Viele der als "entartete Kunst" verfemten Werke galten als verschollen, bevor sie 2012 bei Cornelius Gurlitt auftauchten. Die Sammlung ging ans Kunstmuseum Bern. Jetzt ist sie erstmals zu sehen.
Anzeige
"Entartete Kunst": Wie Hitler und die Nazis Kunst diffamierten
Adolf Hitler war vor der Machtergreifung 1933 selbst Kunstmaler. Als "Führer" kategorisierte er Kunstwerke nach seinem Gusto - was er verabscheute, wurde als “entartete Kunst” gebrandmarkt und aus Museen entwendet.
Bild: picture-alliance/akg-images
Entartete Kunst
Als "entartete Kunst" bezeichneten Adolf Hitler und die Nationalsozialisten Kunstwerke der Moderne, deren Stil, Künstler oder Sujet ihnen nicht genehm waren. Die Nazis beschlagnahmten solche Kunstwerke ab 1937 aus deutschen Kunstmuseen. In einer Wanderausstellung wurde "entartete Kunst" vor Publikum an den Pranger gestellt. Hier besichtigen Goebbels und Hitler die Originalausstellung in München.
Bild: picture-alliance/dpa
Hitler und die Kunst
Hitler mochte die Romantik sowie Malerei des 19. Jahrhunderts, bevorzugt ländliche Idyllen. In seiner Privatsammlung fanden sich z.B. Werke von Cranach, Tintoretto und Bordone. Hitler wollte sich in seinem Ruhestand - analog zu seinen Vorbildern Ludwig I. von Bayern und Friedrich dem Großen - selbst einer Kunstsammlung widmen. Sie sollte in Linz an der Donau im "Führermuseum" gezeigt werden.
Bild: picture-alliance/Everett Collection/Actual Films
Die Enteignungen
Die Nationalsozialisten waren nicht die Ersten, die Avantgarde-Künstler verfemten, aber sie gingen einen Schritt weiter, indem sie ihre Werke aus den Kunsthäusern verbannten. Über 20.000 Werke ließen die Machthaber 1937 aus 101 staatlichen deutschen Museen abtransportieren. Alles, was den Nazis als nicht erbaulich für das deutsche Volk erschien, wurde abtransportiert.
Bild: Victoria & Alber Museum
Hitlers Nationalstil
Abstrakte Kunst hatte in Hitlers “Nationalstil” nichts verloren. Das machte auch die “Große Deutsche Kunstausstellung” klar, die am 18.7.1937 in München die traditionellen Landschafts-, Historien- und Aktmalereien u.a von Fritz Erler, Hermann Gradl oder Franz Xaver Stahl zur Schau stellte. Je näher das Sujet der realen Vorlage kam, umso schöner war sie in den Augen des Führers.
Bild: Bundesarchiv, Bild 183-C10110/CC-BY-SA
Was als entartet galt
Sogar unter seinen Untergebenen herrschte große Unsicherheit darüber, welche Künstler Hitler akzeptierte. Klarheit brachten die Große Deutsche Kunstausstellung 1937 und die zeitgleiche Ausstellung "Entartete Kunst" in den Münchner Hofgarten-Arkaden. Verfemt wurden Kunstschaffende der Moderne, darunter Max Beckmann, Otto Dix, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner und Max Pechstein.
Bild: picture-alliance/akg-images
Entartete Kunst auf Tournee
Die Ausstellung "Entartete Kunst" zeigte 650 konfiszierte Kunstwerke aus 32 deutschen Museen. Sie setzte die Exponate mit Zeichnungen von geistig Behinderten gleich und kombinierte sie mit Fotos verkrüppelter Menschen, die bei den Besuchern Abscheu und Beklemmungen erregen sollten. Über zwei Millionen Besucher sahen die Schau, die in verschiedenen Städten gezeigt wurde.
Bild: cc-by-sa/Bundesarchiv
Rechtsgrundlagen
Das "Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst" vom 31.5.1938 legalisierte rückwirkend den entschädigungslosen Einzug der Kunstwerke. Nach Kriegsende behielt das Gesetz seine Gültigkeit, es habe lediglich Staatsbesitz umverteilt, beschieden die Alliierten. Werke, die Nazis als "entartete Kunst" aus den Museen trugen, können im Gegensatz zu Raubkunst bis heute frei gehandelt werden.
