1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Grundrente spaltet die Große Koalition

10. November 2019

Wird der Kampf gegen die Altersarmut zum möglichen Koalitionskiller? Eine zentrale Frage zur geplanten Grundrente entzweit aktuell die Große Koalition. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Symbolbild - Altenpflege - Pflege - Pflegeberuf - Altersarmut
Bild: picture-alliance/dpa/K. Hildenbrand

Es ist eines der zentralen Versprechen des deutschen Sozialstaates: Im Alter soll es für die Bundesbürger eine auskömmliche gesetzliche Rente geben. Dieses Ziel gilt über alle Parteigrenzen hinweg als Eckpfeiler des sozialen Zusammenhalts.

Was ist die Grundsicherung im Alter?

Doch immer mehr Deutsche können im Alter nicht allein von ihrer Rente leben. Obwohl sie in der Regel viele Jahre lang gearbeitet und in die Rentenkasse eingezahlt haben, reicht das Geld nicht aus. Deshalb sind sie auf die sogenannte Grundsicherung im Alter angewiesen. Es handelt sich um eine Leistung der Sozialhilfe, die beim Sozialamt beantragt werden muss und das Existenzminimum sicherstellt. Sie errechnet sich grob dargestellt aus dem tatsächlichen Bedarf abzüglich des Einkommens. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bekamen im vergangenen Jahr 1,1 Millionen Menschen Grundsicherung im Alter - oder weil sie wegen Krankheit oder Behinderung nur eingeschränkt erwerbsfähig sind. Im Durchschnitt zahlt das Sozialamt 796 Euro.

Was ist die Grundrente?

Damit die Menschen nach einem harten Arbeitsleben nicht zu einem Sozialfall werden, was viele Betroffene als Erniedrigung und mangelnde Anerkennung ihrer Lebensleistung empfinden, hat sich die Bundesregierung auf die sogenannte Grundrente geeinigt: Wer jahrelang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat, soll demnach eine Rente erhalten, die deutlich oberhalb der Grundsicherung liegt.

Voraussetzung dafür ist, dass man 35 Jahre lang gearbeitet und entsprechende Beiträge in das Rentensystem eingezahlt hat. Wer nur 34 Jahre lang gearbeitet hat, geht also leer aus. Kindererziehung und die Pflege von Angehörigen sollen bei der zeitlichen Berechnung aber berücksichtigt werden. Selbstgenutztes Wohneigentum eines Rentenempfängers müsste nicht aufgegeben werden.

Ein unbeschwerter Lebensabend ist auch in einem so reichen Land wie Deutschland nicht allen Rentnern möglichBild: picture-alliance/dpa/S. Simon

Die Zahlen möglicher Grundrenten-Profiteure schwanken je nach Berechnung extrem. Sie reichen von 320.000 (Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung) bis zu fast drei Millionen Menschen, überwiegend Frauen (Studie der Bertelsmann Stiftung und des Instituts der deutschen Wirtschaft). Die Kosten lassen sich ebenfalls nur schwer beziffern. Nach einem Konzept der SPD würde die Grundrente 3,8 Milliarden Euro pro Jahr kosten.

Was ist die Bedürftigkeitsüberprüfung?

Auch wenn sich die Parteien der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD grundsätzlich einig sind, Altersarmut zu bekämpfen, so gibt es in einer zentralen Frage seit langem heftigen Streit: Sollen die Finanzen möglicher Empfänger der Grundrente geprüft werden? Im Koalitionsvertrag wurde ursprünglich vereinbart, dass eine Bedürftigkeitsprüfung wie bei der Grundsicherung Voraussetzung für den Bezug der Grundrente ist. Damit soll sichergestellt werden, dass nur wirklich Bedürftige unterstützt werden. Mögliche Leistungsempfänger und ihre Partner müssten ihre Finanzen offen legen.

Bei der Konkretisierung der Pläne treten aber die politischen Gegensätze innerhalb der Großen Koalition immer offener zutage: Die wirtschaftsnahe Union ist weitgehend für eine Bedürftigkeitsprüfung; die arbeitnehmernahen Sozialdemokraten lehnen sie ab. Ein Platzen der Groko wegen des Streits wird nicht ausgeschlossen. Denn es geht um mehr als eine Rentenreform. Der Konflikt ist eng mit dem Bemühen der Groko-Parteien verknüpft, ihre parteipolitischen Profile angesichts nachlassender Wählersympathien zu schärfen.

Was wollen die Unionsparteien?

Die Union befürchtet, dass ohne Bedürftigkeitsüberprüfung Gelder auch an diejenigen gezahlt würden, die eigentlich nicht darauf angewiesen sind. Sie verweist auf Arbeitnehmer, die durch Vermietung, Pensionskassen von Unternehmen oder einen finanziell gut aufgestellten Ehepartner mehr Geld zur Verfügung haben. Ohne Prüfung bekämen im Extremfall auch jene die Grundrente, die mit ihrem Partner in einer Villa wohnten und lange Zeit nur nebenher gearbeitet hätten. Durch die Medien geistert immer wieder das Beispiel der golfspielenden Zahnarztgattin.

Eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung würde daher aus Sicht von CDU und CSU eine Schieflage zu Lasten aller Steuerzahler verursachen; eine gleichermaßen teure wie ineffektive Rentenpolitik mit der Gießkanne. Für viele hart arbeitende und jetzt in die Rentenkasse einzahlende Menschen sei dies nicht nachvollziehbar, argumentieren Unionspolitiker. Als Kompromiss schlug die Union eine "vereinfachte Gerechtigkeitsüberprüfung" über eine Einkommensprüfung vor, die sich auf Steuerdaten stützt.

Was wollen die Sozialdemokraten?

Tenor bei der SPD ist: Wer jahrelang gearbeitet hat, verdient eine Rente und keine Almosen. Insofern soll die Grundrente an alle Menschen gezahlt werden, die 35 Beitragsjahre vorweisen können. Unabhängig davon, ob es weitere Einkünfte oder Vermögen gibt. Für die um ihr linkes Profil kämpfende SPD ist der Kampf gegen die Altersarmut zentraler Bestandteil ihres Bemühens, nach den letzten Wahlpleiten abwandernde oder bereits abgewanderte Wähler zurückzugewinnen. Insofern argumentieren Sozialdemokraten, dass es ihnen bei der Grundrente um die angemessene Versorgung von Leistungsträgern der Gesellschaft gehe. Um Menschen wie Lagerarbeiter, Friseure und Beschäftigte im Einzelhandel und der Gastronomie.

Die Grundrente bewahre die Menschen vor einem Gang zum Sozialamt und gebe ihnen ihre Würde zurück, heißt es bei der SPD. Und: Aus Respekt von der Lebensleistung der Arbeiter verbiete sich eine Bedürftigkeitsüberprüfung. Sie hätten schließlich einen Anspruch erworben. Die Sozialdemokraten sprechen deshalb oftmals auch von einer Respekt-Rente. Zugleich verweisen sie auf die Kosten einer Überprüfung, für die die Behörden nicht ausgerüstet seien. Aber was ist mit der im Koalitionsvertrag enthaltenen Zustimmung der SPD zur Bedürftigkeitsüberprüfung? Dazu erklärte der rentenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Ralf Kapschack: "Auch wenn wir im Koalitionsvertrag eine Grundrente mit Bedürftigkeitsprüfung vereinbart haben, zeigt sich doch, dass beides nicht zusammengeht."

Was will Kanzlerin Merkel?

Angela Merkel hat sich bisher eher zurückgehalten, im Streit zwischen Union und SPD mit ihrer Kanzlerinnen-Faust kräftig auf den Tisch zu hauen. Sie forderte lediglich beide Seiten energisch auf, an einem Kompromiss zu arbeiten. Man könnte auch sagen: Merkel beobachtet und analysiert. Nur zu genau wird sie wissen, dass schon die schwarz-gelbe Koalition aus Union und FDP das Thema 2009 angehen wollte. Ebenso stand es ab 2013 auf der Agenda der Großen Koalition. Doch eine Umsetzung des Projekts scheiterte bislang immer wieder an Details. Bei einem neuerlichen Scheitern möchte Merkel sicherlich nicht in der ersten Reihe stehen - besonders, wenn die Große Koalition noch mehr ins Schlingern geraten könnte.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen