Ferdinand Möller, durchgeführt. Ein Bestand an ca. 5000 nicht verkauften Kunstwerken wurde am 20.3.1939 von der Berliner Feuerwehr in einer als Übung bezeichneten Aktion verbrannt.
125 Werke waren für eine Versteigerung in der Schweiz vorgesehen. Eine von Hermann Göring und anderen eingesetzte Kommission zur Verwertung der Produkte entarteter Kunst schätzte die Mindestgebote und wählte schließlich die Galerie Fischer in Luzern für die Auktion aus. Diese Auktion fand am 30.6.1939 statt und fand großes Interesse in der ganzen Welt.
Bild: Fotolia/Fredy Thürig
Viel “entartete Kunst” bei Gurlitt
Über 21.000 Werke "entarteter Kunst" waren beschlagnahmt worden. Über die Anzahl, die seitdem verwertet worden sind, herrscht bis heute Uneinigkeit. Je nach Quelle ist die Rede von 6000 bis 10.000 veräußerten Werken. Anderes wurde vernichtet oder verschwand. Hunderte verschollen geglaubter Werke sind in Cornelius Gurlitts Sammlung wieder aufgetaucht. Und haben die Diskussion neu entfacht.
Bild: privat/Nachlass Cornelius Gurlitt
10 Bilder1 | 10
Erneut sind wichtige Werke von Dürer bis Monet, von Cranach bis Kirchner, von Cézanne bis Rodin zu sehen. Sie machen die Bandbreite der Sammlung deutlich, die Gurlitts Vater Hildebrand als einer der wichtigsten Kunsthändler der Nazis zusammentragen konnte.
Noch wichtiger aber ist der Blick hinter die Kulissen. Mehr als bisher rücken die Schicksale der meist jüdischen Opfer in den Fokus, wie Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle und Kurator der Ausstellung, vor der Eröffnung sagte. Sein Haus hat die Schau gemeinsam mit dem Kunstmuseum Bern, dem offiziellen Erben der Sammlung, zusammengestellt.
Nur wenige der rund 1500 Werke als Raubkunst identifiziert
Die akribischen Recherchen seit dem Fund 2013 zeigen: Nur sechs der gut 1500 Werke konnten bisher klar als NS-Raubkunst identifiziert werden. Ein prominentes Beispiel in der Ausstellung ist "Porträt der jungen Frau" (1850-1855, Artikelbild) von Thomas Couture, das der Sammlung des französischen Staatsmannes Georges Mandel zugeordnet wurde. Ein kleines Loch in der Leinwand führte auf die Spur. Mandels Lebensgefährtin hatte nach dem Krieg zu Protokoll gegeben, dieses bei ihm gestohlene Gemälde habe einen kleinen Einriss gehabt.
Hunderte anderer Werke konnten als unbedenklich eingestuft werden. Das meiste Kopfzerbrechen jedoch bereiten die 327 Bilder, die nach Angaben der Berner Museumsdirektorin Nina Zimmer noch raubkunstverdächtig sind. Alle Beteiligten sprachen sich deshalb dafür aus, die Aufklärungsarbeit weiterzuführen.
Ausstellung als Ausgangspunkt für Provenienzforschung
Die "Bestandsaufnahme Gurlitt", so der Titel der Ausstellung, dürfe kein Schlusspunkt sein, mahnte Kulturstaatsministerin Monika Grütters. "Im Gegenteil, sie ist ein Ausgangspunkt, von dem aus mehr Forschende als bisher mit besserem Rüstzeug als bisher der Wahrheit auf den Grund gehen können."
In der Ausstellung ist jedem einzelnen der insgesamt rund 200 Bilder eine Erklärung beigefügt, was die Erforschung der Herkunftsgeschichte bisher ergeben hat. Zudem gibt es viele Dokumente, historische Fotografien und zeitgeschichtlichen Hintergrund über die europäischen Dimensionen des NS-Kunstraubs.
Noch Rätsel zu lösen
Bei dem berühmten Gemälde "Waterloo Bridge" von Claude Monet etwa ist ein Vermerk von Gurlitts Mutter Marie von 1938 abgedruckt, die dem Sohn bestätigt, er habe dieses Bild 1923 von den Eltern zur Hochzeit geschenkt bekommen. Wozu es dieser Bestätigung bedurfte und warum sie 15 Jahre nach der Hochzeit kam, gehört zu den Rätseln, denen die Forscher noch nachgehen.
Kürzlich entschlüsselt haben die Forscher die Herkunft von vier anderen Zeichnungen, die ursprünglich Benita Renate Gurlitt, der Schwester des 2014 verstorbenen Münchner Kunstsammlers Cornelius Gurlitt und Tochter des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, gehörten: Die Experten konnten diese als NS-Raubkunst klassifizieren.
Der derzeitige Eigentümer hatte sie von dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste im Rahmen des Projektes "Provenienzrecherche Gurlitt" überprüfen lassen und will die Werke nun an die Nachfahren der einstigen jüdischen Besitzer zurückgeben.
Die Zeichnungen sind ebenfalls im Rahmen der Ausstellung "Bestandsaufnahme Gurlitt" im Berliner Martin-Gropius-Bau bis zum 7. Januar 2019 zu sehen.