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Hätten Fahnder Neonazi-Mörder aufspüren können?

26. April 2012

Im Neonazi-Untersuchungsausschuss wurden noch einmal gravierende Missstände bei den Ermittlern deutlich. So belegt ein Bericht aus der Sonderkommission "Bosporus" vergebliche Rufe nach Kooperation und verpasste Chancen.

Sachsen/ Ein Polizist steht am Mittwoch (23.11.11) vor dem durch eine Explosion zerstoerten Haus in der Fruehlingsstrasse 26 in Zwickau. Der Unterschlupf der mutmasslichen Serienmoerder Uwe Boehnhardt und Uwe Mundlos in Zwickau wird abgerissen. Am Mittwochmorgen begann eine Spezialfirma damit, den Dachstuhl der vor zweieinhalb Wochen explodierten Doppelhaushaelfte im Zwickauer Stadtteil Weissenborn abzutragen. Nach Auskunft eines Sprechers der Stadt Zwickau solle das Haus bis auf die Grundmauern zurueckgebaut werden. Die drei Neonazis hatten von 2008 bis 2011 in dem Haus gelebt. (zu dapd-Text) Foto: Sebastian Willnow/dapd
Zwickauer Zelle RechtsextremismusBild: dapd

Bayrische Ermittler haben bereits im Sommer 2005 vermutet, die Mörder von mehreren Männern mit türkischen beziehungsweise griechischen Wurzeln könnten aus Fremdenhass gehandelt haben. Allerdings wurde dieser Verdacht trotz mancher Anhaltspunkte nicht entscheidend weiterverfolgt: Dieses Bild ergibt sich aus den Schilderungen des ehemaligen Leiters der Sonderkommission "Bosporus", Wolfgang Geier. Der 57-Jährige wurde jetzt als erster Zeuge im Neonazi-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages gehört.

Zu Beginn seiner öffentlichen Vernehmung erläuterte Geier den Abgeordneten ausführlich, in welche Richtungen ermittelt wurde und welche Behörden dabei behilflich waren – oder eben nicht. Demnach konzentrierten sich die bis zu 60 Mitglieder seiner Soko zunächst auf die Vermutung, es könne sich bei der im Juni 2000 begonnenen Mordserie um Organisierte Kriminalität (OK) im Ausländermilieu handeln. Weil drei der Opfer in Nürnberg zu beklagen waren, sei man bei der Täter-Suche von einem "möglichen Ankerpunkt Nürnberg" ausgegangen.

Wolfgang Geier, erster Zeuge im UntersuchungsausschussBild: dapd

Verfassungsschutz antwortet nach acht Monaten

Im Rahmen dieses Ermittlungsansatzes habe man vom bayrischen Landesamt für Verfassungsschutz eine Liste mit den Namen von 682 Personen erhalten, die der Nürnberger Neonazi-Szene zugerechnet wurden. Für Verwunderung sorgte Geiers Anmerkung, der Verfassungsschutz habe die entsprechende Anfrage der Sonderkommission erst nach acht Monaten beantwortet. Nochmals acht Monate habe es dann gedauert, die Namen zu filtern. Übrig geblieben seien 161 Personen, von denen neun persönlich überprüft worden seien. Eine heiße Spur habe sich indes nicht ergeben.

Ergebnislos verliefen auch internationale Recherchen. Anfragen hat es laut Geier unter anderem bei Interpol und in der Türkei gegeben. Mit tschechischen Stellen wurde demnach Kontakt aufgenommen, weil bei den Morden immer eine Waffe des Typs "Ceska 83“, Kaliber 7,65 verwendet wurde. Aber auch diese Spur brachte keinen Durchbruch.

Nach zweieinhalb Jahren wurde die Soko aufgelöst

Deutschlandweit ermittelten neben der Nürnberger Soko "Bosporus" weitere Mord- und Sonderkommissionen in Dortmund, Hamburg, Kassel, München und  Rostock. In diesen Städten fahndeten die Ermittler ebenfalls nach den unbekannten Tätern, die bis 2006 Männer mit ausländischen Wurzeln auf die gleiche Weise ermordet hatten. Wäre es nach Soko "Bosporus“-Leiter Geier gegangen, hätte das Bundeskriminalamt (BKA) zentral die Federführung übernehmen sollen. Doch nach seinen Angaben hätten sich die Innenminister im Sommer 2006 darauf verständigt, eine Steuerungsgruppe unter seiner Leitung einzurichten, sagte Geier.

BKA fahndete auch mit Plakataktionen nach den RechtsterroristenBild: dapd

Insgesamt seien zeitweilig bis zu 160 Ermittler mit der Mordserie beschäftigt gewesen, deren tatsächliche Hintergründe erst im November 2012 bekannt wurden, als das Terror-Trio "Nationalsozialistischer Untergrund"“ (NSU) aufflog. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Soko ihre Arbeit schon lange eingestellt. Nachdem sämtliche Ermittlungen im Sande verlaufen waren, wurde die Sonderkommission nach zweieinhalbjähriger Arbeit Ende Januar 2008 aufgelöst.

Verfassungsschutz lässt Brief unbeantwortet

Die Befragung Wolfgang Geiers und anderer Mitarbeiter der Soko "Bosporus“ haben beim Untersuchungsausschuss des Bundestages einiges Erstaunen ausgelöst. So erwähnte der ehemalige Soko-Leiter ein Schreiben an das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Darin habe er im Februar 2006 darum gebeten, ihm einen Ansprechpartner für die unaufgeklärte Mordsserie zu benennen. Der Brief sei aber unbeantwortet geblieben. Überhaupt hat sich die Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsdiensten offenkundig mehr schlecht als recht gestaltet. So habe es auch keinerlei Hinweise auf untergetauchte Rechtsextremisten gegeben, als man in diese Richtung ermittelte. "Wir wären froh gewesen, wenn das aus irgendeiner Ecke gekommen wäre“, sagte Geier.

Drei der Untergetauchten waren Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Noch Ende der 1990er Jahre waren sie im Blickfeld des thüringischen Verfassungsschutzes, es wurde sogar nach ihnen gefahndet. Im Sommer 2000 verübte das Neonazi-Trio mutmaßlich seinen ersten Mord in Nürnberg. Es folgten neun weitere quer durchs Land.

Autor: Marcel Fürstenau