Bild: CC by Österreichische Nationalbibliothek
Handel mit "entarteter Kunst"
Die beschlagnahmten Werke kamen in Depots in Berlin und ins Schloss Schönhausen. Viele Verkäufe enteigneter Werke wurden durch die vier Kunsthändler Hitlers, Bernhard A. Böhmer, Karl Buchholz, Hildebrand Gurlitt und Ferdinand Möller, durchgeführt. Ein Bestand an ca. 5000 nicht verkauften Kunstwerken wurde am 20.3.1939 von der Berliner Feuerwehr in einer als Übung bezeichneten Aktion verbrannt.
125 Werke waren für eine Versteigerung in der Schweiz vorgesehen. Eine von Hermann Göring und anderen eingesetzte Kommission zur Verwertung der Produkte entarteter Kunst schätzte die Mindestgebote und wählte schließlich die Galerie Fischer in Luzern für die Auktion aus. Diese Auktion fand am 30.6.1939 statt und fand großes Interesse in der ganzen Welt.
Bild: Fotolia/Fredy Thürig
Viel “entartete Kunst” bei Gurlitt
Über 21.000 Werke "entarteter Kunst" waren beschlagnahmt worden. Über die Anzahl, die seitdem verwertet worden sind, herrscht bis heute Uneinigkeit. Je nach Quelle ist die Rede von 6000 bis 10.000 veräußerten Werken. Anderes wurde vernichtet oder verschwand. Hunderte verschollen geglaubter Werke sind in Cornelius Gurlitts Sammlung wieder aufgetaucht. Und haben die Diskussion neu entfacht.
Bild: privat/Nachlass Cornelius Gurlitt
10 Bilder1 | 10
Es ist eine Doppel-Ausstellung, die es in sich hat. Die "Bestandsaufnahme Gurlitt” wird zeitgleich im Kunstmuseum Bern und in der Bundeskunsthalle in Bonn gezeigt. Große Teile des spektakulären Kunstfunds bei Cornelius Gurlitt 2012 werden hier erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Kunstsammlung war vor mehr als fünfeinhalb Jahren beschlagnahmt worden und löste eine internationale Debatte über den Umgang mit NS-Raubkunst aus.
Den Auftakt machen am Donnerstag (2.11.2017) nun die Schweizer. Unter dem Titel "‘Entartete Kunst' - Beschlagnahmt und verkauft” werden in Bern anhand von rund 150 Werken die politischen Vorgänge, die zur Diffamierung der Moderne führten, sowie die Verfemung und Verfolgung der betroffenen Künstler dargestellt. "Wir erzählen die Geschichte der ‘Entarteten Kunst' und ordnen sie in die Kampagnen gegen die Gegenwartskunst seit Ende des 19. Jahrhunderts ein”, sagte die Direktorin des Kunstmuseums, Nina Zimmer, bei der Pressekonferenz.
Ein schwieriger Erbfall
Der 2014 verstorbene Cornelius Gurlitt hatte das Berner Museum zum Erben aller von seinem Vater zusammengetragenen Kunstwerke bestimmt. Hildebrand Gurlitt war einer der Kunsthändler Adolf Hitlers, er hatte im Auftrag der nationalsozialistischen Regierung gehandelt - auch mit Kunst, die Privatleuten gegen deren Willen entzogen worden war, so zum Beispiel "Zwei Reiter vom Strand” von Max Liebermann. Durch Lügen konnte er der Art Looting Investigation Unit nach dem Zweiten Weltkrieg entkommen, seine Sammlung von rund 1500 Kunstwerken wurde nach seinem Tod 1956 von seinem Sohn gehütet.
Mit der Annahme der Erbschaft hat Bern sich schwer getan. "Nach der Annahme folgte eine schwierige Zeit für alle Beteiligten", so Marcel Brülhart, Vizepräsident der Dachstiftung Kunstmuseum Bern. Die Provenienzforschung sei viel aufwändiger gewesen als gedacht, führte er bei der Pressekonferenz in Bern aus. Außerdem seien die Kosten, den Rechtsprozess zu führen, erheblich gewesen.
Auswirkungen in der Schweiz
Zwei zentrale Auswirkungen macht Brülhart in der Schweiz aus: Die schon früher begonnene Provenienzforschung sei von den Museen wieder aufgenommen worden und werde nun konsequenter und mit mehr finanziellen Mitteln betrieben. "Die Provenienzforschung wird ernster genommen”, bekräftigt der Historiker Prof. Dr. Georg Kreis. Obwohl in der Schweiz Kultur Sache der Kantone ist, wurde letztes Jahr auf Bundesebene Geld dafür zur Verfügung gestellt. Das Bundesamt für Kultur (BAK) hat 2 Millionen Schweizer Franken für Provenienzforschung in verschiedenen Museen zur Verfügung gestellt. "Ein deutliches Signal”, sagt Kreis.
Zweite Auswirkung: Es wird diskutiert, ob die Schweizer Auslegung der Washingtoner Prinzipien noch zeitgemäß ist. Bereits in den 1990er Jahren, als eine heftige Debatte um nachrichtenlose Konten von Juden in der Schweiz entbrannte, wurde die schleppende Aufarbeitung der Schweizer international kritisiert. Die so genannte "Bergier-Kommission” arbeitete im Folgenden die Vorwürfe umfassend auf. In ihrem Abschlussbericht von 1999 wurden auch das Thema Raubkunst thematisiert.
Der Basler Historiker Georg Kreis war damals Teil der Kommission und stand auch dem Kunstmuseum Bern bei der jetzigen Ausstellung beratend zur Seite. Ein Bewusstsein für das Problem war - vor allem bei den Medien - schon vor dem Gurlitt-Fund vorhanden, meint Kreis: "Sonst hätte man beim Bekanntwerden nicht sogleich überreagiert und die ganze Sammlung komplett der Raubkunst zugeordnet”. Nach jetzigem Stand hat sich bei sechs Werken der Raubkunstverdacht erhärten lassen, viele weitere Werke befinden sich noch in der Abklärung.
Kunstmuseum Bern: Vorbild Deutschland
Rechtlich gesehen galten Raubgutforderungen nach 30 Jahren, also spätestens ab 1975, als verjährt. Die Washingtoner Prinzipien, auf die sich 1998 44 Staaten einigten, nahmen die Staaten (und ihre Museen) in die Pflicht, zweifelhafte Bestände zu prüfen und "gerechte und faire Lösungen zu suchen”.
Bis heute überwiegt jedoch in der Schweiz die Meinung, dass Restitutionen nur bei eigentlichen Konfiskationen gerechtfertigt seien. Dieser Haltung will sich das Berner Kunstmuseum nicht anschließen. Verlust des Werkes in Verfolgungszusammenhang sollte das entscheidende Kriterium für eine etwaige Restitution sein, so Brülhart: "Das Beispiel von Deutschland zeigt, dass mit einer solchen Haltung, vernünftige und faire Lösungen gefunden werden können”.
Genauer hinschauen
Museums- und teils auch Sammlungsbestände stehen auf dem Prüfstand - nicht zuletzt, weil die Aufmerksamkeit gewachsen ist. Die Sammlung des Waffenhändlers und Kunstsammlers Emil Bührle (1890-1956) beispielsweise wurde bei einer Debatte 2015 mit dem NS-Raubkunstverdacht konfrontiert. Bevor Teile der Sammlung 2020 in einen neuen Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses ziehen, sollen die Provenienzen restlos geklärt sein und Ungeklärtes dokumentiert und der Ausstellung ergänzend beigestellt werden.
Die Massstäbe sind während der Auseinandersetzung mit dem Gurlitt-Erbe strenger geworden. Es gehe eben um mehr als nur juristische Begutachtung. "Die Holocaust-Problematik muss anerkannt werden in ihrer ganzen katastrophalen Auswirkung”, sagt Georg Kreis. "Es geht nicht nur einfach ums Geld sondern um das Anerkennen, dass ein materieller Verlust im Zusammenhang mit einer ganz großen Ungeheuerlichkeit stattgefunden hat.”
Gemälde mit Raubkunstverdacht in Bonn
Es ist wohl kein Zufall, dass Bern sich auf die "Entartete Kunst" konzentriert hat: "Entartete Kunst” wird nur restituiert, wenn es sich um Raubkunst handelt, z.B. Leihgaben in Museen. Das ist international gängige Praxis. Juristisch sind die in Bern gezeigten Werke also unproblematisch. Das Kunstmuseum Bern werde Werke aus der Sammlung "Entarteter Kunst" großzügig an betroffene Museen ausleihen, versichert Brülhart.
Der heiklere Teil der Kunstsammlung wird in Deutschland ausgestellt. Bei der Bonner Ausstellung, die am Freitag (3.11.2017) eröffnet wird, liegt der Fokus unter dem Titel "Der NS-Kunstraub und die Folgen” auf der Enteignung vor allem jüdischer Sammler. Gezeigt werden 250 Werke, von denen die meisten im Verdacht stehen, Raubkunst zu sein, oder bei denen die Herkunft noch nicht hinreichend zu klären war - darunter Werke von Breughel, Beckmann und Dix.
Gurlitt-Besitz in Bern vorgestellt
Im November 2017 sollen sie in der Ausstellung "Bestandsaufnahme Gurlitt. Entartete Kunst" gezeigt werden. Erste Werke des Schwabinger Kunstfundes hat nun das Kunstmuseum Bern ausgepackt. Ein erster Überblick.
Bild: Bundeskunsthalle
August Macke: Landschaft mit Segelbooten
"Er hat vor uns allen der Farbe den hellsten und reinsten Klang gegeben", rief Franz Marc seinem Künstlerfreund August Macke nach, als dieser 1914 im Ersten Weltkrieg fiel. Mackes Segelboot-Bilder entstanden am Tegernsee in Bayern. Die "Landschaft mit Selgelbooten" gehört zum Kunst-Konvolut von Cornelius Gurlitt
Bild: Bundeskunsthalle
Otto Mueller: Liegender weiblicher Akt am Wasser
Schlanke Mädchengestalten sind charakteristisch für Otto Mueller, den berühmten deutschen Expressionisten. Das Modell dieses "Liegenden weiblichen Aktes am Wasser" räkelt sich unbekleidet auf einem wasserumspülten Felsen.
Bild: Bundeskunsthalle
Ernst Ludwig Kirchner: "Melancholisches Mädchen"
Der Maler galt als schwieriger, misstrauischer Mensch. Auch litt der einstige Brücke-Gründer unter Depressionen, was ihm die Malerei erschwerte. Sein Holzschnitt "Melancholisches Mädchen" entstand 1922. Viele seiner Werke wurden von den Nazis aus deutschen Museen entfernt und als "entartet" diffamiert. Der gebürtige Franke liegt heute in der Schweiz begraben.
Bild: Bundeskunsthalle
Otto Dix: Leonie
Schonungslos fixiert der Maler die Frau auf der Leinwand. Als er 1925 - bereits charakterlich und künstlerisch gereift - von Düsseldorf nach Berlin ging, eilte ihm ein gesellschaftskritischer Ruf voraus. "Ich kumm uff keinen grienen Zweich; meine Malereien sind unverkäuflich. Entweder ich werde berühmt oder berüchtigt", verkündete er 1920, kurz bevor dieses Leonie-Porträt entstand.
Bild: Bundeskunsthalle
Emil Nolde: Weite Landschaft mit Wolken
"Gleich einem Märchen war die Heimat mir, das Elternheim im flachen Land, die tausenden Lerchen jubelnd auf- und niederschwebend, mein Wunderland von Meer zu Meer", schwärmte der norddeutsche Maler Emil Nolde. Die weite Ebene, der fließende Übergang zwischen Himmel, Erde oder Wasser - das waren Noldes Motive. Auch seine "Weite Landschaft mit Wolken" zeugt davon.
Bild: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Franz Marc: Sitzendes Pferd
Kein Motiv und auch kein anderes Tier hat Franz Marc so beschäftigt wie das Pferd. Der expressionistische Maler verstand es als Metapher für kreatürliche Reinheit und Unschuld. Mutig experimentierte er mit der Wirkung von Farben. So entstand um 1910 seine Werkgruppe der Blauen Pferde. Vorläufer war dieses Bild eines "Sitzenden Pferdes", das sich ebenfalls im Konvolut Gurlitt befand.
Bild: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland