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Literatur

Eugen Ruge: "Wer über alles schreibt, schreibt über nichts"

2. Oktober 2018

Eugen Ruge im Gespräch darüber, warum sein DDR-Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" im Ausland nicht als deutsch empfunden wird und was Weltliteratur eigentlich ausmacht.

Eugen Ruge
Bild: Imago/gezett

DW: Deutsche Literatur, so lautet ein gängiges Vorurteil, sei ernsthaft, humorlos und düster. Deutsche Autoren würden in ihren Werken die Last der Geschichte mit sich tragen –  wer sollte das lesen wollen im Rest der Welt?

"In Zeiten des abnehmenden Lichts", Ihr Debütroman von 2011, ist eine Familiengeschichte vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, der DDR, der deutschen Wiedervereinigung, sehr deutsch also – und ist dennoch in viele Sprachen, auch ins Englische, übersetzt worden. Ist es so, dass das, was deutsche Literatur angeblich ausmacht, im Ausland gefällt? Oder ist sowieso alles ganz anders? Was interessiert Ihre Leser außerhalb Deutschlands?

Eugen Ruge: Es wäre eitel, jetzt die "New York Times" zu zitieren, aber ich darf wohl sagen: Alle ausländischen Presse-Reaktionen, alle meine Lesereisen durch die Welt haben mir bestätigt, dass das Buch nicht als 'deutsch' empfunden wird – jedenfalls nicht als ernsthaft, humorlos und düster, sondern im Gegenteil als heiter-humorvoll, trotz der Dramatik und der Wehmut, die über dem Ganzen liegt. Denn natürlich ist es die Geschichte eines Untergangs, nämlich des Untergangs der Idee von einer besseren, einer gerechteren Gesellschaft, genannt Sozialismus.

Die Verfilmung von "In Zeiten des abnehmenden Lichts" kam 2017 in die KinosBild: picture alliance/dpa/X-Verleih/H. Hubach

Der Punkt ist aber, dass ich nicht versuche, das allumfassend darzustellen. Ich springe nicht auf die historischen Großereignisse auf, kolportiere nicht Wissen aus zweiter und dritter Hand, sondern erzähle die Geschichte einer Familie. Ich erzähle das Kleine, nicht das Große, ich kümmere mich um das scheinbar Nebensächliche, Abwegige, manchmal Absurde, kurz, um die menschliche Dimension der großen Geschichte, und die wird überall verstanden. Für amerikanische Leser ist die DDR und sind ihre Bewohner normalerweise etwas wirklich sehr Fernes und Abseitiges. Aber wenn ich ihnen etwas über die familiären Komplikationen der Umnitzers zu Weihnachten vorlese, dann wundern sie sich, wie ähnlich sie diesen fernen, abwegigen Menschen sind.

"Ich bin zum Geschichtenerzählen zurückgekehrt"

Waren Ihre amerikanischen Leser denn überrascht, dass ein deutscher Autor auch ein unterhaltsamer Geschichtenerzähler sein kann? Mit welchen Erwartungen und vielleicht auch Vorurteilen waren Sie bei Ihren Lesungen im Ausland konfrontiert?

Zunächst: Ich gebe ja zu, dass es in der deutschen Literatur durchaus Kopflastigkeit und Wichtigtuerei gibt, wie andererseits auch Oberflächliches und Dummes. Aber natürlich hat die deutsche Literatur, auch die zeitgenössische, Großartiges zu bieten. Wenn manche Amerikaner überrascht waren, dass es auch lesbare deutsche Bücher gibt, liegt das nicht unbedingt nur an den deutschen Autoren, sondern vor allem daran, dass das Ausland in den USA generell kaum wahrgenommen wird. Die USA sind eine kulturelle Großmacht. Das ist der Grund, warum es deutsche Bücher nur sehr selten nach Amerika schaffen. Es liegt nicht daran, dass amerikanische Autoren besser schreiben.

Aber ich gebe Ihnen recht, amerikanische Autoren haben ein eher ungebrochenes Verhältnis zum Geschichtenerzählen. Ich bin auch ein Geschichtenerzähler, aber einer, der zum Geschichtenerzählen zurückgekehrt ist. Dieser Umweg ist vielleicht das Europäische oder auch das Deutsche in mir.

Was für ein Umweg war das? Und was ist daran deutsch oder europäisch?

