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Musik

Grubinger: "Musik ist wie ein Goldschatz"

6. September 2020

Der experimentierfreudige Perkussionist Martin Grubinger aus Österreich ist überzeugt: In diesen Corona-Zeiten muss man das Land mit guter Musik versorgen.

Martin Grubinger österreichischer Schlagzeuger
Spielt gern mit Showelementen aus der Rock- und Popmusik: Schlagzeuger Martin GrubingerBild: picture-alliance/dpa/O. Malzahn

Bei den Salzburger Festspielen trat der "Multiperkussionist" Martin Grubinger mit seinem Percussive Planet Ensemble auf. Das Programm mit Werken von Wolfgang Rihm, Iannis Xenakis und Steve Reich war für Musiker wie für Publikum eine echte Herausforderung: vielfältig, kompromisslos und zeitweise transzendentral.

Dass Grubinger sich für Vielfalt und Diversität in der Musikbranche einsetzt, ist nur folgerichtig: Perkussionisten sind offen für Instrumente und Musikströmungen aus allen Kulturen. Er hat sich Gedanken gemacht zum Sinn und zur Sinnhaftigkeit der Kunst - gerade während der Corona-Pandemie - und spricht im Interview mit DW-Musikredakteur Rick Fulker auch über die Kostbarkeit unserer Musikkultur.

Deutsche Welle: Herr Grubinger, die Aufführung in Salzburg - mit Werken von Wolfgang Rihm, Iannis Xenakis und Steve Reich - hatte etwas Kathartisches. Nach dem vielen Üben in der Corona-Zeit, kommt es für Sie bei einer echten Konzert-Aufführung zu einer Überhöhung, einem transformativen Moment?

Martin Grubinger: Absolut! Es ist der Flow, der Moment, dieses schöne Gefühl, wenn man im Ensemble nicht mehr nachdenken muss, sondern alles aus einem Automatismus heraus passiert. Diese Musik hat eine unglaubliche Kraft.

Es ist wie Natur-Event. Bei der Vorbereitung und den Proben denkt man an jeder Stelle: "Wie kann man dies verändern oder verbessern? Wie kann man da arbeiten, sind wir dann zusammen?" Und dann im Konzert: Plötzlich ist dieser Automatismus da. 

Schnell muss man als Perkussionist sein, aber auch präzise - wie der Schlagzeuger Martin GrubingerBild: Simon Pauly

Vorab wurden im Publikum Ohrenstöpsel ausgeteilt. Ist das eine Beleidigung für die Musiker?

Nein, das ist mir lieber. Es gibt Leute, die einfach sensibel sind, und die möchte nicht verschrecken. Ich möchte nicht, dass die Musiker unruhig werden, wenn man dann in den ersten Reihen beginnt, die Ohren zuzumachen. Was wir nicht möchten ist, diese Musik zu kastrieren. Wir wollen wirklich, dass Wolfgang Rihm sein vierfaches Forte "mit Schmerz", wie er in der Partitur schreibt, auch bekommt. Mit den Stöpseln ist das eine gute Sache, weil dann jeder Zuhörer für sich der eigene Tonmeister sein kann.

Vor einem guten Jahrzehnt sind Sie in Erscheinung getreten. Der Eindruck damals: Hier ist ein junger, internetaffiner Musiker, der ein breiteres, vielleicht auch jüngeres Publikum anspricht. Nun sind ein paar Jahre ins Land gegangen. Haben Sie tatsächlich ein neues Publikum gefunden?

Ich habe es nicht empirisch belegt, aber ich denke, dass bei mir in den Konzerten das Publikum im Schnitt im Vergleich zu den Wiener Philharmonikern oder den anderen Sinfonieorchestern 20, 25, 30 Jahre jünger ist.

Ich sehe viele Großeltern mit ihren Enkeln. Vielleicht finden sie in diesen Programmen nicht alle Stücke gleich gut. Aber die Oma und der Opa finden es cool, dass der Enkel und sie alles teilen können. In Salzburg war das traditionelle Festspielpublikum da, dabei auch Leute, die da ein bisschen reingestolpert sind. Diese Neugierde finde ich total toll.  

Das bekannteste Perkussionsinstrument im klassischen Orchester ist die Pauke, aber beileibe nicht die einzigeBild: Simon Pauly

Schlagzeuger scheinen improvisationsfreudige Menschen zu sein - bei aller Präzision, die sie an den Tag legen - denn Sie spielen von Partitur. Ist das auch in letzter Zeit so gewesen, in einer besonderen Situation wie der Corona-Krise mit all ihren Einschränkungen? Wie kommen Sie damit zurecht?

Ich glaube schon, dass der Schlagzeuger da der etwas flexiblere, vielleicht auch kreativere, vielleicht auch manchmal neugierigere Typ Mensch ist. Schlagzeuger müssen immer offen sein: ein neues Instrument aus Afghanistan, ein neuer Gong aus Thailand, ein neuer Rahmentrommel aus Syrien, eine neue Marimba aus Amerika oder aus Mexiko, die neueste Trommel aus den Südtiroler Bergen.

Der Schlagzeuger ist offen, saugt alles immer auf. Er interessiert sich für Xenakis und Rihm, aber auch gleichzeitig für Funk, Rock, Pop, Jazz, Tangomusik. In Coronazeiten wurden viele ganz schnell kreativ und fragten sich: "Wie nutzen wir die Situation?" Die einen haben Unterricht online für Kids zu geben, die anderen haben sich in LKWs gestellt, sind damit durch die Gegend gefahren und haben für die Leute Open Air gespielt.

Übernimmt gern Musikelemente auch aus anderen Kulturen: Martin Grubinger im Mozarteum Salzburg (2018)Bild: picture-alliance/F. Neumayr

Wie haben Sie die vergangenen Monate der Corona-Pandemie erlebt?  

Ganz am Anfang war ich fast ein bisschen erleichtert. Ich war so in diesem Konzerttrubel drinnen. Und als das erste Konzert abgesagt wurde, dachte ich: "Boa!" Zeit für den Sohn, Zeit für die Familie, ich lese 'Krieg und Frieden', ich lerne Italienisch - toll!"

Aber nach drei, vier Wochen habe ich gemerkt: "Irgendwas ist hier komisch. Es macht mich unruhig, wenn man ständig die Nachrichten checkt und sich fragt: "Wann wird der Lockdown wieder aufgelöst, wann kann man wieder auf die Bühne?"

Dann habe ich wieder geprobt, Unterricht bei mir zu Hause gemacht und mit verschiedenen Projekten bis jetzt einen unglaublich intensiven Sommer erlebt. Ein Kollege sagte mir: "Martin, wir haben seit zehn Jahren nicht so viel gearbeitet wie jetzt."  

Und wenn es ein zweites Corona-Jahr geben sollte: Gehen irgendwann die Lichter im Konzertbetrieb aus, vielleicht für immer?

Ja, das sehe ich nicht so positiv. Ich glaube, dass die klassische Musik-Szene verletzlich ist. Und ich glaube, dass wir es versäumt haben, in den vergangenen Jahrzehnten bei allen Publikums- und Bevölkerungsschichten für Relevanz zu sorgen.

Ich glaube, dass wir viel zu wenig für den Nachwuchs getan haben, dass wir uns abgekoppelt, abgekapselt haben, dass es manche für wichtiger gehalten haben, auf die nächste Asientournee zu gehen als in den größeren und kleineren Städten für das Publikum vor Ort da zu sein.

Eine neue Regionalität wäre notwendig. Und ich glaube, dass wenn es tatsächlich bis nächsten Sommer so weitergeht, wir einen Kahlschlag erleben werden. Das belastet mich sehr, weil diese unglaubliche Fülle an Möglichkeiten für Musiker einzigartig in Österreich und Deutschland ist.

Es ist wie ein Goldschatz. Dieser droht, uns gerade wegzubrechen. Deswegen müssen wir Musiker auch vorangehen. Einen Konzertauftritt zu haben, motiviert ungemein. Weil er zeigt, was möglich ist auch in dieser Zeit. Wir sind noch da!

Experimentierfreudig: Grubinger hat keine Berührungsängste mit Rock, Heavy Metal und PopBild: picture-alliance/M. Scholz

Hat der leere Terminkalender auch für die Kunst eine positive Seite?

Ja, wenn wir die Signale richtig deuten. Nur als Beispiel: Viele Institutionen werden von der öffentlichen Hand gefördert. Und der Steuerzahler, der fragt sich vermutlich das eine oder andere Mal: "Mit meinem Steuergeld werden diese Institutionen mitfinanziert, aber wie zeigt sich das für mich? Ist diese Institution in meiner Region präsent? Zeigen sie an dem, was ich mache, Interesse? Wollen sie ihre Kunst nicht nur in den großen Städten, nicht nur im Konzert-Tempel, sondern wirklich in der Fläche den Leuten näherbringen?"

Das ist es eine große Chance: Wenn wir es zu mehr Regionalität bringen, wenn wir sagen: "Lassen wir halt die Asientournee aus, spielen wir lieber für die Leute in Tirol, im Vorarlberg, in Kärnten oder in Innsbrück. Sprechen wir die Leute ganz direkt an und sagen: "Ihr seid's, mit Eurer Unterstützung sind wir in der Lage, die Kunst, die Musik dieses Landes in die Welt zu tragen. Und jetzt sind wir da, um zu zeigen, wofür wir stehen." Wenn wir das begreifen, dann ist das Glas halbvoll.

Wie kann man sonst die Kunst und die Musik relevanter für die Menschen machen?

Das Entscheidendste ist: Musik muss in die Schule. Wir müssen Musikschullehrer mit einem ganz neuen Konzept ausbilden. Die brauchen Begeisterung und Leidenschaft. Die Besten müssen unseren Kindern die Kunst beibringen.

Grubinger hat jüngeres Publikum in die Konzerte geholt - mit seinem Image als "junger Wilder"Bild: Simon Pauly

Es braucht Musiklehrer, die ein fertiges Knowhow haben, die eine derartige Personalität, ein derartiges Auftreten haben, dass die Kinder sagen: "Das Schönste, das wir an diesen Tagen haben, ist der Musikunterricht, der Kunstunterricht."

Viele erinnern sich an ihren Musikunterricht in der Schule als etwas Scheußliches.

Und mittlerweile erinnern sich viele daran, dass sie überhaupt keinen Musikunterricht in der Schule hatten. Aber in der Schule ist der Systemwechsel möglich. Warum ist die Bildungspolitik so umkämpft? Weil auch die Politik weiß: In der Schule kann man die Veränderungen im Einzelnen, aber auch im gesamtgesellschaftlichen Denken mit beeinflussen.

Wir Musiker müssen in die Schulen, die Gymnasien, in die Universitäten. Wir müssen raus aufs Land und dort die beste Qualität bieten, die wir in der Lage sind, zu geben. Wenn wir flächendeckend Schulen, Dörfer, kleine Gemeinden, das ganze Land mit Musik im besten Sinne überschwemmen, dann haben wir Relevanz erreicht.

Dann wird man sagen: "Die Wiener Staatsoper bereitet mir jedes Jahr in meinem kleinen Dorf einen der schönsten Abende des Jahres. Ich will, dass mein Steuergeld dieser Institution zugute kommt." Das wäre das Richtige. Aber wenn die Wiener Staatsoper sich vierzig Jahre dort nicht blicken lässt, verleitet das, sich zu fragen: "Warum soll ich sie mit meinen Steuergeldern unterstützen?"

Das Gespräch führte Rick Fulker.

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