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PolitikEuropa

Russische Anschläge in bulgarischem Auftrag?

Christopher Nehring
15. Mai 2021

Der mutmaßlich von russischen GRU-Agenten vergiftete bulgarische Waffenhändler Emilian Gebrew erhebt schwere Vorwürfe: Die Auftraggeber kämen aus Bulgarien. Geheimdienstexperten widersprechen.

Bulgarien Emilian Gebrew, Rüstungsfabrikant
Der bulgarische Waffenhändler Emilian Gebrew überlebte 2015 einen Giftanschlag Bild: Getty Images/AFP/N. Doychinov

Russlands Militärgeheimdienst GRU hat eine Blut- und Anschlagsspur in Europa hinterlassen. Darüber gelangen, nicht zuletzt Dank der Recherchen des Investigativportals "Bellingcat", in jüngster Zeit immer mehr Einzelheiten an die Öffentlichkeit. Neben Tschechien steht dabei seit Neuestem auch Bulgarien wieder im Fokus: Die GRU soll dort zwischen 2011 und 2020 vier Sabotageaktionen in Waffenlagern unternommen haben. Bereits länger bekannt war, dass die GRU 2015 offenbar auch einen Giftanschlag auf den Waffenhändler Emilian Gebrew und seinen Sohn verübt hatte.

Doch nun erheben ausgerechnet Gebrew und seine Firma EMKO schwere Vorwürfe gegen die vor kurzem abgewählte rechtskonservative Regierung unter dem Premier Bojko Borissow, der Bulgarien mehr als ein Jahrzehnt lang regierte. "Die Täter des 'bulgarischen Nowitschok-Anschlags' mögen von der GRU sein, ihre Auftraggeber aber sind in Bulgarien", heißt es in einer Stellungnahme, die EMKO Ende April veröffentlichte. "Die Spuren reichen bis in die hohen Etagen der Macht."

Mit diesen schwerwiegenden Anschuldigungen reagierte EMKO auf Ermittlungen des bulgarischen Generalstaatsanwalts Iwan Geschew, der seit langem umstritten ist, weil er in zahlreichen Korruptionsfällen der Borissow-Ära entweder nicht oder nur sehr oberflächlich ermittelt hat. Geschew hatte Ende April GRU-Agenten für den Giftanschlag auf Gebrew und die Sabotageaktionen in bulgarischen Waffenlagern verantwortlich gemacht und verkündet, die Staatsanwaltschaft habe auch Beweise dafür. Damit folgte er den Enthüllungen von Bellingcat, das seit über zwei Jahren die Spur mehrerer GRU-Agenten bei Giftmordanschlägen und Sabotageakten in Europa verfolgt.

Bulgariens Generalstaatsanwalt Geschew (2.v.r.) verkündet eine Anklage gegen sechs Personen wegen Spionage für Russland Bild: Bulgaria's Chief Public Prosecutor's Office/AA/picture alliance

Dementis zu allen Details

Erst im April 2021 hatte die tschechische Regierung russische GRU-Agenten für einen Sprengstoffanschlag auf ein Munitionsdepot nahe des Ortes Vrbětice, bei dem zwei Unbeteiligte starben, verantwortlich gemacht. Fast zeitgleich hatte Bellingcat dazu eigene Recherchen veröffentlicht. In dem Depot bei Vrbětice sollen Waffen gelagert worden sein, die offenbar für den Export in die Ukraine bestimmt gewesen waren. Eigentümer und Exporteur dieser Waffen war nach Recherchen von Bellingcat EMKO.

Gebrews Reaktion auf die Enthüllungen und die Aussagen der bulgarischen Staatsanwaltschaft sorgen jedoch für Verwirrung: Denn die Opfer der mutmaßlich russischen Anschläge widersprechen vehement. In einer Reihe von Dementis bestritten sie nahezu jedes Detail: dass die Waffen in Vrbětice Eigentum von EMKO waren; dass sie für den Export bestimmt gewesen seien; dass in allen vier Waffenlagern in Bulgarien, bei denen es zu Feuern und Explosionen kam, Waren von EMKO gelagert worden seien.

Glaubwürdige Anschuldigungen?

Und schließlich beschuldigt EMKO die bulgarische Regierung sogar, die Giftanschläge auf Gebrew beim russischen Geheimdienst "bestellt" zu haben. Das angebliche Motiv: Die Regierung von Borissow habe einen unliebsamen Konkurrenten regierungstreuer Firmen auf dem bulgarischen Waffenmarkt beseitigen wollen. Bereits früher hatten Gebrew und EMKO Borissows Regierung beschuldigt, die Aufklärung der Giftanschläge zu verzögern. Starker Tobak also. Doch was ist an den Anschuldigungen dran?

Mark Kramer, Universität HarvardBild: Privat

Mark Kramer, Bulgarien-Kenner und Direktor des Davis Center für Russische und Eurasische Studien (DCRES) der Universität Harvard, ist skeptisch: "Dass Premierminister Borissow auf die GRU als seine persönliche Mördertruppe zurückgegriffen haben soll, ist hochgradig unglaubwürdig", sagt er der DW. "Borissow ist eine unangenehme Figur, die Bulgarien ein Jahrzehnt lang schlecht regiert hat, aber diese Anschuldigungen sind sehr weit hergeholt."

Zugleich sieht Kramer keinen triftigen Grund, warum die bulgarische Regierung nach 2019 Informationen über die Anschläge zurückhielt und auch weiterhin nur bestätigt, was Bellingcat und die tschechische Regierung längst verkündet haben.

"Regierung wollte es nicht so genau wissen"

Mark Galeotti, Experte für russische Geheimdienste vom University College London (UCL), hält eine Beauftragung der GRU-Agenten durch bulgarische Stellen ebenfalls für unglaubwürdig. Er vermutet den Grund dafür, warum die Ermittlungen in Bulgarien nur zögerlich vorankommen, darin, so sagt er der DW, "dass die bulgarische Regierung bis vor kurzem relativ glücklich war, nicht genau zu wissen, was passiert ist, um nicht gegen Russland vorgehen zu müssen."

Mark Galeotti, Experte für Russlands GeheimdiensteBild: Privat

Die Auftraggeber der Anschläge in Bulgarien sehen Kramer und Galeotti einstimmig in Moskau: "Nach einigen Angaben war EMKO die einzige Firma, die Nachschub nach Georgien und in die Ukraine verkaufte und auch auf die Waffenmärkte in Asien und Afrika drängte. Also statuierten russische Stellen ein Exempel und nahmen sowohl Gebrew als auch seine Waffen ins Visier", so Kramer. Dabei, so der an den Enthüllungen beteiligte Bellingcat-Journalist Christo Grozew im Gespräch mit der DW, habe die GRU in Bulgarien aber auf "Insider und Helfer zurückgegriffen".

Großer russischer Einfluss in Bulgarien

Dass Bulgarien in den letzten Jahren vermehrt zum Schauplatz riskanter russischer Geheimdienstaktionen geworden ist, hält Kramer nicht für einen Zufall: "Die strategische Bedeutung Bulgariens ist nach dem Ende des Kalten Krieges gewachsen. Die Südflanke der NATO ist heute strategisch wichtiger als Zentraleuropa, und durch den türkisch-griechischen Konflikt steigt die Bedeutung Bulgariens."

Diese Bedeutung wird auch dadurch unterstrichen, dass die NATO mit "Defender-Europe 21" derzeit ein europaweites Militär-Manöver abhält, unter anderem im Schwarzen Meer. Ein klarer Fingerzeig in Richtung Moskau.

Prorussische Kundgebung in der bulgarischen Hauptstadt Sofia im November 2015Bild: BGNES

Sorge bereitet Experten jedoch der große russische Einfluss in Bulgarien. Neben den traditionellen kulturellen Verbindungen spielen für Kramer zwei Faktoren eine wichtige Rolle: Die bulgarische Abhängigkeit von russischem Gas und russischer Kernkrafttechnologie wie auch der große Einfluss moskautreuer ehemaliger kommunistischer Kader in Politik, Wirtschaft, Armee und Geheimdiensten. Wozu dies führen kann, so Kramer, habe der Fall des im März 2021 aufgedeckten russischen Spionagerings gezeigt.

"Bulgarien ist eines der schwachen Glieder in der NATO, aber nicht das besorgniserregendste. Ich habe viele Gespräche in Bulgarien geführt und bin überzeugt, dass man sich des Ernstes der Lage bewusst ist. Ich hoffe, Bulgarien wird bei der Lösung dieser Probleme erfolgreich sein, ansonsten wird die Rolle des Landes in der NATO sehr geschwächt", sagt Kramer. Der internationale Druck und die Aufmerksamkeit für das derzeit in einer innenpolitischen Krise verharrende Land werden in naher Zukunft also kaum nachlassen.