Mit Umweg meine ich, dass ich die große Krise des Erzählens, von der ja seit dem berühmten "Brief des Lord Chandos an Francis Bacon" (der österreichische Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal schrieb dieses Prosawerk 1902 und befasste sich mit der Suche nach einer neuen Poetik in der Literatur, Anm. d. Red.) vor allem die europäische und deutsche Literatur befallen war, auch ganz persönlich durchlitten habe. Natürlich gab es in der amerikanischen Literatur ähnliche Krisen, aber nach meinem Eindruck ist die amerikanische Literatur immer stärker dem Erzählen verhaftet geblieben. Auch ich bin letztlich zum Erzählen zurückgekehrt, aber ich habe unterwegs sozusagen aufgesammelt, was mir aus avantgardistischen Ansätzen nützlich schien. Personelle Perspektive, Chronologie oder auch der Umgang mit dem subjektiven Zeitempfinden sind keine klassischen Techniken. Das gibt es natürlich auch alles in Amerika, vielleicht bin ich ja ungerecht, aber die Amerikaner sind auch ungerecht uns gegenüber.

Sie sind in viele Sprachen übersetzt worden, denken Sie beim Schreiben auch an mögliche Leser anderswo?

Ich glaube, dass jeder Schriftsteller seine Erzählung an jemanden richtet. Man erzählt sich Geschichten nicht selbst. Ich habe mich nicht an einen konkreten Leser gewandt, sondern an die Summe oder den Inbegriff der mir vorstellbaren Leser, und das waren zwanzig Jahre nach der Wende durchaus Menschen aus aller Welt. Ich habe nicht ausschließlich für DDR-Bürger oder DDR-Kenner geschrieben, sondern, ja, für die Welt. Aber ich glaube nicht, dass das ausreicht, um einen weltweit erfolgreichen Roman zu schreiben.

Bild: Rowohlt Verlag

"Wer über alles schreibt, der schreibt über nichts"

Nach wie vor sind Förderprogramme notwendig, um deutschsprachige Autoren auf den englischsprachigen Markt zu bringen. Trotzdem gibt es Hoffnung, denn ihr Anteil stieg in den letzten Jahren deutlich, wie auch unsere Liste der 100 Bücher zeigt. Hat sich die deutschsprachige Literatur verändert? Was braucht es, um tatsächlich Weltliteratur zu schreiben?

Es scheint der vorherigen Antwort auf den ersten Blick zu widersprechen, aber ich würde sagen, dass alle Kunst irgendwie dem Regionalen entspringt. Früher hätte ich über eine solche Behauptung gelacht, heute glaube ich das. Das gilt für die Musik, nehmen Sie Blues, Rock, nehmen Sie zum Beispiel den US-amerikanischen Musiker Carlos Santana, der deshalb so erfolgreich ist, weil er aus seinen lateinamerikanischen Wurzeln schöpft. Das Gleiche gilt für die Malerei. Und erst recht für die Literatur. Große Literatur kommt nicht daher, dass man irgendwie global denkt und fühlt, und sie muss keineswegs in sieben Hauptstädten der Welt gleichzeitig spielen. Denken Sie an "Der alte Mann und das Meer", der Roman spielt im Wesentlichen auf einem sechs Meter langen Fischerboot. Literatur, jedenfalls, was ich darunter verstehe, entspringt der konkreten Erfahrung und Kenntnis.

Natürlich kann man in verschiedenen Kulturen beheimatet sein, aber wer überall zu Hause ist, der ist nirgends zu Hause. Und wer über alles schreibt, der schreibt über nichts. Vielleicht habe ich Unrecht, aber ich erkläre mir den Erfolg von "In Zeiten des abnehmenden Lichts" nicht unbedingt damit, dass die Geschichte außer in Deutschland auch ein bisschen in Mexiko und Russland spielt, sondern damit, dass sie von Menschen und Schicksalen handelt, die ich gut kenne, mit denen ich sehr eng verbunden bin. Es ist kein Buch über große Helden und große Taten, sondern eher eines über Verlierer und Verlust, über Abseitiges, Nebensächliches und Kleines.

2011 gewann Eugen Ruge den Deutschen Buchpreis für seinen Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts"Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Eugen Ruge (geboren 1954) hatte vor allem als Autor für Theater, Fernsehen und Hörfunk gearbeitet, als er 2011 seinen ersten Roman vorlegte: "In Zeiten des abnehmenden Lichts", eine Familiengeschichte, die gleichzeitig eine Geschichte der DDR ist. Das Buch wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und gewann u. a. den Deutschen Buchpreis.

Das Gespräch führte Sabine Kieselbach.

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