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Politik

"Guter Wille" beim EU-Migrationsgipfel

24. Juni 2018

Die Standpunkte sind klar, Annäherung zwischen den EU-Staaten gab es allerdings kaum. Bundeskanzlerin Angela Merkel rennt die Zeit davon. Aus Brüssel Bernd Riegert.

EU-Minigipfel
Für das Familienfoto wurde gelächelt, hinter den Türen gestritten: Merkel im Kreise anderer EU-RegierungschefsBild: picture alliance/AP Photo/Y. Herman

Am Ende wurde nichts aufgeschrieben. Die 16 Staats- und Regierungschef der "Migrations-Arbeitsgruppe" gingen in Brüssel nach vier Stunden langen informellen Beratungen wieder auseinander, ohne die Standpunkte wesentlich annähern zu können. "Es gab vielen guten Willen", sagte Bundeskanzler Angela Merkel nach dem Treffen tapfer in die Kameras. Sie hatte aber schon zuvor eingeräumt, dass es auch beim EU-Gipfeltreffen am Donnerstag und Freitag keine "Gesamtlösung des Migrationsproblems" geben werde. "Deshalb geht es eben auch um bi- oder trilaterale Absprachen zum gegenseitigen Nutzen. Wir können uns untereinander helfen, nicht immer auf alle 28 (EU-Mitglieder) warten zu müssen, sondern zu überlegen, für wen ist was wichtig", sagte Merkel.

Über diese bilateralen Vereinbarungen zum Beispiel mit Italien oder Österreich über die vom deutschen Koalitionspartner CSU geforderte Abweisung von Asylbewerbern direkt an der Grenze sei aber gar nicht gesprochen worden. 90 Prozent der Zeit habe man damit verbracht, über einen verbesserten Schutz der Außengrenzen und eine Abriegelung des Seeweges von Libyen nach Italien zu reden, berichtete ein Teilnehmer des Treffens. Gesprochen wurde auch über eine Verstärkung der europäischen Grenzpolizei "Frontex", die im Moment nicht eigenständig Grenzen kontrollieren kann. Ihr Mandat solle verändert werden, sagte die Bundeskanzlerin. Es solle "operationelle Änderungen" geben an den Grenzen, sagte der maltesische Premier Joseph Muscat ohne ins Detail zu gehen.

Muscat bestätigte indirekt, dass es keine Annäherung der Standpunkte gab. "Wir haben uns klar und deutlich gesagt, was wir denken", umschrieb der Malteser die Gespräche. Im Diplomaten-Sprech heißt das: Es wurde gestritten.

Italien will Verteilung nach Quoten

Als neu hatte der rechtspopulistische Ministerpräsident von Italien, Giuseppe Conte, seinen 10-Punkte-Plan angepriesen. Italien will überhaupt keine Flüchtlinge mehr an Land gehen lassen, die nicht von italienischen Marine-Schiffen aufgelesen wurden. "Das ist ein Vorschlag, der darauf abzielt, die bisherige Dublin-Verordnung vollständig zu ersetzen. Es funktioniert nicht, dass wir einfach einer Logik folgen, die nur auf den Notfall angelegt ist", sagte Conte in Brüssel. Die Dublin-Verordnung sieht vor, dass das Land der ersten Einreise für die Asylbewerber zuständig ist. Das will Conte radikal ändern. Von italienischen Häfen aus sollen die Asylsuchenden und Migranten direkt in andere europäische Länder nach Quoten verteilt werden. Ganz Europa sei zuständig, nicht nur Italien, so der italienische Regierungschef. Eine Quotenregelung lehnen vor allem die mittel- und osteuropäischen Staaten, aber auch Österreich strikt ab.

Deshalb sei der italienische Vorschlag auch alles andere als neu, bemängelte der griechische Premierminister Alexis Tsipras, dessen Land ebenfalls nach der Dublin-Regel für Migranten zuständig ist. Eine Quotenregelung zur Entlastung Italiens und Griechenlands hatten die EU-Staaten schon 2015 beschlossen. Sie wurde aber nie vollständig umgesetzt, obwohl sie der Europäische Gerichtshof bestätigte. Die Gruppe der Quotenverweigerer um Polen und Ungarn hatte an dem Arbeitsgruppen-Treffen am Sonntag in Brüssel auch gar nicht  erst teilgenommen.

Merkel will weiter verhandeln

Kanzlerin Merkel kündigte an, sie wolle bis zum EU-Gipfel weiter über bilaterale und trilaterale Vereinbarungen verhandeln. Mit wem und über was ließ sie offen. Der luxemburgische Ministerpräsident trat dem Eindruck entgegen, die ganze Veranstaltung in Brüssel sei nur organisiert worden, um der CDU-Vorsitzenden Merkel im Streit mit ihrem eigenen Innenminister Horst Seehofer (CSU) beizuspringen. Mit leicht ironischem Klang in der Stimme sagte Xavier Bettel vor dem Treffen: "Es geht hier nicht um das Überleben einer Kanzlerin. Es geht hier darum, eine Lösung zu finden für die Zukunft, für die gemeinsame Migration und Asylpolitik in Europa. Wir brauchen das. Wir sehen ja, dass sobald eine große Welle kommt, wir das nicht schaffen. Es geht aber nicht darum, ob Frau Merkel nächste Woche Kanzlerin bleibt oder nicht."

Gegenspieler der Kanzlerin: Innenminister Horst Seehofer (CSU) pocht auf "wirkungsgleiche" ErgebnisseBild: picture alliance/dpa/P.Kneffel

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron ist nach Einschätzung vieler EU-Diplomaten nach diesem Treffen einer der letzten engen Verbündeten der Kanzlerin. Er forderte, der Seeweg zwischen Libyen und Italien müsse für illegale Migration komplett geschlossen werden. Man müsse stärker mit Libyen zusammenarbeiten. Macron brachte wie der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez Internierungslager für Asylsuchende und Migranten ins Gespräch, in denen entschieden werden müsse, wer Chancen auf Asyl habe und wer nicht. Ob diese Lager besser in Nordafrika oder doch auf europäischem Boden stehen sollten, darüber gingen die Meinungen - wie seit einigen Jahren schon - auseinander.

Sicher ist nur, dass auch diese Lager keine kurzfristige Lösung für die Zurückweisung von Asylbewerbern an der deutsch-österreichischen Grenze wären, wie die CSU sie fordert. CSU-Chef Seehofer hatte wiederholt angekündigt, er werde nach dem EU-Gipfel Ende der Woche handeln, wenn die EU-Regeln nicht "wirkungsgleich" mit seinen Vorstellungen seien. Notfalls auch ohne Zustimmung der Kanzlerin, was seine Entlassung als Minister zur Folge haben könnte. Eine Ende der Großen Koalition von CDU, CSU und SPD scheint nicht ausgeschlossen.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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