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GleichberechtigungUganda

Häusliche Gewalt in Ostafrika: das Tabu brechen

Martina Schwikowski
6. September 2024

Häusliche Gewalt wird in Ostafrika als Privatsache angesehen. Lediglich prominente Opfer wie die getötete Läuferin Rebecca Cheptegei geraten mit ihrem Schicksal in die Öffentlichkeit. Ein Blick auf Debatten gegen Gewalt.

Olympische Spiele Paris 2024, Rebecca Cheptegei aus Uganda
Rebecca Cheptegei - wieder ein prominentes Opfer von Femizid in OstafrikaBild: Chai v.d. Laage/IMAGO

Gewalt gegen Frauen ist in vielen afrikanischen Ländern, auch in Uganda und Kenia, weit verbreitet. Gerade trauert Uganda um die Sportikone Rebecca Cheptegei. Sie fiel einem brutalen Angriff ihres Ex-Freundes zum Opfer.

Laut Angaben der Polizei war die Marathonläuferin und Olympiateilnehmerin Cheptegei am Sonntag von ihrem ehemaligen Lebenspartner Dickson Ndiema Marangach in ihrer Wahlheimat Kenia mit Benzin übergossen und angezündet worden. Nachbarn eilten zur Hilfe, doch die 33-jährige Mutter zweier Kinder erlag am Donnerstag in einem Krankenhaus ihren schweren Brandverletzungen. 

Stilles Leiden der Frauen

Hassan Sekajoolo ist Teamleiter bei Ubuntu, einem ugandischen Netzwerk für die Gleichstellung der Geschlechter. Hier setzen sich Männer und Jungen für den sozialen Wandel ein. "Die Stimmung in Uganda ist getrübt, die Menschen sind traurig, dass ein solches Talent durch häusliche Gewalt verloren gegangen ist", sagt er im DW-Interview. Und sie forderten, dass für diesen Mord Gerechtigkeit geübt werde, fügt er an. 

Rebecca Cheptegei galt als ein Symbol für den Erfolgssport in Uganda, der internationale Anerkennung fand. Bei den Olympischen Spielen in Paris begeisterte sie noch das Publikum bei ihrem Debüt-Marathonlauf.

Bereits vor Jahren erschütterten ähnliche Morde die Öffentlichkeit: 2021 verstarb die kenianische Langstreckenläuferin Agnes Tirop in Italien, 2022 wurde die Leichtathletin Damaris Mutua in Kenia tot aufgefunden. In beiden Fällen wurden die Partner von den Behörden als Hauptverdächtige identifiziert. 

Prominente Opfer gelangen in den Fokus der öffentlichen Debatte, die meisten Frauen dagegen leiden schweigend unter häuslicher Gewalt. 

Häusliche Gewalt ist in Uganda weit verbreitet: Hier ein gespielte Szene in einem Workshop zur Aufklärung von RollenstereotypenBild: Hajarah Nalwadda/AP/picture alliance

Die Nationale Statistikbehörde in Uganda (Uganda Bureau of Statistics) berichtete im November 2021, dass 95 Prozent der Frauen und Mädchen im Vorjahr körperliche und/ oder sexuelle Gewalt erfahren hätten.

Gewalt - eine Privatsache?

Die Kriminalitätsberichte der ugandischen Polizei dokumentieren 272.737 Fälle von häuslicher Gewalt zwischen 2016 und 2021, darunter 2.278 Tötungsdelikte, die Intimpartnern zugeschrieben werden. Das schreibt Afrobarometer in einem Bericht 2023.

Die Hälfte der Befragten gab an, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen in ihrer Gemeinde gewöhnlich ist. Die Mehrheit glaubt, dass häusliche Gewalt eine private Angelegenheit ist, die innerhalb der Familie zu regeln ist.

Das Stigma innerhalb der ugandischen Gesellschaft ist groß. Hassan Sekajoolo arbeitet mit Familien in Kampala, um erlernte Stereotype und das Tabu häuslicher Gewalt zu brechen. 

"Die Kinder lernen Gewalt vom Mann und Gewaltlosigkeit von der Mutter. Unsere Erhebungen zeigen, dass die Gewalt in den Haushalten, mit denen wir arbeiten, um bis zu 40 Prozent zurückgegangen ist. Wir sehen auch, dass die Kinder ein anderes Verständnis von Gewalt haben und sich zurückhalten", so sein Fazit. 

Mädchen und Frauen leiden häufig unter Gewalt von Männern; das Stigma in der Gesellschaft ist großBild: Nic Bothma/epa/dpa/picture-alliance

Allerdings würden in den Schulen die alten sozialen und geschlechtsspezifischen Normen wieder verstärkt. "Wir wollen, dass Männer gemeinsam mit Frauen diskutieren und Entscheidungen treffen, mit anderen Männern sprechen und die von Männern dominierten Strukturen in der Gesellschaft so verändern, dass sie für Frauen und Mädchen weniger unterdrückend sind."

Rollen und Normen hinterfragen

In seiner Arbeit mit den Familien sollen Männer lernen, kulturelle und religiöse Positionen, die Frauen benachteiligen, zu hinterfragen. Laut Sekajoolo fühlten sich Männer oftmals bedroht und verunsichert. Dies äußere sich in Gewalt. Frauen müssten wirtschaftlich gestärkt werden. "Aber Männer wissen nicht, wie sie mit gestärkten Frauen umgehen sollen."

Im benachbarten Kenia protestierten im Januar 2024 tausende Frauen und Männer gegen die Gewalt gegen Frauen und forderten ein Ende des Femizids.

In einer patriarchalen Gesellschaft werde ihnen Gewalt im Elternhaus vorgelebt, sagt auch Zipporah Nyangara Mumbi. Sie leitet Heaven of Dreams, eine von Jugendlichen und Frauen geführten Organisation im zentralkenianischen Nakuru, die aufklären möchte.

Der Kreislauf des Missbrauchs beschädige die psychische Gesundheit. Die Hoffnung, dass der Partner sie nicht mehr angreifen werde, hindere Frauen immer wieder daran, gewaltsame Beziehungen zu verlassen.

"Frauen sollen gesehen, nicht gehört werden"

Mindestens 500 Frauen und Mädchen wurden in Kenia seit 2016 ermordet - trotz aller Bemühungen im Land, geschlechtsspezifische Gewalt zu verhindern. Dies geht aus dem Africa Data Hub hervor, einem regionalen Netzwerk von Datenorganisationen, das solche Morde anhand von Zeitungsberichten nachverfolgt. 

Der Kreislauf von Missbrauch hindert Frauen oft, die gewalttägigen Beziehungen zu verlassenBild: Rebecca Blackwell/AP/picture alliance

Gewalt gegen Frauen wird auch in Kenia laut UN Women nach wie vor gesellschaftlich toleriert: 42 Prozent der Frauen und 36 Prozent der Männer glaubten, dass es unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sei, wenn ein Mann seine Frau schlage, berichtet die Organisation, die sich weltweit für die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frau einsetzt.

Die Frauen und Jugendlichen bei Heaven of Dreams arbeiten daran, erlittene Traumata überwinden zu helfen, und sehen in der Erziehung von Männern und Gesellschaft eine große Herausforderung: "Es ist der kulturelle Widerstand, mit dem wir konfrontiert sind, besonders in der Gemeinschaft", sagt Mumbi zur DW. "Frauen sollen gesehen, nicht gehört werden. Das macht es schwierig, Gespräche mit Männern zu führen."

Der Fall von Rebecca Cheptegei richtet jetzt einmal mehr die Aufmerksamkeit auf das Thema - doch der Weg zu einem angstfreien Leben von Frauen und Mädchen ist noch weit.

Mitarbeit: Wakio Mbogho