Gutes Klima
13. Dezember 2011 Etwas Gutes hat die Weltwirtschaftskrise doch, dachten viele noch im vergangenen Jahr. Wenn weniger auf den Weltmärkten gehandelt wird, wird auch weniger produziert und die Klimaemissionen in Industrie und Verkehr sinken. Tatsächlich ging der globale CO2-Ausstoß für kurze Zeit nach unten. Doch 2010 wurden erneut Rekordwerte gemessen. Über zehn Milliarden Tonnen Kohlendioxid gelangten in die Atmosphäre, berichtete das Fachmagazin Nature Climate Change kürzlich.
Besonders das Wachstum in den Schwellenländern hat den Trend buchstäblich befeuert. Die Internationale Energieagentur (IEA) verweist etwa auf die Rolle Indiens: Nach ihrer Analyse ist das Land mit einem Ausstoß von über eineinhalb Milliarden Tonnen CO2 im Jahr der drittgrößte Emittent von Treibhausgasen weltweit. Und das, obwohl sich Indien eigentlich zum Ziel gesetzt hat, seine Emissionen drastisch zu drosseln.
High-tech aus dem Norden für Klimaschutz im Süden
Die wachsende Wirtschaft Chinas, Indiens oder Brasiliens braucht Energie. Viel Energie. Solar-, Wasser- und Windkraftwerke gibt es bei Weitem noch nicht genug, um den Bedarf zu decken - obwohl gerade beim Windanlagenbau China und Indien weltweit schon ganz vorne sind. Es bleibt also nur, Kohle, Gas und Öl noch effizienter und damit klimafreundlicher zu nutzen. Der "Clean Development Mechanismus" sollte dies ermöglichen.
Dieser "Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung" wurde im Rahmen des Kyoto-Klimaschutzprotokolls geschaffen. Die Idee: Industrienationen bringen ihr technisches Wissen in ein Schwellen- oder Entwicklungsland, das mit dieser Unterstützung seinen CO2-Austoß verringern kann.
CDM – ein Nullsummenspiel?
Ganz selbstlos passiert das natürlich nicht. Für ihren Einsatz in Entwicklungs- und Schwellenländern erhalten die helfenden Industrieländer beziehungsweise deren Unternehmen Emissions-Zertifikate, die das Klimasekretariat der Vereinten Nationen ausgibt. Diese Zertifikate gewähren ihnen als Gegenleistung für die Verminderung der CO2-Emissionen in einem Schwellenland Emissions-Gutschriften, also 'Verschmutzungsrechte', von denen sie im eigenen Land Gebrauch machen können. Schließlich müssen jene Industrieländer, die das Kyoto-Protokoll und die entsprechenden Emissionseinschränkungen rechtlich bindend anerkennen, für jede zusätzliche Tonne CO2, die über der vereinbarten Menge liegt, Strafe zahlen.
Erste CDM-Projekte gingen 2006 an den Start. Knapp sechs Jahre später fällt die Bilanz gemischt aus. Zweifellos wurden viele Projekte realisiert. Doch wie Emissionszertifikate daraus entstehen und wie sie vergeben und genutzt werden, muss hinterfragt werden, meint Tina Löffelsend, Leiterin des Referats Klima, Wirtschaft und Finanzen vom BUND für Umwelt und Naturschutz. Der Ausstoß von Emissionen, sagt sie, würde nur auf ein anderes Land verlagert. "Es werden eine Masse von Zertifikaten aus Projekten erworben, die ohnehin realisiert worden wären", so Löffelsend. Im Prinzip würden für CDM-Projekte Zertifikate, die weitere Emissionen in einem Industrieland erlauben, aus dem Nichts heraus geschaffen. Ist CDM für das Klima also bestenfalls ein Nullsummenspiel?
Klimapolitik versus Wirtschaftspolitik
Auch wissenschaftliche Experten sehen das Programm kritisch. Prof. Martin Jänicke, Gründer der Forschungsstelle für Umweltpolitik an der Freien Universität, hält das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Klimaschutz für problematisch. Wirtschaftliche Interessen behalten im Zweifel die Oberhand – auch weil der Klimaschutz nicht genug politische Durchsetzungsmöglichkeiten hat. "Die Klimapolitik war gegenüber den wirtschaftlichen Interessen nicht stark genug", argumentiert Jänicke. Aber um die Klimapolitik voranzubringen, müsse andererseits "das wirtschaftspolitische Interesse erst einmal geweckt werden".
Ein Land in dem nicht bereits in großem Maßstab Klimaemissionen anfallen, bietet kaum Marktpotenzial für klimaschonende Technik aus Industrieländern. Das meint auch der Entwicklungsexperte Prof. Joachim Betz vom Hamburger Giga-Institut für Asienstudien: "Zunächst einmal muss ein Land wichtiger Emitter sein, um wahrgenommen zu werden."
Einige Kritiker gehen soweit, der Industrie zu unterstellen, sie würden zunächst bewusst massiv steigende Umweltverschmutzung in Entwicklungsregionen in Kauf nehmen, um dann gezielt CDM-Klimaschutzprojekte anzubieten und Emissionzertifikate abzustauben. Doch Jänicke bezweifelt, dass Unternehmen und Industrie "zu solch einer enormen Steuerungsfähigkeit in der Lage sind".
Die Realität ist viel banaler, als dass ein solcher Vorsatz überhaupt nötig wäre. So bauen deutsche Energieunternehmen Kohlekraftwerke in Schwellenländern - mit heimischer Technologie und entsprechendem Verschmutzungspotenzial. Schließlich ist der CO2-Ausstoß der bestehenden Kraftwerke, etwa in Indien, immer noch höher.
Asiatischer Schulterschluss
Mit dem "sauberen Entwicklungsmechanismus" CDM waren bei seiner Einführung viele Hoffnungen verknüpft. Doch die Erwartungen an das Programm sind nüchtern geworden. Es zeigt einmal mehr, dass nur politischer Wille den internationalen Klimaschutz entscheidend voranbringen kann. Und wenn dies auf globaler Ebene nicht funktioniert, dann eben auf regionaler. "Die asiatischen Länder kooperieren untereinander im Umweltschutz bereits sehr viel mehr als man denkt", sagt Prof. Jänicke.
Es gibt ein Asiatisch-Pazifisches Netzwerk zur Erforschung "Globalen Wandels", in dem sich 22 Länder auf politischer und Experten-Ebene mit Nachhaltigkeit und Klimaschutz beschäftigen. Asiatische Länder proben den Schulterschluss und setzen verstärkt auf die Entwicklung erneuerbarer Energieressourcen. Indien dreht den Spieß in Sachen internationale Hilfe mittlerweile sogar um: Es exportiert seine hochentwickelten Windkraftanlagen in Industrieländer, die dadurch ihren CO2-Ausstoß verringern.
Autorin: Hannah Petersohn
Redaktion: Ranty Islam