1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikAfrika

Guinea-Bissau: Putsch der Drogenmafia?

Antonio Cascais
3. Februar 2022

Noch ist unklar, wer für den Umsturzversuch verantwortlich ist. Präsident Embaló behauptet, der Grund sei sein Kampf gegen den Drogenhandel. Die politische Elite trägt an der Macht der Drogenkartelle eine Mitschuld.

 Menschen in Uniform auf einem Pick-up
Nach den Schüssen im Regierungskomplex waren auf den Straßen Bissaus Soldaten zu sehenBild: Stringer/REUTERS

"Es war ein kaltblütiger Angriff. Und die Täter waren sicherlich keine Angehörigen unserer Armee. Es waren eher Leute aus der Unterwelt, die meinen Kampf gegen den internationalen Drogenhandel verhindern wollen", sagte Guinea-Bissaus Präsident Umaro Sissoco Embaló vor versammelter Presse am Dienstagabend. Kurz zuvor hatte eine blutige Schießerei im Regierungsgebäude stattgefunden. Es folgte eine stundenlange Belagerung des Gebäudekomplexes, in dem sich der Amtssitz des Regierungschefs sowie alle Ministerien des Landes befinden. 

Unbekannte hatten zudem von Bazookas angetriebene Geschosse auf das Regierungsgebäude abgefeuert. Die Bilanz der Attacke: 11 Tote Sicherheitsleute, allesamt Angehörige der Präsidentengarde. 

Präsident Sissoco Embaló, selbst ehemaliger General, wirkte kühl und entschlossen: "Die Täter waren sicherlich von der Drogenmafia bezahlte Killer", wiederholte der Präsident. Er wolle den Ermittlungen aber nicht vorweggreifen, sondern betonen, dass man den Angriff habe abwehren können und die Lage im Land unter seiner Kontrolle sei. 

Zweifel an der Version des Präsidenten

"Ob es von den Drogenbaronen bezahlte Killer oder Soldaten waren, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich habe allerdings mehrere bewaffnete Personen in Zivil gesehen, die zumindest äußerlich nicht als Soldaten erkennbar waren", erzählt  Epifânia Fernandes, Journalistin der unabhängigen Zeitung "O Democrata", die den Angriff der Putschisten unmittelbar miterlebt hat. Sie war am Dienstagvormittag in den Regierungspalast gegangen, um über die Kabinettssitzung zu berichten.

Plötzlich habe sie das Knallen der Bazooka-Geschosse vernommen, schildert sie im DW-Gespräch: "Wir hörten die Einschläge: Pum, Pum! Im Inneren des Regierungsgebäudes gerieten alle in Panik! Dann hörten wir viele Pistolenschüsse. Ich lief von Saal zu Saal, von Ministerium zu Ministerium, und habe mich schließlich in einer Toilette versteckt. Erst nach über fünf Stunden, nachmittags um 17 Uhr, war alles vorbei und wir konnten das Regierungsgebäude verlassen. Wir standen alle unter Schock."

Teil einer 2012 beschlagnahmten Lieferung Kokain - Guinea-Bissau gehört zu den wichtigen Drehkreuzen des DrogenhandelsBild: ISSOUF SANOGO/AFP/Getty Images

Es sei nicht ratsam, sich auf die simplen Erklärungsversuche des Präsidenten einzulassen, sagt Domingos Simões Pereira, Chef der größten Oppositionspartei PAIGC, "Afrikanische Partei für die Unabhängigkeit Guineas und Cabo Verdes", im DW-Interview: "Embaló inszeniert sich als Kämpfer gegen die Drogenmafia, um die Internationale Gemeinschaft einzulullen. Die Bürger Guinea-Bissaus wollen aber wissen, was wirklich hinter diesem angeblichen Putschversuch steckt. Wer waren die Leute, die diesen Putsch durchgeführt haben? Wie viele waren es? Wer hat sie befehligt? Was waren ihre wirklichen Ziele?" 

Antworten auf all diese Fragen sei der Präsident bislang schuldig geblieben. Es stehe ein Verdacht im Raum, über den Beobachter offen spekulieren: dass Embaló selbst den Putsch inszeniert haben könnte. "Ein solcher Putsch wäre ein idealer Vorwand, seine Säuberungsaktion gegen interne Kritiker und Oppositionelle zu intensivieren", sagt Pereira. 

Im Griff internationaler Drogenkartelle

Für die These von der Drogenmafia als Auftraggeber des Angriffs gibt es tatsächlich keine Beweise, aber ganz von der Hand zu weisen ist sie auch nicht: Guinea-Bissau gilt als wichtiger Knotenpunkt für den Drogenhandel, insbesondere für Kokain, und hat seit der Unabhängigkeit von Portugal 1974 neun Staatsstreiche und Putschversuche sowie mehrere politische Morde erlebt, wovon einige tatsächlich auf das Konto der Drogenkartelle gehen, die spätesten seit 2005 das Land fest in den Griff nahmen. Nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) ist Guinea-Bissau inzwischen eines der bedeutendsten Einfallstore für Kokain aus Südamerika, auf dem Weg nach Europa.

"Das organisierte Verbrechen macht in Guinea-Bissau was es will", bestätigt Calvário Ahukharié, ehemaliger Interpol-Chef in Guinea-Bissau der DW. Der Kampf gegen die Drogenkartelle sei in Guinea-Bissau praktisch nicht zu gewinnen, da sie mit vielen Militärs und Politikern unter einer Decke stecken: "Die Drogenbarone aus Südamerika gehen in unserem Land ein und aus, wann immer und wie es ihnen beliebt. Sie unterwerfen die Politiker. Sie sind die wahren Herrscher in unserem Land." Das heißt, im Prinzip steht jeder, der in Guinea-Bissau eine Machtposition innehat, unter dem Generalverdacht mit Drogenkartellen zusammenzuarbeiten.

Drogen würden mit großen Schiffen und in großen Mengen, in Paketen von bis zu 200 Kilogramm, ins Land geschmuggelt, sagt Ahukhariés Und die Regierungen in Guinea-Bissau würden die Mafia in Ruhe lassen. Dafür würden sie dann mit Drogen oder mit Geld bezahlt. "Die Drogenbarone fühlen sich in Guinea-Bissau pudelwohl, wie im Paradies", so Ahukhariés Fazit.

Der Weg zum Narcostaat

Spätestens 2005, als der aus dem portugiesischen Exil zurückgehrte langjährige Präsident  João Bernardo "Nino" Vieira, der zwischen 1980 und 1999 das Land eisern regiert hatte, erneut zum Präsidenten gewählt wurde, machte sich Guinea-Bissau auf den Weg zum Narcostaat.

Vieira ließ zu, dass sich die kolumbianische Drogenmafia des Landes mit seinen schwachen Institutionen bemächtigte. Sie benutzte die zahlreichen, vom Staat so gut wie nicht kontrollierten Inseln als Zwischenstation, um Kokain von Südamerika nach Europa zu bringen. Von Vieira hatten die Drogenbarone nichts zu befürchten. "Im Gegenteil: Vieira ebnete den Drogenkartellen den Weg und wurde dafür an deren Gewinnen beteiligt", sagt der Ex-Polizist Calvário Ahukharié. 

Bald aber geriet Nino Vieira in Konflikt mit Rivalen auf Seiten des eigenen Militärs. Im März 2009 wurde er von den eigenen Militärs ermordet.

Doch auch nach dem Tod Nino Vieiras ging der Drogenschmuggel über Guinea-Bissau weiter: Im April 2013 wurde der Marinechef Guinea-Bissaus, Bubo Na Tchuto, von US-amerikanischen Agenten der Drogenbehörde DEA, in eine Falle gelockt und auf hoher See, in internationalen Gewässern, verhaftet. Bubo Na Tchuto lieferte den US-Behörden wichtige Informationen und Namen und konnte deswegen, nach seiner Verurteilung bald aus der Haft entlassen werden und nach Guinea-Bissau zurückkehren. 

Ahukharié, damals Interpol-Chef in Guinea-Bissau, zeigte 2012 Fotos, auf denen Soldaten eine Kokainlieferung entladenBild: ZUMA Wire/imago images

Beobachter sind sich sicher: Teile der Armee Guinea-Bissaus sind nach wie vor in den Drogenhandel involviert. Inzwischen sind die hohen Militärs in Guinea-Bissau jedoch vorsichtiger geworden. Auch der Name Bubo Na Tchuto fällt immer wieder bei Spekulationen, auch wenn er nicht mehr im Militär aktiv ist. 

Viele Spekulationen 

Ein aktueller Fall lieferte in den letzten Monaten viel Gesprächsstoff: Ein Flugzeug des Typs Airbus 340 landete bereits im Oktober 2021 auf dem Flughafen der Hauptstadt Bissau - und es steht dort immer noch. Doch die zuständigen Behörden wissen weder, wem die Maschine gehört noch was sie transportierte. Entsprechende Untersuchungen wurden immer wieder verschoben und verhindert. 

Präsident Sissoco Embaló, der sich als engagierter Kämpfer gegen den internationalen Drogenhandel inszeniert, sieht derweil keinen Zusammenhang zwischen dem verdächtigen Flugzeug und den Drogenkartellen, was für Empörung in seiner eigenen Regierung, bei der Opposition und in der Zivilgesellschaft sorgt.

"Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Präsident wirklich die Voraussetzungen erfüllt, um sich wirklich als Vorreiter im Kampf gegen die Drogenkartelle im Land zu stilisieren. Uns liegen auch Informationen über Bewegungen von Booten in unseren territorialen Gewässern vor, für die es keinerlei plausiblen Erklärungen gibt. Ich glaube, dass der Präsident uns hier etwas auftischen will, was nichts mit Wahrheit zu tun hat", sagt Oppositionsführer Domingos Simões Pereira. Gleichzeitig verschweigt Pereira, dass auch seiner eigenen Partei und ihm selbst immer wieder Verbindungen zur Drogenmafia nachgesagt wurden. 

Pereira fordert die internationale Gemeinschaft auf, die "simplen Erklärungen" des Präsidenten nicht zu akzeptieren. 

Die internationale Gemeinschaft verurteilte den Putschversuch. Zumindest die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS) scheint sich der Lesart des Präsidenten zunächst anzuschließen: Sie lobte Sissoco Embalós Kampf gegen die Drogenmafia.

Mitarbeit: Braima Darame 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen