1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Gutes Wohnen im Hochhaus?

29. Juli 2018

Der Zuzug in Städte hält an. Millionen-Metropolen wie Berlin, Hamburg, München und Köln sind besonders begehrt. Zur Schonung der Natur soll Bauen in die Höhe forciert werden. Doch Hochhäuser haben keinen guten Ruf.

Kranhaus Kranhäuser Köln Rheinauhafen
Kranhäuser: Keine Immobilien von der Stange - Wahrzeichen mit Nähe zur Kölner InnenstadtBild: picture-alliance/dpa/Schoening

Himmelhohe Kräne, Lärm, Staub, Umleitungen. Überall wird gebaggert, gehämmert, gebohrt, gebaut. Das sieht Sophia Ludwig (Name geändert) aus dem 18. Stock ihrer Wohnung. Nach dem Tod ihres Mannes zog sie aus dem Einfamilienhaus ins Hochhaus mit 45 Etagen. "Ich habe ganz neue Perspektiven kennengelernt", erzählt die 58-Jährige: "Wir haben eine Consierge und Geschäfte im Erdgeschoss, sogar ein Schwimmbad für die Bewohner der Anlage."

Die Anonymität stört die Witwe nicht, auch nicht das schlechte Image der "Stadt in der Stadt". Lediglich die Nebenkosten für Hausmeister, Pflege der Grünanlage, Instandhaltung des 40 Jahre alten Bauwerks sind hoch. Der Preis der kurzen Wege: Deutsche Städte können höher, enger, lauter werden.

Nicht nur wegen der sogenannten "zweiten Miete" sind Immobilien in Ballungszentren für viele Bewerber unbezahlbar geworden. Die Nachfrage bestimmt den Preis. Außerdem schlagen sich öffentliche Investitionen wie Kitas, Schulen, Grünanlagen auf die Bodenpreise nieder. Und nicht zuletzt mangelt es schlicht an Wohnraum in begehrten Lagen.  

Auch schon 50 Jahre im Bestand: Uni-Center Köln - 968 Wohneinheiten, ein Drittel reserviert für Studenten, mitten in KölnBild: picture alliance/Rainer Hackenberg

Von dem Defizit profitieren kleine und mittlere Städte in den sogenannten Speckgürteln - im Einzugsgebiet der Metropolen, die attraktiv für Familien und Menschen im Rentenalter sind. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bevorzugen junge Leute zwischen 18 und 25 Jahren dagegen die Großstädte für Studium oder Ausbildung. Sie verzichten dafür auf ein eigenes Auto, teilen sich die vier Wände mit Anderen in einer Wohngemeinschaft, weil sie die urbane Lebensqualität schätzen. 

Auch beanspruchen immer mehr Menschen größere Flächen. Standen beispielsweise den Stuttgartern 1900 im Durchschnitt zehn Quadratmeter zur Verfügung, waren es in den 1950ern 15 Quadratmeter.

Heutzutage beansprucht jeder Bewohner der Schwabenmetropole drei Mal soviel Raum zur Entfaltung wie nach dem Zweiten Weltkrieg und vor den Wirtschaftswunderjahren. Zum Vergleich: In Tokio kommen Menschen mit 15, in Moskau mit 25 Quadratmetern aus. Bürger der norwegischen Hauptstadt Oslo leben individuell auf 48 Quadratmetern - im Schnitt. 

Konzepte zur Stadtentwicklung

"Braucht das Individuum wirklich soviel Wohnraum?", fragt sich der Bonner Stadtplaner Theo Kötter, der nach Lösungsansätzen sucht, um die wachsenden Nutzungskonflikte zwischen Siedlungsentwicklung und dem Schutz freier und landwirtschaftlich genutzter Flächen in der Region Köln/ Bonn zu bewältigen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt mit rund 2,4 Millionen Euro im Rahmen des Programms "Stadt-Land-Plus".

Ziel für eine nachhaltigere Entwicklung sollen Siedlungs- und Bauformen sein, die weniger Land beanspruchen. Freiräume sollten sowohl zur Erholung als auch zur landwirtschaftlichen Nutzung wie "Urban Gardening" zur Verfügung stehen.

Gleichzeitig forschen Wissenschaftler im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) an den Konzepten für eine "Gartenstadt 21". Hier sollen bezahlbare Wohnungen für verschiedene soziale Gruppen entstehen - mit grüner Infrastruktur, klimaangepasst und energieoptimiert.

Anonym und durch Nebenkosten teuer - Wohnen im Hochhaus Bild: iStockphoto

Für die aktuelle Wahlperiode macht die Bundesregierung allerdings noch keine Vorgaben, die über das geltende Klimaschutz- und Energierecht hinausgehen. Der Bauboom wird geradezu gefördert: CDU/ CSU und SPD wollen in Deutschland bis 2021 vier Milliarden Euro für Bauen und Wohnen ausgeben. Familien sollen animiert werden, in ein Eigenheim zu investieren. Als Anreiz erhalten Eltern für jedes Kind 12.000 Euro Zuschuss - verteilt über zehn Jahre. 

1,5 Millionen neue Wohnungen sollen im sozialen Wohnungsbau entstehen. Die staatlich geförderten Wohnungen sind für Menschen konzipiert, die sich teure Wohnungen, so wie sie auf dem freien Markt angeboten werden, nicht leisten können.

Anhaltender Flächenverbrauch für Siedlung und Verkehr

Noch immer wird Boden für Wohnraum, zum Arbeiten und zur Mobilität versiegelt. Nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) werden der Natur täglich 66 Hektar abgerungen oder landwirtschaftlich genutzte Fläche mit Gebäuden, Straßen, Wegen bebaut - mit negativen Folgen für Wasserdurchlässigkeit und Bodenfruchtbarkeit. Wertvolle Ökosysteme werden zerstört. Überdüngung und Schadstoffeinträge schwächen hochwertigen Boden - mit Auswirkungen auf die Artenvielfalt und Erholungsflächen. 

In ihrer "Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie" hatte die damalige Bundesregierung (SPD/Grüne) 2002 beschlossen, bis 2020 nur noch 30 Hektar pro Tag zu versiegeln. Im Jahr 2050 sollen im Rahmen einer Flächenkreislaufwirtschaft keine neuen Siedlungs- und Verkehrsflächen mehr beansprucht werden.

Das Umweltbundesamt (UBA) weist daraufhin, dass Fläche eine bedeutsame und begrenzte Ressource darstellt, um deren Nutzung die Bereiche Land- und Forstwirtschaft, Siedlung und Verkehr, Naturschutz, Rohstoffabbau und Energieerzeugung konkurrieren.

Das UBA schlägt daher vor, den Ausbau und die Instandhaltung bestehender Gebäude und Infrastrukturen zu fördern, um im Gegenzug der Erschließung neuer Wohn- und Gewerbegebiete mit Infrastrukturen entgegenzuwirken.

Ohne Probleme im Hochhaus 

Auch Stadtplaner Theo Kötter vertritt die Ansicht, dass es der vermehrten Versiegelung nicht bedarf. Der Professor für Städtebau und Bodenordnung rät, die Nutzung von innerstädtischen Brach- und Freiflächen voranzutreiben und vorhandene Wohnflächen durch Aufstockung zu verdichten. 

Wohnblocks Darmstadt-Kranichstein - bemüht um Imagepflege Bild: picture-alliance/dpa/A. Hirtz

Eine Untersuchung der Uni Darmstadt hat ergeben, dass sich 1,3 Millionen Bestandswohnungen relativ rasch aufstocken ließen, da sie sich im Besitz großer Gesellschaften befinden. Doch die einst schicken Mehrfamiliensiedlungen der 1960er und 70er Jahre, die in Westdeutschland ebenso in die Höhe schossen wie die Plattenbauen nach sozialistischen Vorgaben der DDR sind, trotz oft genialer Aussicht, als Trabantenstädte für das Prekariat und als soziale Brennpunkte verschrien. "Diese Probleme sind weder dem Städtebau noch der Architektur anzulasten, sondern in der einseitigen Belegung", sagt Städtebau-Experte Kötter.

Mit Renovierungen, einem positivem Image und der durchmischten Belegung verschiedener Altersklassen und sozialer Gruppen, auf das Gemeinwohl ausgerichtet, soll die städtebauliche Fehlplanung wettgemacht werden. Zur neuen Qualität öffentlicher Räume zähle auch der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, fordert Kötter.

Eigene Eingänge und Gemeinschaftsflächen - Im Mehrgenerationenhaus Amaryllis leben Jung und Alt zusammenBild: picture-alliance/dpa/JOKER

In Darmstadt ist dies ansatzweise bereits gelungen. Die Satellitenstadt "Neu-Kranichstein", vor 50 Jahren für 18.000 Bewohner im Eiltempo hochgezogen, hat sich als Multi-Kulti-Quartier etabliert - mit direkter Straßenbahnanbindung in die Innenstadt. Bunte Fassaden, bürgerschaftliches Engagement und Baumpflanzungen machen den Stadtteil lebenswert.

Auf den demografischen Wandel reagieren Investoren und Betreiber von Wohnanlagen zunehmend mit zentralen Pflegestationen für Gehandicapte und bedürftige Senioren. Auch nicht auf Profit ausgerichtete Genossenschaften können zur Belebung der Innenstädte beitragen. Mehrgenerationengemeinschaften investieren zunehmend in den Erhalt von bezahlbaren Bestandsimmobilien sowie in bedarfsgerechte Neubauten.

Genossenschaften: Wohnungsbau nach Bedarf

02:31

This browser does not support the video element.

Dass Wohnqualität keine Frage von Höhe ist, zeigen auch die Kranbauten in Kölns südlicher Kernstadt. Für eine 130 Quadratmeter-Wohnung in einem der imposanten Türme werden allerdings monatlich mehr als 3000 Euro fällig - inklusive Nebenkosten. Immerhin: Darunter beleben Cafés das Viertel. Zu denen haben auch weniger Betuchte Zutritt.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen